© Olivier Marceny (aus "Black Tea")

In der Fremde

Über Filme von Bruno Dumont, Abderrahmane Sissako, Claire Burger, Hong Sang-soo, afrikanische Statuen und Nilpferde im Berlinale-Wettbewerb 2024

Veröffentlicht am
09. März 2024
Diskussion

Begegnungen mit fremden Kulturen prägen viele Wettbewerbsbeiträge der diesjährigen Berlinale. Dabei gelingt der Austausch viel öfter, als dass er scheitert. Die Filme führen glaubhaft vor Augen, wie vielschichtig und bereichernd es ist, offen aufeinander zuzugehen. Über ein dominantes Thema in herausragenden Filmen der 74. Berlinale.


Kein Willkommen bei den Sch’tis. Verständlicherweise, denn die Außerirdischen sind an der nordfranzösischen Opalküste gelandet, ohne dass die sprachlich eigenwilligen Anwohner dies merken sollen; sie haben sich inkognito unters Volk gemischt. Doch untereinander erkennt man sich leicht und ist durchaus bemüht, auch unter den Menschen neue Anhänger um sich zu scharen. Denn, so die Prämisse der Science-Fiction-Satire „L’Empire“ von Bruno Dumont, der sommerlich leuchtende Schauplatz mit seinen bodenständig-knorrigen Bewohnern ist nichts weniger als das vorgedachte Schlachtfeld zwischen rivalisierenden Mächten.


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In dem neuen Film des französischen Regisseurs geht es dann episch zur Sache, mit einer Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse und vielen vertrauten Mitteln des Genres, vom auserwählten (hier: dämonischen) Kind über Lichtschwert-Gefechte bis zum „Body Snatching“. Ganz zu schweigen von Raumschiffen, die Kathedralen und Museumsbauten gleichen und ebenso lustvoll wie ironisch im überbordenden Aufwand des Science-Fiction-Kinos schwelgen.

Die gute Seite der Macht: Anamaria Vartolomei in "The Empire" (Tessalit Prod.)
Die gute Seite der Macht: Anamaria Vartolomei in "The Empire" (© Tessalit Prod.)


Bruno Dumont wäre aber nicht der in den letzten zehn Jahren zum Philosophie-Schelm avancierte Filmemacher, wenn er das Genre nicht auch gründlich durch den Kakao ziehen würde. Dessen Pathos und exzentrischem Personal (inklusive Kleidung, mitunter körperlosem Erscheinungsbild und Zerrstimmen) nimmt sich „L’Empire“ ausgelassen an, wobei sie sich an der nonchalanten Konfrontation mit dem Alltäglichen à la Dumont reiben, namentlich an den grotesken Auftritten des schon aus seinen Fernsehserien bekannten begriffsstutzigen Gendarmen-Duos. In der polarisierenden Kompromisslosigkeit von Einfällen und Humor war dies bei der Premiere im Berlinale-Wettbewerb zwar manchem zu viel des Guten, doch für seine schiere Fabulierfreude verdient „L’Empire“ vollsten Respekt.

Weiter abgehoben vom trivialen Thesenkino, für das die Berlinale lange Zeit so verrufen war, kann ein Film kaum sein. Doch kaum ein anderer Wettbewerbsbeitrag verhandelte mit dem Ringen von Gut und Böse ein derart „großes“ Thema und präsentierte sich dabei so entwaffnend menschenfreundlich. Denn bei allem Unwissen, was die Präsenz der außerirdischen Kräfte angeht, erwerben sich die Menschen mit ihrer Bescheidenheit das Mitgefühl der „guten Macht“. Erdlinge und Extraterrestrische trennen beileibe keine Welten.


