In den 1960er-Jahren machte
sich der junge Schauspieler Jacques Perrin dank seines blendenden Aussehens und
seiner introvertierten, melancholischen Erscheinung einen Namen im
französischen und italienischen Film. Bald wurde er auch zum engagierten
Produzenten, der die Politthriller von Costa-Gavras ebenso ermöglichte wie in
späteren Jahren aufwändige Naturdokumentationen wie „Nomaden der Lüfte“. Ein
Nachruf.
Der elegante weißhaarige Mann bewegt sich mit Ehrfurcht in dem alten Kinogebäude, wie in einem Heiligtum. Am Ende von Giuseppe Tornatores „Cinema Paradiso“ ist der Filmemacher Salvatore nach Jahrzehnten in sein sizilianisches Heimatdorf zurückgekehrt, nachdem sein alter Freund, der Filmvorführer Alfredo, gestorben ist. Auch das titelgebende Kino steht kurz vorm Abriss, und so wandert Salvatore ein letztes Mal ergriffen durch das Haus, in dem er als Kind die Liebe zum Film erlernt hat. Mitnehmen aus dieser Wiederbegegnung mit der Vergangenheit kann er immerhin Alfredos Vermächtnis an ihn: Ganz allein in einem Kino-Vorführsaal lässt Salvatore eine alte Filmrolle laufen, die all jene Küsse und Liebesbekundungen aneinander montiert enthält, die Alfredo aus „Sittlichkeitsgründen“ einst für die Dorf-Aufführungen aus Filmen herausschneiden musste. Es ist ein zarter, außergewöhnlich intimer Augenblick, in dem der sichtlich bewegte, von den Bildern gefangene Salvatore zur Identifikationsfigur für jeden Zuschauer von „Cinema Paradiso“ wird. Der einzigartige Zauber des Kinos ist in diesem Moment in aller Reinheit enthalten.
Als Salvatore hat der französische Schauspieler Jacques Perrin in der Rahmen-Handlung von Tornatores wehmütiger Kino-Hommage kaum Text, dennoch ist sein Beitrag zur emotionalen Wirkung des Films enorm. Tornatore nutzt Perrin als Spiegel, um in seinen Reaktionen auf das Kinopublikum zurückzustrahlen. Die Heimkehr Salvatores ist eine Konfrontation mit dem Verlust und der Trauer, auch wenn viele der Wiederbegegnungen mit Bekannten aus seiner Jugend froh und mit Blick auf gemeinsame glückliche Erinnerungen verlaufen. Jacques Perrins Mienenspiel im Angesicht von Filmprojektoren zeigt ausgezeichnet die mimischen Gaben des Darstellers: Die blauen Augen blicken melancholisch, aber gefasst und aufmerksam, die feinen Gesichtszüge unterstreichen die Sensibilität. Der seinerzeit nicht mal 50-jährige Franzose erweckt in diesen Momenten scheinbar mühelos den Eindruck einer Instanz, auf deren hingebungsvollen Einsatz für das Kino unbedingt zu vertrauen ist.
Verdienste vor und hinter der Kamera
Man muss in dieser Rolle auch einiges von Jacques Perrins eigener Persönlichkeit sehen, der sich über seine schauspielerische Arbeit hinaus schon früh auch in anderen Bereichen des Kinos Verdienste erwarb. Zur Entstehungszeit von „Cinema Paradiso“ waren seine Kinorollen bereits seltener und kleiner geworden als zu Beginn seiner Karriere. Der 1941 geborene Sohn einer Schauspielerin und eines Theaterregisseurs war schon als Kind auf der Bühne und gelegentlich vor der Kamera zu sehen, Anfang der 1960er-Jahre wurde er zu einem vielgesuchten Darsteller in Frankreich und auch im Nachbarland Italien. Valerio Zurlini besetzte den ungewöhnlich gut aussehenden jungen Schauspieler neben Claudia Cardinale in „Das Mädchen mit dem leichten Gepäck“ (1960) und sehr effektvoll als kranken Bruder von Marcello Mastroianni in „Tagebuch eines Sünders“ (1962). Mit „Die 317. Sektion“ (1964), einem unverhüllt harten, illusionslosen Drama über den Indochina-Krieg, begann Perrins Zusammenarbeit mit dem Regisseur Pierre Schoendoerffer, in dessen Abrechnungen mit dem französischen Kolonialismus er noch mehrfach zu sehen war – darin spielte er nur auf den ersten Blick unversehrt wirkende Protagonisten, die von der Gewalt um sie herum getroffen werden, ohne sie von ihrer eigenen Persönlichkeit völlig fernhalten zu können. Diese Filme etablierten Jacques Perrin als ernstzunehmenden, sensiblen Nachwuchsdarsteller, der zur selben Zeit bei Jacques Demy aber auch eine spielerische Ader zeigte: Als verträumter Matrose unterstützte er „Die Mädchen von Rochefort“ (1967), in „Eselshaut“ (1970) war er ein vorbildlicher Prinz.
