Zeit der Jugend

Drama | Großbritannien 1998 | 127 Minuten

Regie: James Ivory

Drei Episoden aus dem Leben einer amerikanischen Familie, die, zunächst in Paris lebend, einen Adoptivsohn integriert, Jahre später mit den ersten Liebeswirren der Tochter konfrontiert wird, um sich dann, nach Amerika zurückgekehrt, in eine ihr fremd gewordene Gesellschaft einleben muss. Ein mit einfühlsamem Blick vor allem auf die Kinder außergewöhnlich elegant inszenierter Film, der ganz von der Zuneigung des Regisseurs zu seinen Protagonisten geprägt ist. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
A SOLDIER'S DAUGHTER NEVER CRIES
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Merchant-Ivory/British Screen
Regie
James Ivory
Buch
James Ivory · Ruth Prawer
Kamera
Jean-Marc Fabre
Musik
Richard Robbins
Schnitt
Noëlle Boisson
Darsteller
Kris Kristofferson (Bill Willis) · Barbara Hershey (Marcella Willis) · Leelee Sobieski (Channe Willis) · Jesse Bradford (Billy Willis) · Anthony Roth Costanzo (Francis Fortescue)
Länge
127 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung

Heimkino

Verleih DVD
e-m-s (FF, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Mit seinem letzten Film „Mein Mann Picasso“ (fd 32 299) war James Ivory aus seiner seit Jahren erfolgreichen „Tradition“ der stilsicheren Literaturadaptionen ausgebrochen. Und schon war ihm das Publikum untreu geworden, weil es seinen eleganten Inszenierungsstil verinnerlicht hatte, mit dem er den Werken von E.M. Forster („Maurice“, fd 26 636; „Zimmer mit Aussicht“, fd 25 916) und Henry James („Die Europäer“, fd 22 681; „Die Damen aus Boston“, fd 25 170) zu einer adäquaten Leinwand-Wiederauferstehung verhalf. Auch mit „Zeit der Jugend“ verläßt Ivory das gepflegte Ambiente längst vergangener Zeiten, setzt weniger auf grandios eingefangene Landschafts-Tableaus, exquisite Ausstattung und große Gefühle, sondern wirft einen eher „modernen“ Blick auf das Innenleben seiner Protagonisten. Ganz frei von Nostalgie ist auch diese Sichtweise nicht, nimmt sie doch die 60er und 70er Jahre zum Anlaß, um in drei Kapiteln eine Geschichte über das Erwachsenwerden und – wie könnte es bei Ivory anders sein – das Wandern zwischen zwei Kulturen zu erzählen. Im ersten Kapitel („Billy“) steht der siebenjährige Benoit im Mittelpunkt, den der amerikanische, mit Ehefrau Marcella und Tochter Channe in Paris lebende Schriftsteller Bill Willis bei sich aufnimmt. Während Marcella den Jungen mit Zuneigung und Geschenken verwöhnt, ist Channe eher eifersüchtig auf das gleichaltrige „Brüderchen“ und flüchtet sich in die Arme ihres Hausmädchens Candida. Trotz der Zuneigung der Pflegeeltern öffnet sich Benoit erst, als Channe ihre Eifersucht überwindet. Als Zeichen seines Dazugehörigkeitsgefühls nennt er sich fortan „Billy“. Das Glück scheint perfekt, als Benoits Mutter, die ihn nach der Geburt in ein Heim gegeben hatte, den Adoptionsvertrag unterschreibt. Dabei übergibt sie Marcella das Tagebuch, das sie als 15jährige während ihrer Schwangerschaft führte, damit Benoit später seinen Ursprüngen nachforschen kann.

