© Cross Cult (Cover-Ausschnitt von „Judas")

Judas: Ein Comic

Jeff Loveness, der auch als Drehbuchautor fürs Marvel Cinematic Universe schreibt, hat sich in einem Comic dem biblischen Judas Iskariot gewidmet

Veröffentlicht am
19. April 2023
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Gleich im ersten Panel wandert ein Beutel mit den berüchtigten 30 Silberlingen von einer Hand in die andere. Dann sieht man den sprichwörtlich gewordenen Judaskuss, und in einem dritten Bild die Passion: Jesus, wie er das Kreuz trägt. Davor steht als Prolog des „Judas“-Comics von Jeff Loveness (Story) und Jakub Rebelka (Bilder) ein Zitat aus dem Matthäusevangelium: „Doch wehe dem, der den Menschensohn verrät. Es wäre besser für ihn, nie geboren zu sein.“ Die Textinserts zu den Panels dagegen erteilen Judas selbst das Wort, für eine Frage an Christus, die auch eine Anklage ist: „Von Anfang an? Hast du alles geahnt? Hast du mich darum auserwählt?“


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Judas geht mit Gott ins Gericht

„Jede Geschichte braucht einen Bösewicht“ heißt es auf dem Klappentext der deutschen Ausgabe dieser im Original 2018 erschienenen Comic-Interpretation des biblischen Judas Iskariot, die nun in deutsch beim Verlag Cross Cult erschienen ist. Autor Jeff Loveness, der nicht nur als Comic- sondern auch als Drehbuchautor aktiv ist und fürs „Marvel Cinematic Universe“ mit „Ant-Man: Quantumania“ darangegangen ist, in Form von Kang dem Eroberer den Hauptbösewicht für die „Multiverse Saga“ des Superhelden-Franchises zu konturieren, wendet sich damit einer besonders tragischen Schurkenfigur der christlichen Kulturgeschichte zu. Tragisch wegen ihres in den Evangelien geschilderten Schicksals als derjenige unter den zwölf Aposteln, der Jesus Christus an seine Verfolger ausgeliefert, damit die Räder für seine Verurteilung und den Kreuzestod ins Rollen gebracht und sich laut Matthäusevangelium anschließend aus Reue erhängt haben soll. Tragisch aber auch, weil ihre Rezeption als Erzverräter unlöslich mit dem christlichen Antijudaismus verstrickt ist: Judas als Prototyp eines Judentums, von dem sich das Christentum abgrenzte und das es verteufelte. Was Zeichner Jakub Rebelka mitreflektiert, wenn er seinen Comic-Judas demonstrativ in einen Tallit, den traditionellen jüdischen Gebetsmantel, kleidet.

© Cross Cult Verlag
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Loveness und Rebelka machen Judas zum zerquälten Antihelden und siedeln seine Geschichte im Jenseits an: Jesus ist bereits gekreuzigt; Judas hat sich aus Verzweiflung erhängt und ist in eine Hölle gefahren, die nicht als feuriger Schlund imaginiert wird, sondern als in düsteren Blau- und Grautönen dämmernden Orkus. In einer Montage aus Erinnerungen ans Diesseits und Begegnungen im Jenseits geht die Figur mit ihrem Schicksal ins Gericht – und mit einem Christus, der sie sehenden Auges ihre Rolle in einem göttlichen Heilsplan spielen ließ, der durch den Kreuzestod die Menschheit erlösen soll, für Judas aber Verdammnis bedeutet: „Wenn ich dich immer verraten sollte und keine Wahl hatte, warum bin ich dann hier?“


Die Ungerechtigkeit der göttlichen Vorsehung

Aus dem als Verräter Verrufenen wird hier ein Leidender, der sich seinerseits in seinen Glaubenshoffnungen vom Gekreuzigten verraten fühlt, der sich von ihm als Messias alles erhoffte und dann mit einem unerträglichen Schuld-Stigma allein gelassen wurde. Eine Antwort bekommt Judas auf die Frage, warum er nun in der Hölle ist, zunächst von Luzifer höchstselbst, dem er bei seiner Jenseitsreise begegnet: Weil angebliche Bösewichter wie Judas, die die Unterwelt bevölkern, sozusagen den Kopf hinhalten müssen für die Versäumnisse Gottes – für die traurige Wahrheit, dass so, wie die Welt und die Geschichte aussehen, Gott unmöglich gut und allmächtig sein kann: „Ich habe sein wahres Ich gesehen“, sagt der Gefallene Engel: „Es genügte nicht. Er hätte mehr sein können.“

© Cross Cult Verlag
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Loveness steuert seinen Judas also mitten hinein ins Herz des Glaubenszweifels, bei dem es letztlich um nichts weniger als die alte Theodizeefrage geht – und eröffnet ihm schließlich doch unerwartet eine letzte Sinnperspektive, als er bei seiner Jenseitsreise einem Jesus begegnet, der nach der Passion „hinabgestiegen in das Reich der Toten“ seiner Auferstehung harrt.

So wird Loveness’ Comic letztlich zu einer beziehungsreichen popkulturellen Variation des apokryphen Judasevangelium und reiht sich in die Tradition der Judas-Apotheosen von Schriftstellern wie Walter Jens, Amos Oz oder Jorge Luis Borges ein. Zusammen mit Rebelkas Bildern, die im Fluss der Erzählung immer wieder mit ganzseitigen Tableaus innehalten und in Sachen Dramatik und Pathos mit Gustave Dorés Illustrationen zu Miltons „Paradise Lost“ und Dantes „Göttlicher Komödie“ zu wetteifern scheinen, gelingt damit eine packende Korrektur der alten Bösewicht-Klischees.


Jakub Rebelka & Jeff Loveness: "Judas". Cross Cult Verlag, Ludwigsburg 2023. Sonderformat, HC, 4c, 112 Seiten, 30 EUR.



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