- | Japan 1998 | 120 Minuten

Regie: Hirokazu Kore-eda

22 Verstorbene treffen sich in einem Zwischenreich und werden von Betreuern auf die Ewigkeit vorbereitet. Binnen einer Woche sollen sie jene (Lebens-)Erinnerung aussuchen, an die sie ewig denken wollen. Die meisten denken an ihre Lieben, Familienangehörige oder an die Geburt eines Kindes, Kinder ohne viel Lebenserfahrung ans Disneyland. Der einfühlsam inszenierte Film beschreibt ohne Spezialeffekte den Aufenthalt im Limbus und reflektiert über das Wesen der Erinnerung ebenso wie über die Frage, was nach dem Tod geschieht. Ein ruhiger, nachdenklich stimmender Film, dessen Originaltitel eine Hommage an Frank Capras "Ist das Leben nicht schön?" ist. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
WANDAFURU RAIFU | AFTER LIFE
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
TV Man Union/Engine Film/Sputnik Prod.
Regie
Hirokazu Kore-eda
Buch
Hirokazu Kore-eda
Kamera
Yutaka Yamazaki · Masayoshi Sukita
Musik
Yasuhiro Kasamatsu
Schnitt
Hirokazu Kore-eda
Darsteller
Arata (Takashi Mochizuki) · Erika Oda (Shiori Satonaka) · Susumu Terajima (Satoru Kawashima) · Taketoshi Naito (Ichiro Watanabe) · Kyôko Kagawa (Kyoko Watanabe)
Länge
120 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Trigon (16:9, 1.66:1, DD2.0 jap.), Starlight (16:9, 1.66:1, DD5.1 jap.)
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Diskussion
Wenn man einer bestimmten Traditionslinie des Kinos glauben wollte, müsste man sich die Organisation der Himmelsmächte, sehr profan, als schnöden bürokratischen Apparat vorstellen. Selbst in einem vor sentimentaler Verklärung gewiss nicht zurückschreckenden Film wie Capras „Ist das Leben nicht schön?“ (1947) erinnern Engel mitunter schlicht an Sachbearbeiter im Außendienst; und während in Minnellis „Ein Häuschen im Himmel“ (1943) der Teufel von einem Schreibtisch aus agiert, siedelt ein jüngeres Beispiel, Danny Boyles „Lebe lieber ungewöhnlich“ (fd 32 960), die jenseitige Administrationstätigkeit des Erzengels Gabriel in einem Großraumbüro an. Mit der Schilderung eines Behördenalltags im Himmel beginnt auch „After Life“, dessen japanischer Originaltitel sinngemäß „wunderbares Leben“ bedeutet und natürlich auf Capras Klassiker anspielt. Wie offenbar jeden Montagmorgen trifft zu Beginn von Hirokazu Koreedas hinreißendem zweiten Spielfilm ein kleiner Sachbearbeiterstab in einem alten Verwaltungsgebäude zur Lagebesprechung zusammen; und wie stets montags treffen in dem himmlischen Durchgangslager zugleich die Verstorbenen ein. Nacheinander schreiten sie durch die Himmelspforte, die, nüchtern betrachtet, eine schlichte Tür ist, und melden sich beim Portier an. Anschließend werden sie in Einzelgesprächen darüber unterrichtet, dass ihnen bis Mittwoch Zeit bleibt, einen Moment aus ihrem Leben auszuwählen. Dieser favorisierte Augenblick wird samstags von einem behördeninternen Filmteam nachinszeniert und auf Zelluloid gebannt. Dieser Eindruck des sonntags vorgeführten Kurzfilms wird den Toten dann als einzige Erinnerung für die Ewigkeit verbleiben. Man befindet sich also in einem Zwischenreich, dessen Bezug zu Raum und Zeit rätselhaft ist. Hauptsächlicher Ort der Handlung ist ein altes Schulgebäude inmitten eines Parks, das von der Welt völlig abgeschieden zu sein scheint. Doch die irdische Zivilisation ist offenbar nicht weit, denn ein kurzer Dienstweg führt in die Straßen einer Großstadt. Vor Anbruch der Ewigkeit vollzieht sich das titelgebende Nach-Leben der Verstorbenen ein letztes Mal im Wochentakt, dem auch der Erzählrhythmus des in sieben Kapitel unterteilten Films folgt. Die Angestellten der himmlischen Einrichtung scheinen indes aus der Zeit gefallen. Auch sie sind Tote, allerdings haben sie sich, als sie an der Reihe waren, nicht für eine einzige Erinnerung entscheiden können. Obwohl sie sich seither, und das heißt zumeist seit Jahrzehnten, der gewissenhaften Betreuung der Verstorbenen während deren Transfers in die Ewigkeit widmen, sind sie seit dem Augenblick ihres Ablebens nicht gealtert. Diesem himmlischen Zustand ist eine seriöse Gelassenheit angemessen, die allein durch das Anhalten menschlicher Gefühle gestört wird, wie die unglückliche Verliebtheit einer weiblichen Himmelskraft beweist. Das Paradoxon eines solchen Zustands und Orts des Übergangs betont die Inszenierung: beiläufige Impressionen einer wahrhaft himmlischen Ruhe wechseln mit einer schwungvollen Handkamera, die die konzentrierte Geschäftigkeit bei der Vorbereitung und Realisierung der Kurzfilme einfängt. In der ersten Filmhälfte nehmen zudem Interviews, die frontal in die Kamera gesprochen werden, breiten Raum ein, und dabei erweist es sich als Glücksfall, dass Koreeda dokumentarisches Material einfließen lässt, das er bei der Befragung von über 500 Menschen zu ihren Lieblingserinnerungen sammelte. Als Augenblicke für die Ewigkeit werden ein kindlicher Tanz im Sonntagskleid, das Erlebnis eines Cessna-Fluges durchs Wolkenmeer oder das Gefühl eines sommerlichen Lufthauchs im Nacken genannt – da scheint der Weg nicht allzu weit zu „American Beauty“ (fd 34 066) und einer vom Wind aufgewirbelten Plastiktüte. Was vordergründig als poetischer Edelkitsch erscheinen könnte, gewinnt jedoch eine ungemein anrührende Wirkung, wenn etwa eine alte Frau und zwei Männer dabei zu beobachten sind, wie sie ernst und versonnen die filmische Re-Inszenierung ihrer offenkundig authentischen Erinnerungen überwachen. Ganz en passant nimmt in ihren ergänzenden Anmerkungen und Anregungen an die Filmcrew ein seit geraumer Zeit beliebter Gegenstand essayistischer Reflexionen Konturen an: die Affinität des Gedächtnisses zum Film. Der naive Ernst, der dabei einer improvisierten Kulissenschieberei entgegen gebracht wird, lässt den Film zu einer der zärtlichsten Liebeserklärungen an das Kino werden. Wattebäusche, die an Schnüren durch den Raum gezogen werden, müssen für im Fluge vorbeiziehende Wolken herhalten; der gemeinsame Einsatz von Muskelkraft soll die Fahrbewegung einer Straßenbahn suggerieren. Gerade der hoffnungslos altmodische Charakter dieser Tricks ruft in Erinnerung, dass der Film selbst längst ein todgeweihtes Medium ist. Umso ironischer, dass das Auge Gottes, wie es in „After Life“ scheint, durch das Objektiv einer Video-Überwachungskamera blickt. Im Jenseits finden sich im Archiv nämlich zu jedem Toten VHS-Kassetten mit repräsentativen Ausschnitten aus jedem einzelnen Lebensjahr.
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