- | Frankreich 2001 | 154 Minuten

Regie: Jacques Rivette

Eine französische Schauspielerin kehrt nach fünf Jahren mit einer italienischen Theatertruppe nach Paris zurück und trifft dort ihren alten Liebhaber wieder. Doch auch ihr gegenwärtiger Lebensgefährte und Leiter des Ensembles lernt auf der Suche nach einem verschollenen Manuskript eine hübsche Studentin kennen, deren windiger Stiefbruder sich seinerseits an die Frau des Liebhabers heranmacht. Klug inszenierte, geistreich geschriebene und überzeugend gespielte Tragikomödie um Liebe, Versuchung, Treue, Verzicht und Verrat, die die Welt des Theaters nicht nur als elegantes Zwischenspiel, sondern auch als spannenden Spiegel der Dialektik zwischen Schein und Sein nutzt. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
VA SAVOIR
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Pierre Grise/France 2 Cinéma/Mikado Films/Kinowelt
Regie
Jacques Rivette
Buch
Christine Laurent · Pascal Bonitzer · Jacques Rivette
Kamera
William Lubtchansky
Schnitt
Nicole Lubtchansky
Darsteller
Jeanne Balibar (Camille) · Marianne Basler (Sonia) · Sergio Castellitto (Ugo) · Jacques Bonnaffé (Pierre) · Hélène de Fougerolles (Dominique)
Länge
154 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Diskussion
Nachdem Francois Truffaut viel zu früh die Bühne des Lebens verließ, Jean-Luc Godard sich immer mehr vom Kinopublikum entfernte und Claude Chabrol nach einer langen Periode erst mit seinen letzten Filmen wieder zu alter Form zurückgefunden hat, sind vom „Nouvelle Vague“-Quintett nur die beiden ältesten Mitglieder, Eric Rohmer (Jahrgang 1920) und Jacques Rivette (1928), über die Jahrzehnte hinweg ihrem Stil und ihren Themen treu geblieben. Das Erstaunliche daran ist, das ihre Werken immer noch jünger wirken, als viele Filme ihrer jungen Kollegen von heute. Rivette, für den das Theater von sinnbildlicher Bedeutung ist, hat seit seinem Spielfilmdebüt „Paris gehört uns“ (fd 14 758) immer wieder Bühnenproben als Spiegel für Schein und Sein benützt, u.a. in „Theater der Liebe“ und „Die Viererbande“ (fd 27 866). Auch in seinem 29. Leinwand-Opus – Kurzfilme, Dokumentationen und „Kurz“-Fassungen seiner meist überlangen Spielfilme mitgerechnet – entführt er gleich zu Beginn erneut auf die Bretter, die für seine Protagonisten die Welt bedeuten, und für ihn die Geheimnisse des Lebens bergen. „Come tu mi voi – Wie du mich wünschst“, heißt das Stück von Luigi Pirandello, mit dem eine italienische Theatertruppe in Paris gastiert. Die französische Hauptdarstellerin Camille hatte vor fünf Jahren Hals über Kopf Stadt und Liebhaber verlassen und sich in Turin dem Ensemble angeschlossen. Seitdem ist sie auch mit Ugo, dem Prinzipal der Truppe, liiert: eine Arbeits- und Liebesbeziehung mit allen Höhen und Tiefen. Camille nutzt den Aufenthalt in Paris, um ihren früheren Lebensgefährten Pierre aufzusuchen. Der lebt mittlerweile mit der ehemaligen Tänzerin Sonia zusammen, die mit beiden Beinen auf der Erde steht und dem eher weltfremden Philosophen Pierre das Alltägliche richtet. Die beiden Paare lernen sich kennen, und Pierre erkennt, dass er am liebsten zu Camille zurückkehren möchte, was diese verwirrt und Ugo und Sonia eifersüchtig macht. Während Camille versucht, mit ihren Gefühlen klar zu kommen, macht sich Ugo auf die Suche nach einem verschollenen Manuskript Goldonis, dass er schließlich mit Hilfe der hübschen Literaturstudentin Dominique in der Bibliothek ihrer Mutter findet. Dort lernt er auch Dominiques müßiggängerischen Stiefbruder Arthur kennen, der gerade Sonia bezirzt. Nicht um ihr Herz, sondern um ihren wertvollen Ring zu stehlen, damit er seinen aufwändigen Lebensstil finanzieren kann. Dominique hat sich mittlerweile in Pierre verliebt, der ihren Annäherungsversuchen aber widersteht; Camille hingegen hat sich auf einen One-Night-Stand mit Arthur eingelassen, um Sonias Ring zurück zu holen. Ugo und Pierre tragen auf dem Schnürboden des Theaters volltrunken ein Duell um Camille aus – doch am Ende ist alles wieder in seine anfängliche Ordnung zurückgekehrt. „Schauspieler“, heißt es einmal, „sind jeden Abend etwas anderes und niemals wirklich ernsthaft“ – und genau mit dieser Mischung aus tiefgründiger Leichtigkeit und ironischer Theatralik hat Jacques Rivette seinen Beziehungsreigen inszeniert. In der ihm eigenen Dialektik von Konstruktion und Zufall stürzt er seine Protagonisten und mit ihnen den Zuschauer in ebenso verschlungene wie geheimnisvolle Geschichten um Liebe, Versuchung, Treue und Verrat. Die Bühne wie das Leben erweisen sich dabei als von Falltüren übersät: ist es hier die fremde Sprache (die Französin Camille spricht ihren Theatertext auf italienisch), sind es dort ihr Gewissensbisse angesichts des seinerzeit wortlos verlassenen Pierres, die regelrechte Angstgefühle in ihr auslösen. In langen, sequenzartigen Einstellungen nähert sich Rivette seinem Sujet, führt seine Darsteller einfühlsam durch das Abenteuer Leben und lässt ihnen doch scheinbar Raum zur Improvisation. Immer wieder hat man auch den Eindruck, als beobachte sein langjähriger Kameramann William Lubtschansky die Schauspieler mit nahezu dokumentarischem Blick bei der Probenarbeit Da Rivette keinerlei Musik – bis auf einen Song von Peggy Lee – zur Überhöhung oder Unterstreichung der Handlung einsetzt, entwickeln sich die Emotionen ganz aus dem wahrhaftigen Spiel der Schauspieler. Jeanne Balibars zerbrechlicher, fast schon magersüchtiger Körper lässt Camilles innere Zerrissenheit auch physisch erfahrbar werden. Sergio Castellitto hält als Ugo wie schon in „Bella Martha“ (fd 35 367) gekonnt die Balance zwischen diktatorischem (Regie-)Macho und sensiblem Liebhaber. Jacques Bonnaffes verträumter Philosoph ist genauso überzeugend wie die von Marianne Basler verkörperte Sonja. Helene de Fougerolles Schönheit gibt ihrer Dominique nicht nur eine äußerliche, sondern durch ihr unprätentiöses Spiel auch eine gedankliche Klarheit, zu der der sich stets wie eine Katze ins Bild schleichende Bruno Todesschini als Arthur einen markanten Kontrast bildet. Am Ende siegen zwar die bestehenden Liebesverhältnisse und die Hingabe ans Theater, aber auch die Klugheit und die unspektakuläre Eleganz einer Inszenierung, die Anteil nehmen lässt an jener Wahrheit und Lebensweisheit, die sich nur über die Kunst und ihre Interpreten vermittelt.
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