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Leders Journal (XXVII): Fußballfans gegen die DFL

Leders Journal (XXVII): Wie die deutschen Fußballfans mit Tennisbällen die Finanzpläne der Deutschen Fußball Liga zu Fall brachten

Veröffentlicht am
04. März 2024
Diskussion

Der erfolgreiche Protest der Fußballfans gegen die Finanzpläne der Deutschen Fußball Liga (DFL) hatte auch eine medienpolitische Dimension. Denn die DFL zensierte lange die Spruchbänder in den Stadien. Bis das findige Publikum zu Schokoladentalern und Tennisbällen griff, die sich auf den Fernsehschirmen nicht mehr ignorieren ließen. Das erinnert ein wenig an den Kampf von David gegen den übermächtigen Goliath.


Zu den Fantasmen, die sich um das Kino entwickelt haben, gehört auch die Vorstellung, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer auf das, was auf einer Leinwand zu sehen und über Saallautsprecher zu hören ist, Einfluss nehmen können. In den 1990er-Jahren prägte sich dafür der Begriff „Interaktivität“ ein. Der Regisseur Peter Krieg entwickelte 1991 eine Vorführtechnik mit Bildplatten, bei denen diejenigen, die seinen Film „Suspicous Minds. Die Ordnung des Chaos“ in einem Kino sahen, mittels einer Fernbedienung entscheiden konnten, ob sie an bestimmten, im Projektionsbild markierten Stellen des Films einen Exkurs sehen wollten oder nicht. Der Wunsch der Mehrheit wurde dann unmittelbar umgesetzt.


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Die von Krieg entwickelte Technik nannte er „Electronic Video Interactive System“ - abgekürzt: ELVIS. Im Film ging es bezeichnenderweise um Kopisten und Imitatoren des Sängers Elvis Presley. Krieg hatte damals weitreichende Pläne, die er in einem Artikel des Futurum Medialab ausführlich skizzierte. Doch sein System stieß auf keine Begeisterung; die Wahlmöglichkeiten und ihr Nutzen waren zu gering. In den narrativen Computerspielen, wie sie Ende der 1990er-Jahre entstanden, sind eine Fülle seiner Ideen auf eine vollkommen andere Art dann aber Wirklichkeit geworden.


Pfiffe & Schmähgesänge

Im Sport und vor allem beim publikumsattraktiven Fußball spricht man den Fans in den Stadien einen gewissen Einfluss auf das Geschehen zu. So bezeichnete man in den 1970er-Jahren die Besucher in den Heimstadien gerne als „12. Mann der Mannschaft“. Diese Metapher spielte auf die Bedeutung der Stimmung an, die in einem Stadion entfacht werden kann. Vielleicht noch wirksamer ist es, die gegnerische Mannschaft mit Pfiffen und Schmähgesängen aus dem Konzept zu bringen.

Einen großen Schritt weiter bei der Einflussnahme auf das Geschehen gingen viele Fans der Fußballbundesliga seit Ende des Jahres 2023. Schon davor hatten sie auf Transparenten und mit Sprechchören gegen Pläne der Deutschen Fußball Liga (DFL) protestiert, Finanzinvestoren für eine noch zu gründende Tochterfirma zu gewinnen, mit der man künftig die Medienrechte der Spiele vermarkten will. Das durch die Investoren eingebrachte Kapital sollte zu einem gewissen Teil den Vereinen der ersten und zweiten Liga zugutekommen, von denen viele seit Jahren defizitär wirtschaften. Eine Mehrheit der Vereine stimmte diesem Plan zu. Die Fans hingegen fürchteten, dass ein solcher Investor zu viel Einfluss auf den Spielbetrieb nehmen könnte. Zudem steht die Investorenidee für einen Fußball, in dem die Interessen der Fans und der Vereinsmitglieder nichts, aber die der Kapitaleigner und Medien alles gelten.

