© imago/Abacapress (William Friedkin)

New Hollywood Maverick - William Friedkin

Ein Nachruf auf den US-amerikanischen Regisseur William Friedkin (29.8.1935-7.8.2023)

Veröffentlicht am
29. November 2023
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Der 1935 geborene US-Filmemacher William Friedkin kam vom Dokumentarfilm. In den 1970er-Jahren wurde er mit „Brennpunkt Brooklyn“ und „Der Exorzist“ jedoch zu einer der prägenden Figuren des New Hollywood. Auch sein späteres Werk, das von der Filmkritik weitgehend missachtet wurde, verdient Beachtung, denn Friedkin transformierte darin Genremechanismen in radikale Kunstwerke. Ein Nachruf auf den Regisseur, der am 7. August verstorben ist.


Als William Friedkin 1971 den Academy Award als „Bester Regisseur“ erhielt, wurde er schnell als „Wunderkind“ des sich gerade formierten New Hollywood gehandelt. Sein vom Fernsehen geschulter dokumentarischer Blick und der furchtlose Wille zum Experiment erfand das Genre des Polizeifilms in „Brennpunkt Brooklyn“ buchstäblich neu und zeigte, wie indifferent und nah sich Kriminalität und Polizei sein konnten. Zur oft atonalen Musik von Don Ellis und den harschen Handkameraaufnahmen von Owen Roizman ließ er den wenig sympathischen New Yorker Polizisten ‚Popeye’ Doyle (Gene Hackman) durch die Straßen New Yorks toben. Die manische Verfolgungsjagd zwischen Hochbahn und Auto sucht noch heute ihresgleichen.


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Kaum jemand konnte damals ahnen, dass Friedkin im Anschluss einen der erfolgreichsten Filme überhaupt drehen würde: den Horrorfilm „Der Exorzist“ (1974). Damit erschloss er das Genre nachdrücklich zwischen Gesellschaftsporträt, Mutter-Tochter-Drama und Theodizee und etablierte den Blockbuster der 1970er-Jahre.

Von diesen Werken zehrte Friedkin bis zu seinem Tod am 7. August mit Alter von 87 Jahren. Im Grunde, so betonte er immer wieder, „hätte er sich nach ‚Der Exorzist‘ zur Ruhe setzen können“. Die Filmkritik verlor ihn allerdings viel zu früh aus dem Blick (so auch Filmhistoriker James Monaco). Umso wichtiger erscheint es, rückblickend zu verstehen, was dieser schillernde Veteran des New Hollywood der Filmwelt eigentlich hinterlässt.

Früher "Oscar"-Erfolg: "Brennpunkt Brooklyn" (© IMAGO / Everett Collection)
Früher "Oscar"-Erfolg: "Brennpunkt Brooklyn" (© IMAGO / Everett Collection)

Friedkins Karriere kann in vielerlei Hinsicht als prototypisch für die aufstrebende Generation junger Filmemacher in den späten 1960er-Jahren gelten. Seine Ausbildung genoss er in der Fernsehproduktion, wo er beispielsweise die Aufzeichnung von Musicals organisierte. Das war eine Erfahrung, die ihm seinen ersten Kinofilm eintrug: das Rock’n’Roll-Musical „Good Times“ (1967) mit Sonny und Cher. Das Bühnengeschehen und die Musiknummern bestimmten auch seine folgende Satire „Die Nacht als Minsky’s aufflog“ (1968). Eine erste deutliche Spur im Rahmen der Hollywood Renaissance nach 1967 hinterließ die Adaption eines erfolgreichen Off-Broadway-Bühnenstücks von Mart Crowley, das Friedkin 1970 als „Die Harten und die Zarten“ ins Kino brachte. Der Film etablierte nicht nur das Thema Homosexualität in Hollywood, sondern kann als Pionierwerk des queeren Kinos gelten. Da die Inszenierung extrem nah an dem zugrunde liegenden Theaterstück bleibt, wurde weniger die explizite Darstellung sexueller Situationen zum Skandal, als vielmehr die radikale Innensicht eines rein homosexuellen Mikrokosmos. Der Erfolg bestätigte nicht nur die Existenz eines homosexuellen Publikums, sondern auch die Notwendigkeit, diesem einen authentischen Ausdruck zu verleihen.


Suspense & Exzess

In seinen Fernsehjahren hatte Friedkin für Alfred Hitchcock gearbeitet, der zusammen mit Fritz Lang und Orson Welles zu seinen Vorbildern zählte. Von ihnen lernte Friedkin die Inszenierung von spannungsreichem Genrekino, das er mit den dokumentarischen Mitteln der Reportage neu belebte.

