Der siebte Himmel

Liebesfilm | Frankreich 1997 | 91 (Originalf. 89) Minuten

Regie: Benoît Jacquot

Eine junge Frau und Mutter in Paris kompensiert ihre seelische Notlage durch Ladendiebstähle, bis sie unter dem Einfluß eines Hypnose-Arztes ein neues Verhältnis zu ihrem Leben und ihrer Sexualität findet. Damit stößt sie jedoch ihren Ehemann vor den Kopf, der mit Eifersucht und Ratlosigkeit reagiert. Eine karge, gelegentlich spröde erzählte Liebesgeschichte von außergewöhnlicher inszenatorischer Schönheit und Zurückhaltung, die an der Schnittstelle von Traum und Wachzustand auch von der Magie des Kinos handelt. Gerade in der Einlassung auf die unsichtbare Weite "innerer Bilder" findet der Film einen behutsamen, geradezu zärtlichen Zugang zu den Geheimnissen des Lebens und der Liebe. (O.m.d.U.) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
LE SEPTIEME CIEL
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Dacia Films/Cinéa/La Sept Cinéma/Canal +/Centre National de la Cinématographie
Regie
Benoît Jacquot
Buch
Benoît Jacquot · Jérôme Beaujour
Kamera
Romain Winding
Schnitt
Pascale Chavance
Darsteller
Sandrine Kiberlain (Mathilde) · Vincent Lindon (Nico) · François Berléand (Doktor) · Francine Bergé (Mathildes Mutter) · Pierre Cassignard (Etienne)
Länge
91 (Originalf. 89) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f (Original)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Liebesfilm
Externe Links
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Diskussion
Hypnose – das ist der schlafähnliche Zustand, der durch Suggestion künstlich hervorgerufen werden kann. Dabei ist der Hypnotiseur einerseits als seriöser Therapeut an der Schwelle zwischen Medizin und Psychologie anerkannt, wird andererseits aber häufig als Jahrmarkt-Scharlatan mit Hang zum Sensationellen diskreditiert, der mit Taschenspielertricks sein staunendes Publikum in Bann schlägt. In dieser Janusköpfigkeit ist der Hypnotiseur durchaus mit dem Filmemacher „verwandt“, der sein Medium ebenfalls im Wechselspiel zwischen Jahrmarktsattraktion und Kunst immer wieder neu definieren muß. Für Benoît Jacquot ist dieser Zusammenhang zwischen Hypnose und dem Kino Dreh- und Angelpunkt seines Films: der Zusammenhang, „wo man aus der Welt wegschlummern muß, um sich vom Film hinüberführen zu lassen in einen Zustand aufmerksamer Wachheit“. Mit einem solchen zwischen Traum und Wirklichkeit fließenden Erzählansatz entfernt sich Jacquot weit von der fast dokumentarischen Inszenierung früherer Arbeiten (darunter „La Fille Seule“, fd 32 542); bei aller Liebe zur Genauigkeit und Präzision wird „Der siebte Himmel“ von einem eigentümlichen, zunächst irritierenden Schwebezustand zwischen Lug und Trug bestimmt, und dies sowohl auf der Handlungsebene als auch im Verhältnis zwischen dem Film und seinem Betrachter, der lange nicht weiß, was er von der Geschichte halten soll. Aber: Er sollte sich wachen Auges gedulden und sich spätestens durch das himmlisch schöne Ende des Films belohnen lassen.