Vom Willen, sich gegenseitig zu verstehen

Das Glück der Begegnungen zwischen fremden Kulturen ist auch durch andere Filme zu einem der bestimmenden Themen im 74. Berlinale-Wettbewerb geworden. In vollendeter Zartheit erzählt Abderrahmane Sissako in „Black Tea“ vom Zusammenleben afrikanischer Einwanderer mit den Einheimischen im chinesischen Guangzhou. Das „Chocolate City“ genannte Viertel hat verschiedene Anlaufstationen für die aus Côte d’Ivoire stammende Aya (Nina Mélo), insbesondere einen Friseursalon und ein Teegeschäft. Dessen Besitzer Cai (Chang Han) nimmt Aya unter seine Fittiche und erfüllt ihren Wunsch, in die diffizilen Geheimnisse von Teezeremonien eingeführt zu werden. Im Keller des Ladens lernt sie in intimen Nachtsitzungen, wie Kannen, Schüsseln & Co. gehandhabt werden müssen, und lässt Cai ihre Hände führen, um die hochpräzisen Gesten einzuüben. Die Behutsamkeit dieser Vorgänge prägt auch die Gespräche zwischen den beiden, denn dem Teehändler liegt ein wunder Punkt aus der Vergangenheit auf der Seele, und so tasten sie einander lange Zeit nur zurückhaltend ab.

"Black Tea" (© Olivier Marceny)
"Black Tea" (© Olivier Marceny)

Gerade daraus baut der Film allerdings eine immense Spannung auf. Die Konzentration im Umgang betrifft zudem auch die anderen Figuren, auch wenn nicht alle so mit ihrem seelischen Ballast hinter dem Berg halten wie Cai. Den Mikrokosmos eint der Wille, sich gegenseitig zu verstehen und zu unterstützen, was der Film in pointierten Gesten und warmen Farben zum sensiblen Porträt einer Gemeinschaft ausmalt.

In seiner Bestimmtheit und seinem leisen Nachdruck hat das etwas Bezwingendes, zumal der utopische Charakter offen daliegt. Allerdings ist auch die Fragilität des positiven Zusammenhalts schmerzhaft greifbar. Wenn bei einem Essen von Cais Familie aus der ältesten Generation heraus unverhüllter Rassismus gegenüber Afrikanern formuliert wird, reißt unvermutet ein Graben auf, dem insbesondere das jüngste Familienmitglied fassungslos gegenübersteht.


Eine deutsch-französische Freundschaft

Eine ähnliche Szene findet sich auch in dem Adoleszenzdrama „Langue Étrangère“ von Claire Burger, wo die französische Austauschschülerin Fanny (Lilith Grasmug) an einem Essen mit ihrer Gastfamilie in Leipzig teilnimmt, inklusive ostalgischem, AfD-nahem Opa. Kontra gibt diesem vor allem die trotz ihres jugendlichen Alters selbstbewusst politisch argumentierende Lena (Josefa Heinsius), die auch in anderen Situationen demokratische Werte und den Kampf gegen rechts anmahnt. Auf die unsichere Fanny wirkt der Kontakt zu ihrer Austauschpartnerin sichtlich belebend; mehr und mehr verliebt sie sich in sie. Um die Beziehung zu Lena zu vertiefen, erfindet sie auch eine eigene familiäre Nähe zu den politischen Zielen der jungen Deutschen, stößt auf fruchtbaren Boden und schmückt die Geschichte immer weiter aus.

Deutsch-französische Annäherung: "Langue Ètranger" (© Les Films de Pierre)
Deutsch-französische Annäherung: "Langue Ètranger" (© Les Films de Pierre)

Der Film setzt in einer sehr aufmerksamen Inszenierung auf zwei sensible Nachwuchsdarstellerinnen, die Stärken, Schwächen und Schutzmechanismen der Figuren hellwach verkörpern. Mehr noch als das Coming-of-Age-Motiv und die erwachende Liebe prägt „Langue Étrangère“ aber die Neugier auf die jeweils andere Kultur. Das elsässische Straßburg als Sitz des EU-Parlaments und Leipzig als historischer Ausgangspunkt der DDR-Montagsdemonstrationen werden dabei pointiert und unaufdringlich zu Eckpunkten einer deutsch-französischen Freundschaft, die in den jungen Protagonistinnen zur authentischen Verkörperung findet.


