© IMAGO / Everett Collection (Plakatmotiv zu "Der Dieb von Bagdad")

Meilenstein der Kino-Magie

"Der Dieb von Bagdad" feierte am 18. März 1924 Premiere und setzte vor hundert Jahren als abenteuerliches Fantasy-Spektakel Maßstäbe für die Zauberkräfte des Kinos

Veröffentlicht am
18. März 2024
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In seinem 1924 erschienenen Stummfilm-Abenteuer nach "1001 Nacht" lief Douglas Fairbanks als Darsteller einer akrobarisch-vitalen Heldenfigur zu Bestform auf und scheute als Produzent und Regisseur keinen Aufwand, um die orientalische Märchenwelt zum Leben zu erwecken. Am 18. März feiert der Klassiker sein 100. Leinwandjubiläum. Erinnerungen an ein Werk, das als abenteuerliches Fantasy-Spektakel einst Maßstäbe für die Zauberkräfte des Kinos setzte.


Eingefärbt in monochrome Farben erscheint eine exotisch erhöhte Traumlandschaft auf der Leinwand. Magische Seile, aus Bodenfallen springende Tiger, Feuerlandschaften und natürlich ein fliegender Teppich. Zeitlose Ortlosigkeit erscheint aus dem Stoff der Fantasie. Die ins Unendliche strebenden Kulissen verzaubern in geometrischen Abstraktionen, alles wirkt wie aus einem Traum, bevor es Traummaschinen gab. Doch was ist das? Ein Mann hüpft und springt und spielt mit seinen Muskeln inmitten dieser Welt. Seine dem Einmaleins der Stummfilmgrammatik entnommenen Gesten neigen ins Lächerliche, und doch klebt die Kamera an ihm, ja, scheinen all diese wundersamen Bauten nur für seinen Körper errichtet.

Für den Dreh wurde ein ungekannter Aufwand betrieben.
Für den Dreh wurde ein ungekannter Aufwand betrieben.

Es gibt zwei Stars in „Der Dieb von Bagdad“ von Raoul Walsh. Der eine Star ist das Szenenbild von William Cameron Menzies. Der spürbar vom deutschen Expressionismus beeinflusste Szenenbildner gehört zu den größten seines Fachs, und neben seinen über 3000 Zeichnungen jeder Szene von Vom Winde verweht sind seine Bauten und Einfälle für das in den 1920er-Jahren entstandene Stummfilmepos besonders eindrücklich.


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Die Wahrnehmung Arabiens war im Westen jener Zeit geprägt von geheimnisvollen Fantasien, Erotik und Abenteuerromantik. Von den ersten Vorführungen des Films in New York ist überliefert, dass orientalische Trommeln im Foyer gespielt wurden, die Platzanweiser „arabisch“ gekleidet waren, türkischen Kaffee ausschenkten und man sogar Parfüm aus Bagdad in die Luft sprühte. So reduzierend diese Bilder auch scheinen, im Vergleich zur heute weit verbreiteten Ansicht der arabischen Welt sind sie friedlich und verspielt.


Geometrie der Linien und Unlogik der Details

Menzies lässt sich davon sowieso nicht sonderlich beeindrucken. Der Surrealist Jean Goudal hatte große Freude am „Art Nouveau“-Stil des Films. Für ihn waren die entscheidenden Elemente die Geometrie der Linien und die Unlogik der Details. Das Detailreichtum der Sets zielt letztlich darauf, dass der eigentliche Star des Films mit ihnen agiert. Douglas Fairbanks, der oft als der kreative Motor hinter dem Film, einer der teuersten Produktionen der 1920er-Jahre, gesehen wird, bezeichnete „Der Dieb von Bagdad“ als seinen Lieblingsfilm. In einer Mischung aus Elementen mehrerer „Tausendundeiner Nacht“-Geschichten verbringt der Dieb allerlei tollkühne Taten, bis er in sich die Tochter des Kalifen verliebt. Diese empfindet ebenfalls Gefühle für den Draufgänger, ermöglicht ihm die Flucht vor den Wachen des Kalifen und motiviert ihn so, als Rivale prinzlicher Bewerber in die Welt zu ziehen, um die Hand der Prinzessin durch einen seltenen Schatz zu gewinnen.

Star und kreative Kraft des Films: Douglas Fairbanks
Star und kreative Kraft des Films: Douglas Fairbanks

Fairbanks gibt die titelgebende Rolle mit ausladender, vor Freude und Kraft strotzender Körperlichkeit. Sein Spiel lässt sich in heutigen Kategorien gedacht irgendwo zwischen Denis Lavants tänzerischer Körperkunst und der albern-maskulinen Muskelversessenheit beim Torjubel Cristiano Ronaldos ansiedeln. Als Dieb ist Fairbanks natürlich völlig unglaubwürdig, denn er benimmt sich ganz und gar nicht so, wie ein Dieb es tun sollte. Stattdessen reißt er alle Aufmerksamkeit auf sich, leuchtet förmlich in den Bildern.


Kino als Tanz zwischen Abstraktion und Realität

Am stärksten funktioniert sein Spiel dann, wenn er von äußeren Reizen wie einem frisch dampfenden Essen in einen Trieb verleitet wird. Am schwierigsten fällt es ihm zu folgen, wenn es um die Liebesgeschichte mit der Prinzessin geht. Bereits in frühen Kritiken wurde angemerkt, dass Fairbanks beinahe unter dem Szenenbild begraben wird. Aber genau in dieser Spannung eines übermenschlichen Stars und seiner relativen Winzigkeit liegt ein immenser Reiz des Films. Es ist beinahe Sport, wenn die reine Physiognomie dieses Mannes an den abartigsten Geräten turnt. Wie hilflos Fairbanks von einer Kulisse in die nächste geschmissen wird und sich trotzdem mit letzter Kraft über dem Abgrund hält, ist wunderbarer Ausdruck eines Kinos, in dem es immer um den Tanz zwischen Abstraktion und Realität geht.

Im Gegensatz zu Buster Keaton, der ohnedies deutlich beeindruckendere Actionsequenzen drehte, verfehlt „Der Dieb von Bagdad“ aus heutiger Sicht allerdings oft den emotionalen Kern. So begeistert man ob mancher Szene auf das Geschehen blickt, so holprig bewegt sich der Film vor allem in der zweiten Hälfte durch seine Handlung.

Der Spezialeffekt des fliegenden Teppiches wurde in den 1920ern sehr bewundert.
Der Spezialeffekt des fliegenden Teppiches wurde in den 1920ern sehr bewundert.

Fast eine Art Trampfigur

Raoul Walsh, der oftmals ignoriert wird in Besprechungen des Films, fühlt sich sichtbar dann am wohlsten, wenn er Fairbanks als gesellschaftlichen Außenseiter zeigen kann. Dann wird er fast zu einer Art Trampfigur und Walsh, der viele der Komparsenrollen mit lokalen Herumtreibern besetzte, beweist sein in späteren Filmen deutlich offensichtlicheres Gefühl für den Untergrund. Dass er diese riesige Produktion in nur 35 Tagen drehte, spricht für eine immense Drehökonomie.

Der Einfluss des Films, der lange Zeit fatalerweise nur in Schwarz-weiß-Kopien gezeigt wurde, ist erheblich. Von Lotte Reiniger über die zahlreichen Remakes des Stoffs oder E.T. – Der Außerirdische bis zu sämtlichen von „Tausendundeiner Nacht“ beeinflussten Werken, lässt sich immer eine Spur dieses Films erkennen, der so sehr prägte, wie man sich die Traumlandschaft Arabien vorstellen kann.

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