Zu Beginn tritt aus der Verschwommenheit unscharfer Lichtpunkte Mathilde hervor, mit feierlichem Gesichtsausdruck und aufmerksamen Augen, und doch seltsam abwesend. Die schöne junge Frau eines Chirurgen in Paris, Mutter eines etwa siebenjährigen Jungen, entpuppt sich als zwanghafte Ladendiebin à la Hitchcocks „Marnie“ (fd 12 995). Ihre Arbeit als Notarin in der Kanzlei ihrer Mutter vernachlässigt sie zunehmend, zumal sie immer wieder auch an Ohnmachtsanfällen leidet, denen lange Tiefschlafphasen folgen. Irgendetwas geht in Mathilde vor, niemand aber schaut in sie hinein, nicht ihr Mann Nico und auch nicht der Zuschauer, der sie in den vielen akribisch eingefangenen Alltagsverrichtungen als „normal“, in ihren Aussetzern vielleicht als exzentrisch bis „zickig“ erachten mag. Während einer Party begegnet Mathilde ein rätselhafter älterer Mann, der sich später als Hypnose-Arzt herausstellen wird. Schon bald übt er einen großen Einfluß auf sie aus; ihm öffnet sie sich bereitwillig und akzeptiert ihn als ihren „Meister des Windes und des Wassers“, als jene Persönlichkeit, so erklärt es ihr der Arzt, der traditionsbewußte Chinesen bei der Aufteilung der Zimmer und Möbel in einem neu bezogenen Haus berät. Denn auch Mathilde ist offensichtlich dabei, ein „neues Haus zu beziehen“: Unter dem Einfluß der Hypnose findet sie innere Ruhe und Erfüllung, vor allem auch in sexueller Hinsicht. Nachdem sie sich bislang Nicos Liebesspielen nahezu unbeteiligt hingegeben hat, empfindet sie nun ungekannte sexuelle Befriedigung. Ausgerechnet diese offen ausgedrückten Gefühlsregungen aber irritieren und verwirren Nico. Während Mathilde zu neuem Selbstvertrauen und neuer Festigkeit findet, verliert er zunehmend den Boden unter den Füßen, reagiert mißtrauisch und eifersüchtig. Er beschimpft Mathildes Arzt als Quacksalber und verfolgt sie heimlich, als sei sie in Wahrheit auf dem Weg zu einem Liebhaber, ist geradezu verängstigt und in seiner Vorstellung von Männlichkeit gekränkt.

Jacquot teilt diese Geschichte deutlich in zwei Teile, wobei sich der erste auf Mathilde, der zweite auf Nico konzentriert. Männliches und weibliches „Prinzip“, Tag und Nacht, Innen- und Außenansichten, Wachzustand und Traum, Einbildung und Wahrheit – auf diese und weitere Dualitäten baut die filmische Erzählung unaufdringlich auf, um sie ganz am Ende in einer Symbiose zu einer Art von Erlösung zusammenzuführen. Dabei konzentriert sich die Scope-Kamera paradoxerweise ganz auf die unsichtbare Weite der „inneren Bilder“, die innerhalb einer kargen, teilweise gar spröden Inszenierung wie visuelle Auslassungen stets präsent sind und für die die intensiven Gesichter der Personen gleichsam als Fenster dienen. Mathildes Hypnose-Arzt lenkt den Blick seiner in Trance versunkenen Patientin einmal behutsam zur Seite und läßt sie auf die weiße Wand wie auf eine Leinwand schauen, auf der sich die Bilder ihrer Vergangenheit einstellen; und ähnlich muß sich der Zuschauer von Jacquot lenken lassen und bereit sein, das nicht Gezeigte hinzuzuaddieren, um die Dinge zu vervollständigen. Dabei wird es immer fraglicher (aber auch unbedeutender), ob Mathildes Hypnose-Arzt wirklich existiert; vielleicht erlag der Betrachter lediglich einem imaginierten Trugbild, das sich Mathilde auf dem Weg zur Bewältigung ihrer Lebenskrise ersann. In dieser reizvollen Schwebe „zwischen den Wahrheiten“, wo sich innere und äußere Erlebniswelten behutsam berühren, wird das von Mathilde immer wieder zitierte Märchen von Nils Holgersson ebenso wahrhaftig wie ihre am Ende unverbrüchliche Liebe zu Nico. Die von Jacquot angesprochene „aufmerksame Wachheit“ verlangt deshalb vom Zuschauer auch, daß er den Nachspann des Films verfolgt: Während die Namen der am Film Beteiligten auf schwarzem Grund ablaufen, reden Mathilde und Nico weiter, in der Dunkelheit, leise, zärtlich und behutsam. Ein intimeres und zärtlicheres Moment einer liebevollen Annäherung „sah“ bzw. hörte man selten im Kino – es ist in der Tat ein Stück vom „siebten Himmel“.
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