Lost in Translation

Wo hingegen bei der Französin Iris in „A Traveler’s Needs“, dem neuesten Streich von Hong Sang-soo, Wahrheit und Täuschung liegen, bleibt wie so oft in den Filmen des südkoreanischen Minimalisten offen. Iris (Isabelle Huppert) ist eines Tages in Korea aufgetaucht. Sie will mindestens einige Monate dort leben und drängt sich als Sprachlehrerin auf. Ihre Methoden sind jedoch unorthodox, wie sich in den Gesprächen mit ihren ersten Schülerinnen herausstellt, denn die gehen am Ende mit nur wenigen Sätzen in die Pause. Zwar sollen die auf Karteikarten notierten und von Iris (auf Kassette!) eingesprochenen Sätze besondere Gefühlslagen beschreiben; de facto handelt es sich aber eher um simple Phrasen, die zudem aus der auf Englisch geführten Konversation zwischen Koreanerinnen und Französin stammen.

Die Tücken fremder Sprachen: "A Traveler's Needs" (© 2024 Jeonwonsa Film Co.)
Die Tücken fremder Sprachen: "A Traveler's Needs" (© 2024 Jeonwonsa Film Co.)

Ein wenig absurd nimmt sich die Situation schon aus, sodass die Einheimischen die angebliche Lehrerin mit scheelen Blicken bedenken und das für Hong charakteristische Herumdrucksen der Figuren amüsante Ausschläge zeitigt. Demgegenüber steht jedoch das ernsthafte Interesse von Iris an koreanischen Gedichten, deren Übertragungen (gleich ob ins Englische oder Französische) aber stets an poetischer Kraft verlieren. In vollem Ausmaß aufnehmen lässt sich die fremde Kultur nicht, auch wenn alle Figuren von guten Absichten getrieben scheinen – eine dezent bittere Note in der leichten Stimmung des Films.


Das Nilpferd röhrt

Es sind Zwischenrufe wie „A Traveler’s Needs“, die in der Bandbreite des Wettbewerbs 2024 auch an die gescheiterten Begegnungen von Kulturen gemahnen, vor allem da, wo die eine der anderen mit erniedrigender Gewalt begegnet ist. So schwingt in dem Dokumentarfilm „Dahomey“ von Mati Diop in der tief hallenden Stimme der beninischen Statue, die als einer von 26 geraubten Kunstgegenständen in ihre Heimat zurückgebracht wird, immer das Unverständnis über das Geschehen mit, das auch am neuen Standort nicht schwindet. In den kontroversen Diskussionen der Beniner aber zeigt sich, dass die Menschen vor Ort nicht weniger unsicher sind im Umgang mit den Folgen des Kolonialismus. „Ich kann in meiner eigenen Sprache nicht alles sagen“, bringt es eine junge Frau auf den Punkt.

Entwurzelter Dickhäuter: "Pepe" (© Monte & Culebra)
Entwurzelter Dickhäuter: "Pepe" (© Monte & Culebra)

Auch das Nilpferd „Pepe“, das im gleichnamigen experimentellen Filmhybrid von Nelson Carlo de los Santos Arias aus südwestafrikanischen Gefilden in den Zoo von kolumbianischen Drogenbarons Pablo Escobar verschleppt wird, röhrt böse über seine Entwurzelung. Als es entkommen kann, lässt es seine Stimme bei seinen Artgenossen im Zoo zurück, verstummt und taucht in den Flüssen Kolumbiens ab. Fortan erscheint es der kolumbianischen Bevölkerung als furchteinflößendes Menetekel – ein Mahnmal für geschehenes Unrecht, hintersinnig in Szene gesetzt in einem oft hypnotischen Film.

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