„Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen“,
hieß es im Oberhausener Manifest, der „Geburtsurkunde“ des Neuen
Deutschen
Films. Den Menschen, die diese deutsche „Neue Welle“ ins Rollen
brachten und prägten, hat der Kameramann und Fotograf Beat Presser in
Text und
Bild ein Denkmal gesetzt. Sein Buch „Aufbruch ins Jetzt – Der Neue
Deutsche Film“ enthält Interviews mit zahlreichen FilmemacherInnen;
unter dem Titel "Aufbruch und Umbruch" sind seine Fotos nun ab 13. Februar 2020 in Berlin im Willy-Brandt-Haus zu sehen.
In ihrer
Kurzgeschichte „Lange Schatten“ erzählt Marie Luise Kaschnitz von der
zwölfjährigen Rosie, die sich beim Urlaub in Italien mit ihren Eltern furchtbar
langweilt, bis sie zum ersten Mal den Weg ins Dorf ganz alleine gehen darf.
Dieser Gang wird für Rosie zu einem überwältigenden Moment von Freiheit und Weltverzauberung:
„Wenn man allein ist, wird alles groß und merkwürdig und beginnt einem allein
zu gehören, meine Straße, meine schwarze räudige Katze, meine langen Beine in
verschossenen Leinenhosen.“ Es ist keiner da, der an ihr „herumerzieht“, es
sind ihre ersten Schritte, den „eigenen Weg“ zu gehen. Ähnlich beschreibt Wim Wenders im Gespräch mit dem
Fotografen Beat Presser eine prägende Erfahrung seiner Kindheit. Zum ersten Mal
darf er allein auf Reisen gehen, eine Eisenbahnfahrt machen: „Ich war im
siebten Himmel: endlich alleine reisen! Die ganze Fahrt lang saß ich alleine am
Fenster. Das war eine königliche Erfahrung, ein Urerlebnis!“ Urerlebnisse
dieser Art sind die innersten Triebfedern beim Aufbruch des „Neuen Deutschen
Films“ (NDF). In vielen Zeugnissen, die Beat Presser versammelt hat, lässt sich
etwas vom Willen entdecken, ohne Bevormundung zu leben, den eigenen Ideen zu folgen
und eine Sprache dafür zu finden: meine Erfahrungen, meine Ideen, meine Art,
davon zu erzählen.
Aufbruch ins Jetzt & Abrechnung mit der
NS-Vergangenheit
Die 1960er-Jahre, der Jugendzeit
für die meisten NDF-Protagonisten, waren solchen Ambitionen förderlich. Ein
Jahrzehnt vielfältiger Auf- und Umbrüche in den westlichen Ländern:
Studentenrevolte, Bürgerrechtsbewegung, Anti-Vietnamkrieg-Demonstrationen, Mai
68. Die Cinephilen blickten nach Paris, erhielten Antrieb und Inspiration von
der Nouvelle Vague, für die Truffaut verkündete: „Unsere Filme werden
Liebeserklärungen sein. Sie werden wahrhaftig sein wie ein Bekenntnis oder ein Tagebuch.“
Die Flagge des Autorenfilms wurde gehisst. „Papas Kino“ schickte man in die Wüste,
programmatisch in der Oberhausener Erklärung von 1962. Abschied von Gestern und
ein Aufbruch ins Jetzt, aber ins eig