Friedkin in den 1980ern beim Dreh von "Rampage" (© IMAGO / Everett Collection)
Friedkin in den 1980er-Jahren beim Dreh von "Rampage" (© IMAGO / Everett Collection)

Männerbeziehungen dominieren seine Werke „Brennpunkt Brooklyn“ und „Der Exorzist“, seien es nun korrupte Polizisten oder an ihrem Glauben zweifelnde Priester. Wie nah diese (Anti-)Helden dem Verbrechen und dem Bösen selbst kommen, zeigen diese Filme mit irritierender Konsequenz. Der auf dem gleichnamigen Roman des Jesuiten William Peter Blatty basierende Horrorfilm „Der Exorzist“ beschreibt das schleichende Eindringen des Bösen in die in bürgerlicher Selbstzufriedenheit ruhende amerikanische Mittelstandswelt.

Ein erfahrener (Max von Sydow) und ein junger Priester (Jason Miller) treten an, das von dem assyrischen Dämon Pazuzu besessene Mädchen Regan (Linda Blair) in einem entbehrungsreichen Exorzismus von ihrer Heimsuchung zu befreien. Mit Hilfe spektakulärer Effekte - vornehmlich auf der auditiven Ebene - und skandalträchtiger Blasphemien läutete dieser Film eine neue Ära filmischen Terrors ein, die erstmals auch auf den Mainstreamfilm Wirkung zeigte. Stilistisch blieb Friedkin ähnlich kühl wie in seinen Polizeifilmen. Er hält Distanz zu den Figuren, bemüht sich aber stets, sie in ein alltägliches, genau beobachtetes Geschehen einzubinden.

Friedkins dokumentarischer Blick, der seine Poesie sehr verdeckt entfaltet, ist befremdlich und wirkt sogar inhuman. Es ist kaum verwunderlich, dass sich Friedkin für ein Remake des ähnlich orientierten Henri-Georges Clouzot-Films „Lohn der Angst“ (1953) interessierte. Seine eigene Vision „Atemlos vor Angst“ (1977) ist ein außergewöhnlich versiert inszenierter Dschungelthriller, hatte aber unter zahlreichen Widrigkeiten zu leiden. Kritik und Publikum betrachteten ihn lediglich in seiner Funktion als Remake - was die Verlagerung der inhaltlichen Akzente ignoriert; außerdem erschien in Europa lediglich eine inhaltlich extrem gekürzte Version, die große Teile der Personencharakterisierung aussparte.

"Atemlos vor Angst" (© IMAGO / Everett Collection)
"Atemlos vor Angst" (© IMAGO / Everett Collection)

Friedkins Interesse konzentrierte sich jedoch stark auf den politischen Aspekt der lateinamerikanischen Militärdiktaturen und die kriminelle Vorgeschichte der Soziopathen. Das kommerzielle Scheitern des von den deutschen Elektronikern Tangerine Dream außergewöhnlich düster vertonten Werkes schien sein Schicksal in Hollywood besiegelt zu haben. In einem Akt der Neuorientierung dreht er im Anschluss den soliden Historienfilm „Das große Dings bei Brink’s“ (1978), eine Gangsterkomödie, die rückblickend etwas blass und unpersönlich in seiner Filmografie steht.


Allegorien des Niedergangs

Aus dem sehr wechselhaften Werk der 1980er- und 1990er-Jahre, von zahlreichen Fernseharbeiten begleitet, ragen die drei großen Thriller „Cruising“ (1980), „Leben und Sterben in L.A.“ (1985) und „Jade“ (1995) heraus. Alle drei Filme benutzen Versatzstücke des Polizeifilms, um komplexe Allegorien auf die von Korruption und Perversion durchzogene US-Gesellschaft zu entwerfen. In „Cruising“ porträtiert Al Pacino einen von sexuellen Identitätszweifeln geplagten Undercover-Cop, der in die schwule Lederszene New Yorks eintaucht, um einen Serienmörder zu ködern. In düsteren Farben zeigt der Regisseur den Mordtrieb als virenartigen Selbstzerstörungsmechanismus einer fauligen Gesellschaft.