Obwohl Jacques Perrin sich in diesen unterschiedlich ausgerichteten Rollen bewährte, war es wohl gerade auch sein jugendlich-makelloses Aussehen, das sein Können als einer der interessanten jungen Darsteller der Zeit verdeckte. Amerikanische Schauspieler – man denke an Robert Redford oder George Clooney – haben sich in derselben Situation durch ambitionierte Regie-Arbeiten zusätzliche Anerkennung verschafft, im Fall von Jacques Perrin war es die Produktion, die zu seinem zweiten Standbein wurde. Als die Umsetzung von „Z“, dem ehrgeizigen Politthriller-Projekt von Constantin Costa-Gavras, 1968 auf der Kippe stand, sprang der 27-jährige Perrin – zuvor bereits in zwei anderen Filmen des gebürtigen Griechen mit von der Partie – mit seiner gerade gegründeten Produktionsfirma ein, empfahl die Verlegung des Drehs nach Algerien und spielte selbst die kleine Rolle eines Fotojournalisten – neben Stars wie Yves Montand und Jean-Louis Trintignant, die für ein Minimum an Gage mitwirkten.
Politische Kommentare und aufwändige Naturfilme
Die vielfachen Preise für Costa-Gavras’ Attacke auf die griechische Militärdiktatur bestätigten Perrin in seiner Produzenten-Tätigkeit, die er mit dem Regisseur bei „Der unsichtbare Aufstand“ (1972) und „Sondertribunal“ (1975) fortsetzte. Einen pointierten Kommentar zur französischen Geschichte unterstützte er auch bei Jean-Jacques Annauds Kolonialsatire „Sehnsucht nach Afrika“ (1976), während er bei Benoît Lamys „Trautes Heim“ (1973) über einen Aufstand von Altersheimbewohnern gegen die autoritäre Leiterin an einer Parabel mit Gegenwartsbezug Anteil hatte. Noch einmal mit Valerio Zurlini kam er bei „Die Tatarenwüste“ (1976) zusammen, in dem er auch die Hauptrolle eines Soldaten im sinnlosen Festungseinsatz spielte.
Während Jacques Perrin seine schauspielerischen Auftritte nie komplett aufgab, traten sie in den folgenden Jahrzehnten noch weiter zurück, oft sind es etwa kurze Szenen, in denen er als „ältere Version“ von Figuren der Filme erscheint, wie in „Der Pakt der Wölfe“ (2001), „Rémi – sein größtes Abenteuer“ (2018) oder – als Echo von „Cinema Paradiso“ – als Dirigent in der Rahmenhandlung von „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ (2004), dem Regie-Debüt seines Neffen Christophe Barratier. Dafür belebte er ab den 1990er-Jahren jedoch seine Produzenten-Tätigkeit noch einmal auf innovative Weise neu: Mit „Mikrokosmos – Das Volk der Gräser“ (1995) stand er hinter einem seinerzeit technisch bahnbrechenden Naturfilm, der durch den Einsatz kleinster Kameras, lange Produktionszeit und ein Vertrauen auf die unmittelbare Faszinationskraft von Tier- und Pflanzenwelt Maßstäbe setzte. Mit „Nomaden der Lüfte“ (2001), „Unsere Ozeane“ (2009) und „Unsere Wildnis“ (2015) folgten weitere Dokumentarfilme, bei denen Jacques Perrin teilweise auch Regie führte. Neben dem formalen Aufwand besticht bei ihnen der Verzicht auf konstruierte Handlungen, mehr aber noch das stete Bewusstsein der Endlichkeit all dieser eindrucksvoll in kleinen Details gezeigten Welten. Daran, dass es sich dafür zu kämpfen lohnte, ließ Jacques Perrin aber keinen Zweifel. Ein gutes Vorbild zu geben, nannte er 2019 in einem Interview mit dem „Figaro“ als immer noch wichtigstes seiner Ziele. Am 21. April 2022 starb der Schauspieler, Produzent und Naturschützer Jacques Perrin in seiner Heimatstadt Paris.