Die Braut (1999)

- | Deutschland 1999 | 112 Minuten

Regie: Egon Günther

Die Liebesgeschichte der aus der "Weimarer Armut" stammenden 23jährigen Christiane Vulpius und des Dichters und Geheimrats Johann Wolfgang von Goethe, erzählt in erster Linie aus den plebejischen Blickwinkel der jungen Frau aus dem Volke. Der in sorgfältig komponierten Bildern eindrucksvoll inszenierte, von hervorragenden Darstellern - besonders der vorzüglichen Titeldarstellerin - getragene Film setzt behutsame Akzente und will weniger als Künstlerporträt, sondern als Liebesfilm verstanden werden: Nicht die Literatur steht im Mittelpunkt, sondern das körperliche Kraftfeld einer Frau, die in der Weimarer Provinzgesellschaft wie eine Provokation wirkt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Tellux/MDR/arte/HR/Saarländischer Rundfunk/ORF/Studio Babelsberg Independents
Regie
Egon Günther
Buch
Egon Günther
Kamera
Peter Brand
Schnitt
Monika Schindler
Darsteller
Veronica Ferres (Christiane Vulpius) · Sibylle Canonica (Charlotte von Stein) · Herbert Knaup (Johann Wolfgang von Goethe) · Franziska Herold (Charlotte Lengefeld-Schiller) · Friedrich-Wilhelm Junge (Christoph Martin Wieland)
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Ich bin arbeitslos.“ Mit diesem Satz beginnt Egon Günthers Goethe-Film. Ein gewiß gänzlich unerwarteter, vielleicht sogar irritierender Satz, der aber letzten Endes auch schon etwas von dem verrät, was einen erwartet. Das Jubiläum macht’s möglich, daß sich auch das deutsche Kino am Ende des 20. Jahrhunderts wieder einmal dem großen Dichterfürsten des frühen 19. Jahrhunderts aus der Weimarer Provinz zuwendet. Dazu kommt die schon seit Jahren international zu beobachtende Welle an Kostümfilmen und Künstlerbiografien, die zusätzlich für die erneute Beschäftigung mit dem Thema gesorgt haben dürfte. Für Egon Günther, den filmenden Schriftsteller (oder schreibenden Filmregisseur), ist es bereits die dritte Annäherung an den Dichter. Wieder setzt er sich auf seine ganz besondere Art und Weise mit ihm auseinander. Es ist die Auseinandersetzung eines von Kino und Literatur gleichermaßen geprägten Künstlers in einer von mannigfaltigen Umbrüchen gekennzeichneten Welt. „Zeitgenosse Goethe“ – so platt würde es Günther ganz gewiß nicht sagen, aber in dieser Richtung liegen seine Absichten ganz offensichtlich. „Ich bin arbeitslos.“ Und das zu Beginn eines Goethe-Films!

Aber ist „Die Braut“ überhaupt ein Goethe-Film? Oder nicht vielmehr ein großer Liebesfilm über zwei der bekanntesten-unbekanntesten Deutschen? Der Titel läßt keinen Zweifel: In erster Linie geht es um „die Braut“, jene Frau, die sich im Schatten des Geistesriesen durchaus zu behaupten weiß, für die Goethe in allererster Linie und zeitweise auch ausschließlich der liebende Mann ist. Der Klassenunterschied zwischen ihnen wird nie in Gänze eliminiert, wenn er auch mitunter an den Rand der Geschichte gerät. Ein Mann und eine Frau, eine junge Plebejerin und ein schon betagter Patrizier – und den anderen bleibt nicht viel mehr als der zwischen Neid und Vorurteil pendelnde Blick der Zuschauer. Günther setzt die Akzente erstaunlich behutsam. Er widersteht der Verlockung, aus der Weimarer Provinzgesellschaft ein satirisch überhöhtes Panoptikum der zu kurz gekommenen Spießer zu machen. Er deutet mehr an, als daß er zeigt oder gar ausspielt. Viele Figuren der „Gegenseite“ erhalten dank des Buches und einer vorzüglichen Besetzung durchaus ebenfalls lebendige Konturen. Die Skizzenhaftigkeit mancher Personenzeichnung ist dabei überhaupt kein Hindernis, sondern eher ein Vorteil. Auch einer leidenschaftlichen Gegnerin wie der Frau von Stein, die angesichts der erlittenen Demütigung nahezu die Contenance zu verlieren scheint, bleibt ihre ganz persönliche Würde, ihre Wahrheit der Geschichte durchaus erhalten. In diesem Film wird niemand denunziert. Andererseits gewinnt er einen Teil seines Reizes auch durch das, was er nicht zeigt – beispielsweise „den Anderen“, Friedrich Schiller, über den recht häufig und widersprüchlich gesprochen wird. Er scheint stets präsent zu sein, doch man spricht nur über ihn, zu sehen ist er nie.

