Ist Liebe nur ein Wort?

Liebesfilm | Frankreich/Italien 1998 | 84 Minuten

Regie: Mimmo Calopresti

Eine psychisch labile junge Frau verliebt sich in einen Cello-Lehrer und schickt ihm anonyme Liebesgedichte. Als sie ohne Resonanz bleiben, verschärft sich ihre Krise, aus der ihr schließlich Beharrlichkeit, andere Menschen und der Zufall einen Weg weisen. Leise, ausgesprochen filmische Meditation über die Liebe, die durch die Interpretation der herausragenden Hauptdarstellerin zu einer warmherzigen Ode auf das Leben wird, die gegen eine manische Fixierung den Prozeß seelischer Reifung setzt. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LA PAROLA AMORE ESISTE | MOTS D'AMOUR
Produktionsland
Frankreich/Italien
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Bianca Film/Caméra One/Arena Films
Regie
Mimmo Calopresti
Buch
Heidrun Schleef
Kamera
Alessandro Pesci
Musik
Franco Piersanti
Schnitt
Massimo Fiocchi
Darsteller
Valeria Bruni-Tedeschi (Angela) · Fabrizio Bentivoglio (Marco) · Marina Confalone (Sara) · Gérard Depardieu (französischer Richter) · Valeria Milillo (Giovanna)
Länge
84 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Liebesfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
In der Mythenmaschinerie des Kinos ist die Liebe oft nicht mehr als ein hochelastisches Schmiermittel, das die Versatzstücke des Plots am Laufen hält oder jene flüchtige Instant-Droge produzierte, die den nüchternen Alltag für kurze Zeit ins Reich grandioser Gefühle transzendiert. Der italienische Nachwuchsregisseur Mimmo Calopresti hingegen mutet uns Süchtigen mit seiner leisen Meditation über die Ursehnsucht zwar kein Entzugsprogramm, aber wie schon in seinem fulminanten Debüt „La seconda volta“ (fd 32 427) ein wohldosiertes Maß an Realität zu. Im Mittelpunkt seiner unspektakulären Geschichte steht eine junge Frau aus wohlhabenden Verhältnissen, die ihre desolate psychische Verfassung durch ein bizarres Regelsystem und regelmäßige Besuche bei einem Psychoanalytiker zu stabilisieren versucht. Ähnlich wie in der jüdischen Kabbala mißt sie Zahlen und Farben eine magische Bedeutung bei: die Eins steht für Einsamkeit, Zwei für Trennung, Drei dagegen symbolisiert Harmonie. Wenn sie über die Straße geht, zählt sie unablässig ihre Schritte, schlägt kleine Haken oder weicht bestimmten Farben aus; als ihr Appartement in Rom die Zimmernummer 11 erhält, will sie nicht mehr dort wohnen, weil die Quersumme zwei ergibt und ihr Leiden am Alleinsein festzuschreiben droht. In Marco, einen wesentlich älteren Cello-Lehrer, verliebt sie sich nur aus dem Grund, weil in ihrem geheimen Zahlenwerk in jenem Moment alle Bezüge stimmen, als sie ihn zufällig sieht. Ihre Kontaktversuche und anonymen Liebesgedichte lösen eine Reihe von Konfusionen aus, die schließlich in eine Zuspitzung von Angelas Krise münden. Doch auch in der Klinik am Meer dreht sich alles um „Liebe“ bzw. die Vorstellungen, die sich jeder davon macht.

Caloprestis warmherzige Ode auf das Leben ist eine cineastische Miniatur, die ganz von der Kunst seiner Hauptdarstellerin Valeria Bruni Tedeschi getragen wird. Sein ruhiger, fast dialogloser Erzählstil findet in ihrer Ausstrahlung jene innere Balance, die Alltagswirklichkeit, soziales Umfeld und die anderen Figuren zu einer vielschichtigen Reflexion über die Liebe austariert. In Bruni Tedeschis behutsamer Interpretation verlieren die Zwangshandlungen alles Wahnhafte, ohne zu Marotten minimiert zu werden; melancholisch-depressive Stimmungen fließen in ihrem großen, klaren Gesicht so stimmig mit einer tief empfundenen, gelegentlich verzweifelten Lebenslust oder den Glücksmomenten des Augenblicks zusammen, daß man in den Spiegel einer Seele zu schauen glaubt; eine gewisse Schwere vereint sie mit Güte, einem ausgeprägten Eigensinn und dem Anflug eines Versprechens, daß alles irgendwie, irgendwann gut wird. Die Vorliebe des Regisseurs für lange Einstellungen, der Verzicht auf dramatische Steigerungen und sein homöopathisches Verhältnis zur Filmmusik fügen sich hier erneut zu einem beeindruckenden Kunstwerk, dessen verhaltene Töne mehr Nachhall als jede hitzige Aufwallung hinterlassen. Caloprestis Themen, Einsamkeit, Isolation und die Gefährdung, durch manische Fixierungen sein Leben zu verschwenden, die in „La seconda volta“ zur bedrängenden Anfrage für die politische Gegenwart Italiens wurden, finden sich hier in einem weiteren Zusammenhang wieder: als sinnliche Metapher für den ebenso schmerzhaften wie notwendigen Prozeß seelischer Reifung.
Kommentar verfassen

Kommentieren