Das zweite Kapitel ist Francis gewidmet, dem ebenfalls aus den USA stammenden Klassenkameraden der nun 14jährigen Geschwister. Der bei seiner alleinerziehenden Mutter (schrill-überspannt: Jane Birkin) lebende androgyne Junge liebt es, sich als Bohemien zu geben und mit Kastratenstimme Mozart-Arien zu singen. In der gleichen Weise, wie sich Channe zu ihm hingezogen fühlt, bleibt Billys Verhältnis zu Francis ambivalent. Als das Mädchen seine Liebe zur Literatur und zum Schreiben entdeckt, vernachlässigt es den Freund, dessen Gefühle für Channe doch stärker waren, als er sich zugestehen wollte. Als er seine Liebe gesteht, zerbricht die Freundschaft. Kurz darauf beschließt Bill, in die USA zurückzukehren, um dort sein Buch zu vollenden. „Daddy“ ist das letzte Kapitel überschrieben, das an der amerikanischen Ostküste spielt. Bills Arbeitsfreude wird nun durch seine gesundheitlichen Probleme überschattet, eine Herzschwäche. Marcella flüchtet aus Verzweiflung in den Alkohol. Den Geschwistern fällt vor allem die Eingewöhnung in die neue Schule schwer. Channe tröstet sich mit diversen Liebhabern, während sich Billy immer mehr in sich zurückzieht. Bill, der nach einem Herzinfarkt Channe vom Krankenbett aus ein Buch diktiert, hofft, daß Billy vielleicht über das Tagebuch seiner Mutter wieder zu sich findet. Als Channe sich ernsthaft in einen Mitschüler verliebt und trotz Marcellas Bitte, zu Hause zu bleiben, den Silvesterabend mit ihm verbringt, stirbt ihr Vater in genau dieser Nacht.

Es ist kein Wunder, daß James Ivory von der autobiografisch gefärbten Romanvorlage der James-Jones-Tochter Kaylie Jones angetan war, trifft er doch hier auf jene modernen Nomaden, die auch in seinen Filmen immer wieder anzutreffen sind. Mit leiser Ironie, aber nie einen Zweifel daran lassend, daß er diese Familie liebt, zeichnet er ein warmherziges Porträt seiner Protagonisten. Obwohl die Entwicklung der beiden Kinder dabei im Vordergrund steht, wirft Ivory doch immer wieder pointiert-kritische Schlaglichter aufs (Zeit-)Geschehen. Die Arroganz Bills, der sich in keiner Weise bemüht, die Sprache seines Gastgeberlandes zu erlernen, setzt sich in der Ignoranz und Intoleranz der amerikanischen College-Schüler fort, die ihren „europäischen“ Mitschülern Channe und Billy einen wahren Kulturschock bereiten. Während in den USA weiterhin das „Faustrecht“ regiert, um Andersdenkende zu belehren, protestieren die kultivierten Europäer mit einer Inszenierung der Oper „Salomé“, deren Protagonisten sich in Plastiksesseln lümmeln und Heroin spritzen. Genau wie in diesen entgegengesetzten Verhaltensweisen und Reaktionen spiegeln zwei Personen die Gegensätzlichkeit der alten und der neuen Welt: hier der sich ständig selbst inszenierende Francis, dort der etwas ungehobelte, aber gradlinige Bill. Kris Kristofferson spielt ihn mit dem spröden Charme eines modernen Cowboys, während Anthony Roth Costanzo nicht so viel Distanz zu seiner Rolle findet und reichlich überkandidelt wirkt. Die große Überraschung aber ist die 16jährige Leelee Sobieski, die ihre erste Hauptrolle spielt und so gar nichts von der nichtssagenden Schönheit amerikanischer Teenie-Stars an sich hat. Sie ist in ihrer Wahrhaftigkeit die europäischste aller Figuren und agiert, als spiele sie bewußt gegen die Oberflächlichkeit ihrer jungen Hollywood-Kolleginnen an. Wie immer gehen bei Ivory Eleganz und Nostalgie einen traumhaft leichten Inszenierungsstil ein, der in einer Szene besonders sinnfällig wird: Da „schwebt“ die Lehrerin wie auf einer Wolke in die Klasse ein, und ehe man über die Irritation nachdenken kann, ist der Film schon wieder auf dem Boden der Realität gelandet. Solche Sprünge vollführen Ivorys Protagonisten ständig, denn während „Soldatentöchter nie weinen“, weinen Schriftstellertöchter ständig. Und das ist völlig in Ordnung so, zeigt Channe doch damit, daß sie das Leben an sich heranläßt.
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