Wesh, wesh - was geht hier ab?

- | Frankreich 2001 | 83 Minuten

Regie: Rabah Ameur-Zaïmeche

Nach mehrjähriger Gefängnishaft und einer Abschiebung nach Algerien kehrt ein junger algerischstämmiger Franzose illegal zu seiner Familie in einen Pariser Vorort zurück. Er sucht nach Arbeit, die er nicht bekommt, weil er keine Papiere hat. Statt dessen muss er mit ansehen, wie sein jüngerer Bruder in Drogengeschäfte abgleitet, die Mutter immer hilfloser wird, die Polizei zunehmend brutaler agiert. Der Debütfilm wurde an authentischen Orten in der Banlieu vorwiegend mit Laiendarstellern gedreht; sein beiläufiger, spröder Stil lässt keine Sentimentalität aufkommen, sondern fragt konsequent nach dem gegenwärtigen Zustand von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
WESH, WESH - QU'EST-CE QUI SE PASSE?
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Sarrazink Prod.
Regie
Rabah Ameur-Zaïmeche
Buch
Rabah Ameur-Zaïmeche · Madjid Benharoudj
Kamera
Olivier Smittarello · Karim Albaoui · Emmanuel Dupre · Lionel Sautier
Musik
Assasin-Zebda
Schnitt
Nicolas Bencilhon
Darsteller
Brahim Ameur-Zaïmeche (Kamel) · Rabah Ameur-Zaïmeche · Salim Ameur-Zaïmeche · Madjid Benharoudj · Ahmed Hammoudi
Länge
83 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Das „Cinema beur“, das Kino des algerischen, tunesischen oder marokkanischen Bevölkerungsteils in Frankreich, zählt seit mehr als einem Jahrzehnt zu den spannendsten Ausprägungen des neuen französischen Films. Sozial genau und soziologisch brisant skizzieren seine Regisseure den Alltag ihrer Landsleute, forschen nach Ursachen existenzieller Konflikte, beleuchten vor allem jugendliche Denk- und Verhaltensmuster. Rabah Ameur-Zaïmeche, 1966 in Algerien geboren, legt mit seinem Debüt „Wesh wesh, was geht hier ab?“ ein spannendes Beispiel dieses Kinos vor. Er verzichtet darin weitgehend auf eine konventionelle Spielfilmfabel, sondern nutzt deren Rudimente, um Zustände in der Pariser Banlieu authentisch-atmosphärisch abzubilden. Der von ihm selbst gespielte Kamel ist dementsprechend auch keine herkömmliche Hauptfigur. Zwar laufen beim ihm viele Beobachtungen zusammen, doch alles um ihn herum – Familie, Nachbarn, Straßen, Häuser – erhält als Mitakteur ähnliches Gewicht. Zu Beginn des Films kehrt Kamel aus Algerien zurück; dorthin hatten ihn die französischen Behörden nach fünf Jahren im Gefängnis für weitere zwei Jahre abgeschoben. Doch Algerien ist keine Heimat für ihn: Obwohl seine Eltern einst von dort kamen, wurde er in Frankreich geboren, dem Land, das er nun nur noch als „Illegaler“ betreten darf. Mehr erfährt man über Kamels Vorgeschichte nicht; vermutlich ging es damals um Drogen. Wichtiger ist es dem Regisseur zu zeigen, dass trotz Kamels gutem Willen, ein anderes Leben zu führen, dafür kaum Chancen bestehen: Für einen Mann ohne Papiere gibt es weder Arbeit noch Hoffnung; die Gesellschaft weiß mit ihm nichts anzufangen, ein erneuter Weg in die Kriminalität ist vorgezeichnet. Überhaupt ist „Wesh wesh“ von tiefer Hoffnungslosigkeit geprägt. Auch Kamels jüngerer Bruder Mousse und seine Freunde, denen ein Großteil der filmischen Beobachtungen gewidmet ist, stecken bereits bis über beide Ohren in Drogengeschäften. Die Mutter, die die französische Sprache kaum beherrscht, ist permanent überfordert und begreift nichts von dem, was ihre Kinder umtreibt; der Onkel mit seinem kleinen Ladengeschäft kämpft ums tägliche Überleben. Unaufdringlich führt Ameur-Zaïmeche den ausweglosen Zustand aller Generationen vor, die hier, in unwirtlichen Neubaublocks, miteinander leben. Oft sind es nur knappe, scheinbar marginale Szenen, die dem Zuschauer ganze Welten eröffnen: Wenn der Film mit Weitwinkelobjektiv zeigt, wie schwer bewaffnete französische Polizisten um die Blocks streifen, erfahren die Ghetto-Atmosphäre wie die Spirale der Gewalt, die dadurch entsteht, einen prägnanten Ausdruck; wenn sich die Algerier über ein paar Schwarzafrikaner lustig machen, wird deutlich, dass die soziale Stufenleiter nach unten hin offen ist: Die Schwachen finden immer noch Schwächere, auf die sie hinabsehen und im Zweifelsfall auch treten können. Knirpse, die kaum das Schulalter erreicht haben, sitzen auf den Stufen der mit Graffitis vollgeschmierten Hauseingänge und klagen lautstark über Langeweile und Ödnis – wenig später spricht ein kurzer Kamerablick auf einen verwahrlosten Spielplatz Bände. Wenn die Jungen in einem kleinen See angeln oder mit geklauten Golfschlägern die Reichen imitieren, müssen sie über einen Eisenzaun klettern – dorthin, wo sie unerwünscht sind. Ameur-Zaïmeche findet viele Motive für das alltägliche Dilemma und den alltäglichen Rassismus. Dabei ist seine Erzählweise unangestrengt, undramatisch, ohne äußere Treibmittel. Die Laiendarsteller – darunter viele Verwandte des Regisseurs – spielen sich gewissermaßen selbst; ihre Worte und Blicke, die kleinen und größeren Hänseleien und Streitereien schöpfen aus eigenen Erfahrungen. Zur beiläufigen Erzählhaltung gehört, dass diverse Momente, in denen Kamel in direkte Auseinandersetzungen verstrickt ist, erst im Nachhinein mitgeteilt werden. Als Kamel bei einem Transportunternehmer nach Arbeit fragt und ihm der Mann tatsächlich einen Job in der Nachtschicht offeriert, bricht der Film ab, um erst mit dem Verlassen des Büros und einem Dialog wieder einzusteigen, in dem Kamel davon berichtet, dass sich der Arbeitgeber schließlich doch geweigert habe, ihn ohne Papiere zu beschäftigen. Auch die Szene mit der französischen Lehrerin Irène, in der diese ihm eine Scheinehe anbietet, findet nicht direkt vor der Kamera statt; Ameur-Zaїmeche zeigt erst wieder Kamels vorwurfsvolle Ablehnung und seinen überstürzten Aufbruch aus dem Schlafzimmer der jungen Frau. Auch der indirekte Verweis auf Kamels Tod am Ende des Films entspricht diesem spröden, kühl-distanzierten Stil, der sich jedem Anflug von Sentimentalität widersetzt. Statt eines geschlossenen Melodrams, für das alle Ingredienzien vorhanden wären, erweist sich „Wesh wesh“ als offener Film, der auf eine einzige quälende Frage hinausläuft: Gibt es in Frankreich eine Zukunft für die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit?
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