Schöne Venus

Tragikomödie | Frankreich 1998 | 105 Minuten

Regie: Tonie Marshall

Ein kleiner Schönheitssalon in einem Pariser Vorort, die Chefin und ihre drei Mitarbeiterinnen stehen im Mittelpunkt einer Tragikomödie um Liebe und Frauen, die sich nicht nur mit den verschiedenen Formen des Herzschmerzes auseinandersetzt, sondern auch über die Suche nach ewiger Jugend, die vergängliche Schönheit, das Alter und die Verleugnung von Gefühlen reflektiert. Die präzise Inszenierung und die schnörkellose Kamera konzentrieren sich ganz auf die Gesichter, Gesten und Dialoge der brillanten Darsteller, die mit faszinierender Leichtigkeit in die Seelenlandschaften ihrer Figuren eintauchen. (Kino: O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
VENUS BEAUTE (INSTITUTE)
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Agat/Arte France Cinema/Tabo Tabo/Canal+/Sofia Sofinergie 4
Regie
Tonie Marshall
Buch
Tonie Marshall · Marion Vernoux
Kamera
Gérard de Battista
Musik
Khalil Chahine
Schnitt
Jacques Comets
Darsteller
Nathalie Baye (Angèle) · Bulle Ogier (Nadine) · Mathilde Seigner (Samantha) · Audrey Tautou (Marie) · Samuel Le Bihan (Antoine)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Tragikomödie
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Diskussion
Die Szenerie könnte aus einem Film von Jacques Demy stammen: Die Kamera entführt in einen kleinen Schönheitssalon in einem Vorort von Paris, dessen von Neonlicht beleuchtetes, pastellfarbiges Interieur an eine Bonbonniere erinnert und in dem drei in rosarote Kittel gekleidete Frauen arbeiten. Ab und zu schaut die Chefin, eine elegant gekleidete ältere Dame, nach dem Rechten, doch ansonst „managen“ Angele, Samantha und Marie den Laden. Kaum ertappt man sich bei dem Gedanken, dass jetzt eigentlich gesungen und getanzt werden müsste, entwickelt sich der Film in jene für das französische Kino typische Form der dramatischen Komödie, die mit Leichtigkeit in die Seelenlandschaften der Protagonisten entführt. Während der Geschäftsalltag von einer auf Schönheit und Entspannung ausgerichteten Atmosphäre erfüllt ist, in den sich nur manchmal ein Mann auf der Suche nach der „erlösenden“ Massage verirrt, verbirgt sich hinter der Welt der Cremetöpfchen, Parfüm-Flacons und Sonnenbänke auch die verzweifelte Suche (der Kunden) nach ewiger Jugend oder nur der Wunsch, dass jemand einem zuhört, einen zärtlich berührt. Der Massagetisch wird da schon mal zum Beichtstuhl, die Kosmetik-Beratung zur Lebenshilfe. Über die Marotte jener skurrilen „Klientin“, die sich schon an der Eingangstür entkleidet, sieht man einfach hinweg.

Mit demselben Feingefühl beobachtet Tonie Marshall diesen Frauenkosmos, weshalb hinter der auf den ersten Blick konventionellen Inszenierung sehr schnell ihre Liebe zu den Protagonisten und deren Herzschmerzen deutlich wird. Mit gleicher Zärtlichkeit entdeckt die schnörkellose Kamera in den Gesichtern Stimmungen und Gefühle. Der Blick geht aber auch aus dieser Insel-Welt hinaus ins wahre Leben, dem sich die drei Verkäuferinnen auf ganz unterschiedliche Art nähern: Marie, das Nesthäkchen, ist wie eine Knospe kurz vor dem Erblühen, die mit ihrer Fraulichkeit noch experimentiert und sich von einem bereits pensionierten Piloten den Hof machen lässt. Audrey Tautou strahlt jene Unschuld aus, die keinen Augenblick daran denken lässt, dass sie ihren Verehrer einfach nur ausnutzt. Samantha dagegen, etwas üppig und ein wenig ordinär, gibt sich männeraufreissend, doch Mathilde Seigners Schauspielkunst arbeitet sehr schön die Zerbrechlichkeit hinter der rauen Fassade heraus. Im Mittelpunkt der Handlung steht allerdings Angèle, eine Frau in den Vierzigern, die sich wie eine Muschel vor der Liebe verschlossen hat und in flüchtigen sexuellen Affären ihr Glück zu finden glaubt. Als sie den unwesentlich jüngeren Antoine kennen lernt, der kurz vor der Verlobung mit einer 20-Jährigen steht, in Angèle aber seine Traumfrau erkennt, verdrängt sie lange Zeit ihre Gefühle. Doch Antoines Hartnäckigkeit bricht allmählich ihre Schale auf.

Tonie Marshalls Inszenierung ist - ohne dass sie die jungen, talentierten Schauspieler an die Seite drängt - eine Hommage an die großen „alten“ Stars des französischen Kinos und an die Protagonistinnen der „Nouvelle Vague“. Robert Hossein stellt als Maries Verehrer mit wundervoll gespielter Würde seine 70 Jahre zur Schau, und Tonie Marshalls Mutter Micheline Presle, immerhin schon auf die 80 zugehend, hat einen amüsanten Kurzauftritt mit der etwas in Vergessenheit geratenen „Hiroshima mon amour“-Darstellerin Emmanuela Riva (Jahrg. 1932). Bulle Ogier verströmt auch heute noch jenen überlegen-schnippischen Charme, den sie in ihren Filmen von Jacques Rivette, Rene Allio und Alain Tanner zum „Markenzeichen“ machte. Und die lange im Schatten von Catherine Deneuve und Jeanne Moreau gestandene Nathalie Baye, die in Truffauts „Eine amerikanische Nacht“(fd 18 506) ihre Karriere startete, wächst langsam in die Rolle einer „grand dame“ des französischen Films hinein. Ihre aus innerer Reife entspringende Schönheit korrespondiert kongenial mit ihrer Fähigkeit, sich ganz von ihrer Filmfigur vereinnahmen zu lassen. Subtil lotet sie alle Facetten ihrer Rolle aus, macht Angèles Widersprüchlichkeit, ihre Hoffnungen, Ängste und Verletzbarkeit auf berührende Weise erfahrbar. Nicht von ungefähr hat Tonie Marshall Antoine, den Samuel Le Bihan mit unaufdringlicher Souveränität verkörpert, weniger als schauspielerischen Gegenpart denn als Katalysator ihrer inneren Zerrissenheit angelegt. Ähnlich wie Antoine Doinels Alter Ego in Truffauts „Geraubte Küsse“ (fd 16 083) ist er der Entschiedene, der das ausspricht, was sein Gegenüber noch nicht erkennen will: „Ich wollte ein bisschen Jugend - und habe die Liebe gefunden.“

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