„Alles, was in der Welt geschieht, geschieht aus Liebe“, sagt einmal Charlotte von Stein. Doch eigenartigerweise dringt so gut wie nichts aus „der Welt“ in die Provinz Weimars. Lediglich einmal: der Einzug der Franzosen. Ansonsten entsteht Goethes Alterswerk weitgehend in der Abgeschiedenheit und Provinzialität Weimars. Ein großer Schauspielerfilm ist das, wie fast immer bei Günther, hervorragend – bis in die kleinsten Rollen hinein – besetzt. Man nehme nur die Figur von Christianes Chef in der Verkörperung durch Klaus Manchen, oder die Rolle des „Kunscht-Meyer“, gespielt von Rüdiger Vogler. Daß so viele Schauspieler den Regisseur Günther schätzen und gern bei ihm spielen, man merkt es auch hier wieder sehr deutlich. Das Ergebnis beeindruckt außerordentlich. Wann hat es das im deutschen Kino zuletzt gegeben: Mehrere der Darsteller aus dem umfangreichen Ensemble möchte man bald in anderen Filmen wiedersehen. Beispielsweise Franziska Herold, die die zwischen starkem Selbstbewußtsein und Hilflosigkeit schwankende Gefährtin Friedrich Schillers spielt. Die Entdeckung des Films aber ist zweifellos Veronica Ferres: Noch nie hat man sie so konzentriert, so gänzlich uneitel gesehen. Wie sie das Plebejische unaufdringlich spielt, wie sie die nie in Frage stehende Würde dieser einfachen Frau zeigt, das ist in der Tat sehenswert. Es scheint, als wenn Günthers Methode des Spielenlassens, einer fast unmerklichen Führung hier auch bei einer aus einer ganz anderen „Schule“ kommenden Schauspielerin ein außerordentlich beeindruckendes Ergebnis zeitigt. Von Anfang an merkt man bei diesem Liebesfilm, wie allein schon durch Christianes Körperlichkeit ein Kraftfeld aufgebaut wird, das auf die Weimarer Provinzgesellschaft wie eine Provokation wirken muß.

Daneben faszinieren auch die Bilder, vor allem bei den vielen Außenaufnahmen: Menschenporträts in einer ungewöhnlich schönen Landschaft, eindrucksvoll, sorgfältig komponiert. Günther mußte auf seinen langjährigen Kameramann Erich Gusko verzichten, aber auch die Zusammenarbeit mit Peter Brand brachte ein eindrucksvolles Ergebnis. Weniger befriedigend ist allein die musikalische Seite. Günther lehnt auch heute noch die herkömmliche, speziell für den Film komponierte Musik ab und verwendet ausnahmslos Musikkonserven. Die hier ausgesuchte Musik verleiht den Bildern freilich mitunter eine etwas aufdringliche, bombastische Wucht. Die Musik wird zum unangemessenen, teilweise auch überflüssigen Mittel, um die Emotionen des Zuschauers zu steigern. Nach „Feuerreiter“ (fd 33 427) und „Requiem für eine romantische Frau“ (fd 33 574), zwei unterschiedlichen, aber doch zum Vergleich mit Günthers Film herausfordernden Arbeiten, die beide an ihrer Unentschlossenheit und mangelhaften dramaturgischen Ausarbeitung scheiterten, ist „Die Braut“ eine erfreuliche Überraschung – und im Vergleich mit Günthers „Die Leiden des jungen Werthers“ (1975/76) und „Lotte in Weimar“ (1974, fd 19 545) zweifellos sein bester Film zum Thema. Im Kopf des Zuschauers steht noch immer das Bild Goethes, wie es Günther in „Lotte in Weimar“ durch Martin Hellberg vermittelt hat – Herbert Knaup ist da freilich ganz anders. Er ist der deutlich Jüngere, der noch wenig von der Erhabenheit, der Gottähnlichkeit des späten Goethe erkennen läßt. Wie war Goethe nun wirklich? Den Frauen, vor allem Christiane gegenüber, nur ein Mann, der für jede erotische Ausstrahlung empfänglich ist? Oder kehrte er nicht auch und gerade bei Frauen das Eitle, Onkelhaft-Belehrende allzu bald hervor? Günther weiß es nicht, auch er hat da nur seine Vermutungen. Daß er nicht vorgibt, alles genau zu wissen – wie so mancher Gelehrte der klassischen Literatur – , macht auch einen Vorzug seines Films aus. Möglicherweise werden die Fachleute, Goethianer und solche, die sich als solche ausgeben, vieles besser wissen und den Film ignorieren. Wir anderen aber sind außerordentlich beeindruckt.
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