- | Frankreich 1998 | 121 Minuten

Regie: Laetitia Masson

Das Porträt einer jungen, geheimnisvollen Frau, die jede engere Bindung an andere Menschen scheut. Sie scheint dabei einem inneren Befehl zu folgen, dem die Erfahrungen vieler Generationen zugrunde liegen. Ihre Fluchten beruhen auf einer scharf zugespitzten Interpretation des Verhältnisses zwischen Männern und Frauen: eine Abhängigkeit, die vor allem über Geld geregelt wird. Mit ihrem Verhalten entblättert sie die Geschlechterbeziehungen von jeder Camouflage und opfert sich dem Ritus, indem sie den Tauschwert ihres Körpers zum Prinzip ihres Lebens macht. Das Wort "Liebe" wird dabei ausgeklammert. Erst ein Privatdetektiv, der sich auf ihre Spur begibt und sich dabei seiner eigenen Einsamkeit bewußt wird, könnte ihre innere Gefangenschaft durchbrechen. Eine kühl beobachtete, intensiv gespielte Studie. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
A VENDRE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
CLP-Le Studio Canal+/La Sofica Gimages Canal+/La Sept Arte/Le Centre National de la Cinématographie/ZDF/Arte
Regie
Laetitia Masson
Buch
Laetitia Masson
Kamera
Antoine Héberlé
Musik
Siegfried
Schnitt
Ailo Auguste
Darsteller
Sandrine Kiberlain (France) · Sergio Castellitto (Luigi Primo) · Jean-François Stévenin (Lindien) · Aurore Clément (Schwester Lindien) · Chiara Mastroianni (Mireille)
Länge
121 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Von den Blicken, der Gestalt dieser jungen Frau geht ein großes Geheimnis aus. France taucht auf und verschwindet wieder, und fast jeder, der mit ihr zu tun hatte, trägt eine Narbe in seinem Herzen davon. Wie aber steht es um sie selbst? Sandrine Kiberlain, mit traurigen Augen in einem Gesicht voller Sommersprossen, hält das Innenleben ihrer Figur bedeckt. Es scheint, als hätte sie ihre Gefühlswelt in den letzten Winkel ihres seelischen Universums verbannt. Aber in ihr muß etwas sein, was bisher niemand zu erforschen vermochte. Eine Angst vor sich und den anderen, vor Nähe, vor Hoffnung, vor Zukunft. Mit dem Titel ihres Films signalisiert Laetitia Masson, wo die Quellen von Frances Furcht zu finden sein könnten: „Zu verkaufen“ deutet auf das Wechselspiel zwischen Materiellem und Ideellem hin, auf jenen Materialismus, der das Leben zu beherrschen – und zu ersticken – droht. Nach „Haben (oder nicht)“ (fd 32 323) ist der Film die zweite gemeinsame Arbeit der Regisseurin mit Sandrine Kiberlain. Er beginnt an einem Augusttag in Marseille. Pierre, ein älterer, gedrungener und schon etwas glatzköpfiger Mann, bereitet sich auf seine Hochzeit vor. Doch in der Kirche wartet er vergebens: Die Braut ist mitsamt einer halben Million Franc verschwunden. Pierre, der dieses Geld im Rotlicht-Milieu verdient hat, schickt einen Freund auf die Suche, den italienischen Privatdetektiv Luigi. Für diesen müden, an sich selbst zweifelnden Verlierer beginnt damit eine merkwürdige Odyssee. Je mehr er den Spuren von France folgt, um so deutlicher offenbaren sich ihm die Konturen einer nicht nur auf Pierre bezogenen Fluchtgeschichte. Auch ihre kleinbürgerlichen Eltern hatte die junge Frau ohne Vorwarnung verlassen. Im Heimatort in der Champagne kann niemand beantworten, ob France jemals fähig gewesen war, sich anderen zu öffnen oder sich gar an sie zu binden. Das einzige, was man von ihr behalten hat, ist die Erinnerung an ihr sportliches Engagement: den Schnellauf, eine für den Film gleichsam symbolische Disziplin. Auch ihre späteren Stationen unterstreichen das vermeintliche Unvermögen, festen Boden unter den Füßen zu finden. France trennte sich ebenso von einem jungen Banker, der sie heiraten will, wie von einem Liebhaber, dessen Frau sie als Haushaltshilfe in die Wohnung holt.

Laetitia Masson sucht nicht nach subjektiven psychologischen Erklärungen für diesen permanenten existentiellen Drang nach Abstand. Ihre Hauptfigur scheint statt dessen einem inneren Befehl zu folgen, dem Erfahrungen von Generationen zugrunde liegen. Ohne daß France dies in Worte fassen könnte, beruhen ihre Fluchten auf einer scharf zugespitzten Interpretation des Verhältnisses zwischen Männern und Frauen: einer Abhängigkeit, die vor allem über Geld geregelt wird. Mit ihrem Verhalten entblättert sie die Geschlechterbeziehungen von jeder Camouflage und opfert sich dem Ritus, indem sie den Tauschwert ihres Körpers zum Prinzip ihres Lebens macht. Das Wort „Liebe“ wird dabei ausgeklammert; sie weigert sich rigoros, daran zu glauben. Wer mit ihr schlafen will, muß bezahlen. Als der Banker die Ehe anbietet, sieht sie den Zeitpunkt gekommen, diese Beziehung zu lösen – ebenso wie in jenem Moment, als der verheiratete Liebhaber sie danach fragt, warum sie Geld nimmt. „Zu verkaufen“ begleitet den Privatdetektiv bei seinen Recherchen und folgt der Dramaturgie seines Tagebuchs. Die kunstvolle Liaison zwischen Gegenwartsebene und Rückblenden etabliert Luigi zur zweiten, gleichberechtigten Hauptfigur. Immer deutlicher wird ihm bewußt, daß er selbst, wie France, wurzellos ist. Die Biografie der jungen Frau spiegelt sich in seiner eigenen Vita; nur daß die radikale Vereinzelung bei ihm kein Prinzip darstellt, sondern sich mehr oder weniger ereignet hat. Das Loch von Wohnung, in dem er haust und an dem draußen der Verkehr vorbeidröhnt, läßt keinen Raum für das Prinzip Hoffnung. Aber es lebt noch, dieses Prinzip, wenn auch verschüttet und verformt, auf Erlösung wartend. Wie kompliziert es sein mag, sich zu öffnen, zeigt Laetitia Masson in jener Szene, in der Luigi höchst erregt in die Villa seiner geschiedenen Frau und seines Kind schleicht, wobei die Sehnsucht nach dem klärenden Gespräch, der freundlichen Geste im Fiasko endet.

In die pure Depression will die kühl beobachtende Regisseurin ihre Zuschauer freilich nicht entlassen. Das zunächst rein geschäftliche Interesse für einen Menschen, so behauptet sie, kann eben doch in eine behutsame Nähe übergehen. Vier Wochen, nachdem Luigi den Auftrag erhalten hatte, begegnet er der gesuchten Frau zufällig in Marseille. Er liefert sie nicht an seinen Freund aus, sondern begleitet sie zur Abfahrt ihres Schiffes nach New York. Damit hätte „Zu verkaufen“ schließen können; aber Laetitia Masson knüpft einen auf Video gedrehten Epilog an: flüchtige Bilder der bettelnden, frierenden France in Amerika. Die Frage bleibt, ob sie Luigis Angebot annehmen und ihn anrufen wird. Der Erzählton und die Augen von Sandrine Kiberlain deuten darauf hin.
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