Für offene Blicke

Zur Debatte um Filmbildung & „Vision Kino“: Eine Antwort auf den Beitrag „Rettet die Filmbildung!"

Veröffentlicht am
20. September 2019
Diskussion

Der Beitrag „Rettet die Filmbildung! Aber vergesst „Spider-Man“ nicht!“ von Stefan Stiletto hat eine kontroverse Resonanz ausgelöst. Drei Akteure aus dem Umkreis der Verbände, die eine Neuausrichtung von „Vision Kino“ fordern, antworten auf Stilettos „Zwischenrufe“ und fordern eine offene Debatte.

Ein Gastbeitrag von Verena von Stackelberg, Judith Funke und Mikosch Horn


Der Zwischenruf von Stefan Stiletto hat eine überfällige Debatte um die Filmbildung in Deutschland und ihren maßgeblichen institutionellen Träger „Vision Kino“ aufgegriffen und weitergeführt. Nach 13 Jahren ist es allemal an der Zeit, die Probleme und die Erfolge der Filmbildung in Deutschland zu resümieren. Auch wenn der Text „Rettet die Filmbildung! Aber vergesst Spider-Man nicht! zum Teil wie eine Polemik daherkommt, wollen wir gerne auf ihn antworten, wobei wir uns vorneweg für jede Verve entschuldigen und gestehen, dass uns Filmbildung am Herzen liegt.

Mainstream in der Filmbildung

Die Erklärung der sechs Verbände fordert eine Revision und einen Neustart für „Vision Kino“. Wenn sie damit offene Türen einrennt, umso besser. Dabei werden in fünf Bereichen Defizite benannt oder Vorschläge gemacht; unter anderem werden eine größere Diversität und mehr Mut gefordert, den Schüler*innen auch etwas abzuverlangen.

Was allerdings nicht Teil der Erklärung ist, ist die Forderung, Mainstream aus der Filmbildung zu verbannen. Im Gegenteil! Mainstream darf und soll Teil der Filmbildung sein, aber eben auch Anderes.

Vermischung von Marketing und Filmbildung

Was aber nicht sein kann, ist, dass in der pädagogischen Auseinandersetzung mit Filmen ökonomische Interessen und „medienpädagogische“ Ansätze vermischt werden. Stiletto kritisiert selbst die Zensur der Filmverleiher, die nicht das entsprechende Material zur pädagogischen Aufarbeitung zur Verfügung stellen, lobt aber zugleich die Verknüpfung von Marketing und Pädagogik. Aber hallo! Genauso wenig, wie wir McDonald’s oder Nestlé die Ernährungsberatung unserer Kinder anvertrauen möchten (obwohl auch Nahrungsmittel ein wichtiges Wirtschaftsgut sind), halten wir die Praxis, dass die Verleiher letztendlich entscheiden, welche Filme in den Schulkinowochen zum Einsatz kommen und welche pädagogischen Materialien erstellt werden, für gut!

Wir nehmen die Filmbildung nicht wichtiger als andere Bereiche der schulischen Bildung. Im Gegenteil! Aber genau deswegen muss auch im Bereich der Filmbildung unbedingt eine größere Unabhängigkeit der Auswahl und der Vermittlungsmethoden erreicht werden.

Zu dem Schluss kommen wir nicht nur aus grundsätzlich pädagogischen Erwägungen, sondern auch als Verleiher*innen und Kinomacher*innen. Die letzten zehn Jahre der „Vision Kino“ sollten als Beleg dafür genügen, dass eine Medienpädagogik, die als verkapptes Marketing für aktuelle Filmproduktionen daherkommt, Schüler*innen keineswegs nachhaltig für das Kino begeistert. Dazu reicht ein Blick in die jährliche Statistik der Filmförderungsanstalt (FFA) über die Vergreisung des Kinopublikums. Also bitte weg mit der so schön beschriebenen Doppelrolle von „Vision Kino“ hin zu einer unabhängigen Filmbildung!

Diversität des Filmkanons

Die Antipathie gegen jede Form von Kanonisierung können wir gut verstehen. Auch dem Hauptverband Cinephilie ist jedes offene Herangehen an die Vielfalt der Filmlandschaft lieber. Allerdings greift die Kritik an handwerklichen Schwächen des erfolglosen Versuchs, einen Filmkanon zu installieren, zu kurz. Wir halten aber auch Stilettos Lob der Filmtipps von „Vision Kino“ für verfehlt: Nur noch aktuelle Filme in der Filmbildung zu behandeln, ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems!

Wie soll ein junger Mensch Filmgeschichte kennenlernen, wenn diese spätestens endet, wenn der Lizenzvertrag ausgelaufen ist? Wenn man nicht bereit ist, die Filmbildung vom Angebot der Filmwirtschaft abhängig sein zu lassen, stößt man zwangsläufig erneut auf die Frage der Kanonisierung (vielleicht taucht ja in der weiteren Diskussion noch eine andere Idee auf, darüber würden wir uns sehr freuen). Für diesen neuen Kanon mahnt die Erklärung eine möglichst große Diversität an.

Kinder und Film ernst nehmen

Der Forderung nach Vielfalt und Gleichberechtigung mit dem Hinweis auf die Altersfreigabe zu begegnen, erscheint uns fast frivol. Soll das bedeuten, dass Regisseurinnen und Menschen, die nicht dem europäisch-nordamerikanischen Kosmos entsprungen sind, keine Kinderfilme machen können? Oder dass man Kinder unter 14 Jahren nicht mit zu viel Vielfalt überfordern darf? Wir hoffen nicht – wir hoffen, dass es sich hier eher um eine ungeschickte Formulierung als um ein ernstgemeintes Argument handelt.

Dass man in der Filmbildung immer das Alter der Kinder berücksichtigen muss, ist eine Binsenweisheit. Aber man darf dabei auch nicht den Fehler machen, sie zu unterfordern, nur um ihnen dann den immer gleichen Film mit anderen Themen und Schauspieler*innen vorzusetzen.

Insofern ist die Schlussfolgerung, dass das wichtigste mediendidaktische Ziel die „Bildkompetenz“ sein soll, vollkommen richtig. Nicht umsonst steht in der Erklärung die Forderung nach einer „Schule des Sehens“ an erster Stelle. Es geht nicht nur ums Kino und den Kinofilm, sondern natürlich auch um das Rüstzeug zur Entschlüsselung von Youtube oder Netflix, wenn wir fordern, dass die Filmbildung auch die Bildsprache und formale und ästhetische Fragen in den Blick nehmen muss. Das wird allerdings nur gelingen, wenn wir den Film insoweit als eigenständiges Medium ernst nehmen, dass das Lehren und Lernen seiner Sprache Selbstzweck ist und nicht nur Bebilderung des Stoffes anderer Schulfächer.

Eine überfällige Debatte

Es ist sicherlich unser aller Ziel, dem Kino ein aufgeschlossenes Publikum mit einem breiten Altersspektrum zu erhalten, sowie dem Publikum ein wahrhaft diverses Filmprogramm anzubieten, dass nachhaltig inspiriert und bindet. In diesem Sinne freuen wir uns über eine kontroverse und konstruktive Debatte.


Die Autoren*innen Verena von Stackelberg, Judith Funke und Mikosch Horn gehören dem Vorstand des Hauptverband Cinephilie an.


Foto: aus "Liz und der blaue Vogel". Erscheint am 20.9. als DVD/BD © Universum


Kommentar verfassen

Kommentieren