Plötzlich regnete es Goldtaler aus Schoko in den Stadien (imago/Marc Schueler)
Plötzlich regnete es Goldtaler aus Schoko in den Stadien (imago/Marc Schueler)

Eine Form von redaktioneller Zensur

In den Live-Übertragungen der Bundesligaspiele, die sich DAZN und Sky teilen, war von diesem Protest wenig zu sehen oder zu hören. Das war kein Zufall. Denn die Übertragung der Spiele liegt schon einige Jahre in der Hand des DFL; die öffentlich-rechtlichen Sender steuern nur Live-Kommentare, Vorberichte und die Analysen nach Spielende bei. Im konkreten Fall verzichteten die von der DFL bestallten Live-Regisseure, die für den Einsatz der Kameras und für den Live-Schnitt verantwortlich sind, im Interesse ihres Auftraggebers darauf, die Transparente und Spruchbänder so zu zeigen, dass man sie vor dem Fernsehgerät auch hätte lesen können. Für einen solchen Verzicht könnte es durchaus wichtige Gründe geben, wenn es um rechtlich relevante Beleidigungen oder um Aufforderungen zu Straftaten geht. Aber in jenen Wochen wurden auch alle anderen Meinungsäußerungen gegen die DFL aus den Live-Übertragungen verbannt.

Das brachte die Fans Ende 2023 auf die Idee, ihren Protest auf eine Weise zu artikulieren, die von den Fernsehsendern nicht mehr ignoriert werden konnte. Sie begannen in fast allen Stadien während eines Spiels, massenhaft erst Schokoladentaler, dann Tennisbälle auf den Platz zu werfen. Da die Gefahr bestand, dass die Spieler auf den Wurfgegenständen ausrutschen könnten, unterbrachen die Schiedsrichter die Partien so lange, bis Ordner die störenden Taler und Tennisbälle entfernt hatten. Das dauerte stets mehrere Minuten. Damit nicht genug: Als die Vereine mehr Ordner einsetzten, um die Unterbrechung kurzzuhalten, änderten die Fans ihre Taktik. Sie verteilten ihre Würfe auf beide Halbzeiten oder nahmen sie wieder auf, sobald der Platz gesäubert war und sich die Ordner zurückgezogen hatten.

Das hatte Folgen für die Spiele selbst, denn nach den Unterbrechungen dauerte es eine Zeit, ehe die Partien wieder an Schwung gewonnen hatten. Zudem wurde manche Mannschaft durch die Unterbrechung aus ihrem taktischen Konzept gebracht. Auch für die Sender zeitigte das Folgen. So stimmten die Zeitpläne der Übertragungen nicht mehr, was etwa bei Sky zu einem zusätzlichen Chaos für die Halbzeitanalyse und die zusammenfassenden Berichte führte, die mit vielen Sponsor- und Werbeclips durchsetzt sind und also eine wichtige Einnahmequelle darstellen.


Mehr Interaktivität geht nicht

Am stärksten wirkte sich dieser spezifische Fan-Protest aber auf die Live-Übertragungen aus: Diese Störungen konnten die Live-Regisseure nicht mehr ignorieren und die Kommentatoren auch nicht weiter übergehen. Also zeigten sie nun im Live-Bild auch jene Transparente, auf denen die Gründe der Wurfaktionen benannt wurden; in ihren Live-Kommentaren sprachen sie auch über den Konflikt, den sie bis dahin weitgehend verschwiegen hatten. Zeit dazu gab es in den ungewollten Spielpausen ja genug. Selten wurde mehr über die finanziellen Strukturen des deutschen Profifußballs gesprochen als in diesen Spielpausen!

Die Fans jubeln über ihren Sieg (imago/Matthias Koch)
Die Fans jubeln über ihren Sieg (imago/Matthias Koch)

Die DFL blieb lange Zeit hart. Man lasse sich durch die Protestaktionen nicht vom Investorenplan abbringen. Doch als der erste von zwei in die engere Auswahl genommenen Investoren absprang, was angeblich ökonomische Gründe hatte und nicht auf den Fan-Protest zurückzuführen sei, wurde man in der DFL nervös. Und so verkündete man am 21. Februar 2024 den kompletten Verzicht auf die Investorenpläne. Die Fans hatten gesiegt. Sie hatten mit ihren Aktionen nicht nur in die Spiele eingegriffen, sondern in das System, das diese Spiele veranstaltet. Mehr Interaktivität geht nicht. Peter Krieg, der über einen gewissen Witz verfügte, hätte sich darüber sicher gefreut.

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