Leben und Sterben in L.A.“ adaptiert die korrupten Drogenfahnder der 1970er Jahre als rücksichtslose FBI-Agenten, die auf der Suche nach einem psychopathischen Geldfälscher (Willem Dafoe) ein mörderisches Inferno entfesseln. Kommunikationsunfähigkeit, Bisexualität und Sadismus dominieren diese staubigen, von der Sonne versengten Überreste eines amerikanischen Traums. „Jade“ führt schließlich den in den frühen 1990er-Jahren so populären Erotikthriller zu eigenen Höhen, indem er die US-amerikanische Führungsschicht von Anwälten und Politikern als bigotte Maskenträger outet, die ihre Integrität lediglich mit rationalisierten Mordanschlägen tarnen können. Ebenso wie „Leben und Sterben in L.A.“ audiovisuell intelligent und stellenweise elegant inszeniert, lässt Friedkin die Schauspieler in verstörender Apathie agieren: Er entwirft eine Welt der sozialen Masken, der Geheimnisse und unterdrückten Sexualität.

"Leben und Sterben in L.A." (© IMAGO / Everett Collection)
"Leben und Sterben in L.A." (© IMAGO / Everett Collection)

Eine Sonderposition kommt dem 1987 inszenierten Serienkiller-Drama „Rampage“ (1987) zu, das eine komplexe Auseinandersetzung mit dem Problem der Todesstrafe darstellt. Dieser Film wurde im Rahmen der Serial-Killer-Welle in den 1990er-Jahren wieder entdeckt und restauriert, bekam jedoch nie die verdiente Aufmerksamkeit. Wieder war Friedkins Blick zu klinisch, waren die Charaktere zu ambivalent, um auf Publikumswirkung zählen zu können. Dabei setzt dieser Film Friedkins Interesse an der US-amerikanischen Rechtsprechung fort, das ihn seit der Reportage „The People vs. Paul Crumb“ (1962) begleitet. So verfilmte er 1997 „Die zwölf Geschworenen“ neu („Die 12 Geschworenen“), verhandelte die Einsatzregeln des US-Militärs im Gerichtsthriller „Rules – Sekunden der Entscheidung“ (2000) und konnte noch vor seinem Tod „The Caine Mutiny Court-Martial“ (2023) abschließen.


Unterschätztes Spätwerk

Ginge es darum, das Herzstück von Friedkins Oeuvre zu untersuchen, würde ich jedoch von zwei wesentlichen, persönlich motivierten Trilogien sprechen: „Brennpunkt Brooklyn“, „Der Exorzist“ und „Atemlos vor Angst“ behandeln durchaus homoerotisch konnotierte Männerfreundschaften unter extremsten Bedingungen. Die 1980er- und 1990er-Jahre werden jedoch von Friedkins Vision einer Innenansicht der US-Gesellschaft dominiert: die Thriller „Cruising“, „Leben und Sterben in L.A.“ und „Jade“ entwerfen komplexe, allegorische Modelle aus einer schonungslosen Chirurgenperspektive. Auf diese „infernale Trilogie“ folgten später noch ebenso unterschätzte Varianten. „Die Stunde des Jägers“ (2003) zeigt Tommy Lee Jones und Benicio del Toro als Ausbilder und Meisterschüler und verhandelt die Kriegstraumata der 1990er-Jahre, die Monster hervorbringen. In „Bug“ (2006) erlebt man die Innensicht der eskalierenden Paranoia eines isolierten Pärchens, die auf beklemmende Weise an die aktuellen Verschwörungstheorien der US-Gesellschaft gemahnt. Und „Killer Joe“ (2011) mit Matthew McConaughey etabliert als titelgebenden Antihelden einen Neo-Cowboy, der als Mietkiller an jene Mythen der US-Geschichte erinnert, in denen Massenmörder wie Buffalo Bill oder General Custer zu Nationalhelden wurden.

"Die Stunde des Jägers" (© IMAGO / Allstar)
"Die Stunde des Jägers" (© IMAGO / Allstar)

„Maverick Director“ William Friedkin war ein virtuoser Genrespezialist, der mit den Mitteln von Autoren- und Dokumentarfilm ein finsteres Bild einer Gesellschaft zeichnet, in der das Böse wie ein Virus wuchert und die Reihen lichtet. Friedkins Filme sind komplex und beim ersten Sehen schwer greifbar. Zum unverwechselbaren Merkmal seiner Handschrift gehören die verstörenden Flashbacks oder Vorausgriffe. Diese Zerstörung einer linearen Zeit wirft Fragen auf, die erst spät, oft zu spät, erklärt werden, und das Publikum zum immer neuen Überdenken zwingen. Friedkin transformierte Genremechanismen in radikale Kunstwerke: „Das US-Kino war einmal eine Kunstform, jetzt ist es so korrupt und kaputt wie ganz Amerika“, resümierte William Friedkin schon 1996. Mit ihm verliert die filmische Moderne eine ihrer prägnantesten Stimmen.

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