Coming-of-Age ist kein Einstieg ins Leben, sondern
schon das Leben selbst. In der letzten Folge von „Elsewhere“ findet Till
Kadritzke Notizen zu einem Film von Christophe Honoré, erinnert sich aber
nur an Louis Garrel und Léa Seydoux.
Es ist schwierig, die eigentümliche Faszination für „La belle personne“ (Das schöne Mädchen) festzuzurren. Sie hat, das lässt sich zugeben, viel zu tun mit Louis Garrel und Léa Seydoux, mit ihren Gesichtern und ihrem Sex-Appeal. Seydoux’ Gesicht hat hier kaum Konturen, ist eine zerbrechliche Fläche, verdeckt von tiefschwarzen Haaren. Ihre Mutter ist gerade gestorben. Garrel ist der Schönling, mehr muss er nicht sein. Und dann gibt es die Kids auf der Schule mit ihren endlosen Beziehungen, Affären, Verstrickungen, Verwechslungen, und alles nimmt dieser Film schmerzhaft ernst. Coming-of-Age ist hier kein Einstieg ins Leben, sondern schon das Leben selbst.
Und wie Seydoux und Garrel sich dann anziehen! Von der ersten Begegnung ist klar, dass es hier ein Begehren gibt, auch wenn sie sich gar nicht ansehen. Aber man hört eine Oper in dieser Zeit. Das ist überhaupt eines der schönsten Dinge an diesem Film: dass immer wieder, oft inner-diegetisch, Musik läuft, die das Bild erhebt, wie sich aber niemals diese Musik, die Kino wird, des Films und der Figuren bemächtigt. Es bleibt bei einer Situation in einer Schulklasse, die Musik kondensiert nicht auf einmal alle Konflikte der Figuren und ohnehin das ganze Leben in eine Nahaufnahme. Und doch spendet die Musik der Situation etwas, gehört zur Situation.
Keine Schuldgefühle
Ich weiß nicht, ob der Junge dann wirklich sterben muss (ihr Freund, ihr Alibi), der nett ist und ein bisschen langweilig. Andererseits bringt er sich nicht für melodramatische Zwecke um. Viel länger ist die Szene, in der das Blut vom Schulhof gewaschen wird. Es gibt keine Schuldgefühle, nur ein tolles Ende: Erst will Garrel reden, Seydoux willigt zögerlich ein, dann laufen die beiden los, rennen Händchen haltend durch die Stadt, um in einem Zimmer anzukommen, in dem sie dann doch nicht mehr will. Vertrösten. Er wird da sein. Aber sie nicht mehr. Will ihn nicht mehr sehen.
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