- | Frankreich/Spanien 2000 | 90 Minuten

Regie: Tony Gatlif

In einem kleinen Dorf im Süden Spaniens ertränkt ein Zigeuner den Schmerz über den Tod seiner kleinen Tochter in Musik, Tanz und mit ausgelassenen Festen. Um seinen behinderten Neffen vor der Blutrache zu retten, bezahlt er die Schuld mit seinem eigenen Leben. Das rudimentäre Handlungsgerüst zieht sich lediglich als roter Faden durch eine Bild und Ton gewordene Hommage an den Flamenco-Tanz, die ein "fremdes" Lebensgefühl auf geradezu sinnliche Weise erfahrbar macht. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
VENGO
Produktionsland
Frankreich/Spanien
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Princes Films/Arte France Cinéma/Astrolabio Producciones
Regie
Tony Gatlif
Buch
Tony Gatlif · David Trueba
Kamera
Thierry Pouget
Schnitt
Pauline Dairou
Darsteller
Antonio Canales (Caco) · Orestes Villasan Rodríguez (Diego) · Bobote (Antonio) · Juan Luis Corrientes (Tres) · Antonio Perez Dechent (Alejandro)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
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Diskussion
Nach jahrelangem Herumvagabundieren, Kunststudium und Schauspielschule landete der aus einer algerischen Zigeunerfamilie stammende Tony Gatlif zuerst beim Theater, wo er u.a. neben Gerard Depardieu auf der Bühne stand. Zum Film kam er übers Drehbuch, wechselte aber schon 1975 auf den Regiestuhl („La Téte en Ruines“). Seit dem Kurzfilm „Canta Gitano“ (1981) durchzieht das Schicksal der Roma dann wie ein roter Faden seine vielfach preisgekrönten Dokumentar- und Spielfilme: „Corre Gitano“ (1982) „Die Prinzen“ (1983, fd 25 242), „Latcho Drom“ (1993), „Gadja Dilo“ (1997, fd 33 283), „Je suis né d´une cigone“ (1998). Obwohl die Musik seines Volkes schon immer mehr als Beiwerk bei seinen Filme war, erhebt er sie (und den Tanz) diesmal zum Hauptdarsteller sein er Inszenierung. Aber anders als Carlos Saura, der mit „Flamenco“ (fd 33 328) eine konzertante Hommage an die andalusische Symbiose unterschiedlicher musikalischer Richtungen und Kulturen drehte, findet Gatlif einen fast archaischen Zugang zu seinem Sujet. Die ersten zehn Minuten des Films „spricht“ nur die Musik. Ahmad Al Tuni, einer der letzten Meister des ägyptischen Sufi-Gesangs, zieht, begleitet von dem Gitarristen Tomatito, mit seiner ekstatischen Stimme in eine Art Trance hinein, die den ganzen Film über anhält. Später übernimmt die Kamera die Funktion der Musik, entführt mit gleißenden CinemaScope-Bildern in ein südspanisches Dorf. Auf dem Friedhof trauert Caco am Grab seiner kleinen Tochter. Seinen Schmerz ertränkt er mit Musik und Tanz auf ausgelassenen Festen, die meist bis ins Morgengrauen hinein dauern. Nebenbei kümmert er sich um seinen behinderten Neffen Diego, der von der Blutrache bedroht ist. Am Ende opfert sich Caco für die Familie. Eine Handlung im klassischen Sinn ist nur rudimentär vorhanden. Es sind die in Musik und Tanz sich ausrückenden Gefühle, die den Film vorantreiben. Und manchmal auch die Stille, die über der Landstrasse liegt, auf der sich die Männer treffen, um ihre Geschäfte abzuwickeln, während die Frauen im Dorf die einzigen zu sein scheinen, die arbeiten. Die Kamera blickt immer wieder in die Gesichter, erzählt von Lebensfreude, Trauer und Liebe, aber auch Rache – und die Musik erinnert daran, wie tief diese Emotionen im Flamenco verwurzelt sind. Da Gatlif ausschließlich mit Laiendarstellern, aber mit professionellen Musikern arbeitet, kann er sein Konzept, sich über den Flamenco den Menschen zu nähern, auf ungewöhnliche Weise realisieren. Niemals versteigt sich Gatlif dabei zu einer moralisierenden Haltung. Die verschiedenen Spielarten der Liebe toleriert er genauso wie die scheinbar unvermeidliche Blutrache. So gehören jene Szenen, in denen Caco Diego mit Hilfe einer Prostituierten erstmals die (körperliche) Liebe erfahren lässt („Es war gut, aber es war keine Liebe“) und sein Tod, der sich in einer langen nächtlichen Fahrt auf einer menschenleeren Strasse „vollzieht“, zu den berührendsten Momenten dieses Films. Wenn man sich auf „Vengo“ einlässt, erlebt man etwas im Kino etwas, das selten geworden ist: ein „fremd“ erscheinendes Lebensgefühl nicht nur tolerieren zu können, sondern es auch sinnlich erfahren zu haben.
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