Dokumentarfilm | Schweiz 2005 | 87 Minuten

Regie: Veronika Minder

Fünf Frauen unterschiedlichen Alters werden über ihre Lebens- und Liebeserfahrungen befragt. Ihre Aussagen verdichten sich zu einem Essay über die Frauenbewegung und den Umgang mit lesbischer Liebe in der Schweiz während der letzten 100 Jahre. Die dichte Dokumentar-Collage verbindet ihre Geschichte mit viel Geschick und verklammert die persönlichen Geschichten mit Fotos und Filmaufnahmen. So entsteht über die Frauenbilder hinaus ein interessanter historischer Überblick, der durchaus auch mit einigem Witz aufwartet. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
KATZENBALL
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Cobra Film/SF-DRS
Regie
Veronika Minder
Buch
Veronika Minder
Kamera
Helena Vagnières
Musik
Tina Kohler
Schnitt
Michael Schaerer
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Als Schimpfwort wird den Begriff „lesbisch“ heute hoffentlich keiner mehr verstehen. Sie hätte nicht groß kämpfen müssen, um ihre (sexuelle) Identität ausleben zu können, erzählt denn auch Samira Zingaro, eine junge Frau Mitte Zwanzig. Trotzdem: Es gebe durchaus noch Vorurteile, mit denen Frauen, die Frauen lieben, behaftet sind; Vorurteile nicht nur von „Heteros“, sondern auch von den homosexuellen Frauen selbst. Samira ist eine der Protagonistinnen, deren Berichte die Dokumentar-Collage „Katzenball“ tragen. Die Regisseurin Veronika Minder (Mitinitiatorin der Schweizer Frauenfilmtage und des „Queersicht“- Filmfestivals Bern) hat fünf Frauen – die älteste in den 1910er-Jahren geboren – nach ihren Lebens- und Liebeserfahrungen befragt und diese Interviews zu einem informativen, aber auch unterhaltsamen Essay über die Frauenbewegung und den Umgang mit lesbischer Liebe in der Schweiz während der letzten hundert Jahre verdichtet, ergänzt durch einige Off-Kommentare, die historische Hintergründe erläutern, und um alte Fotos sowie Film- und Fernsehausschnitte. Dabei lebt der Film ebenso von dem Geschick, oft auch dem Witz, mit dem die Filmemacherin die Aussagen ihrer Protagonistinnen zusammen- und manchmal auch gegeneinander stellt, wie von der Ausstrahlung der Frauen, die sich erstaunlich freimütig vor der Kamera öffnen. In einer einleitenden Sequenz werden diese kurz und pointiert vorgestellt: Johanna Berends, eine imposante alte Dame, die verheiratet war und Kinder hatte, als sie in den 1950er-Jahren der Frau ihres Lebens begegnete; Liva Tresch, eine Fotografin, für die die Worte „lesbisch“ und „schwul“ zunächst etwas Monströses bezeichneten, bevor sie sich allmählich mit ihrer Identität anfreunden konnte und so etwas wie die Bild-Chronistin der homosexuellen Subkultur Zürichs wurde (viele der im Film verwendeten Fotos stammen von ihr). Die Modedesignerin Ursula Rodel nimmt den Standpunkt einer Künstlerin ein, die sich einer lesbischen „Szene“ nie recht anschließen wollte; Heidi Oberli dagegen vertritt die Position der kämpferischen 1968er-Frauen, die ihr Anderssein nicht zuletzt auch politisch verstanden und im Kampf um die eigene Anerkennung auch einen Kampf um eine andere, freiere Gesellschaftsform sahen – manchmal mit, manchmal aber auch gegen die anderen „revolutionären“ Bewegungen der 1960er- und 1970er-Jahre. Gleichsam den Rahmen des Ganzen liefern Samira Zingaro, die Jüngste der Gruppe, und die implizite Frage, wie es mit lesbischer Identität – oder vielmehr lesbischen Identitäten – in der Schweiz der Gegenwart aussieht. Veronika Minder verbindet sehr stimmig die persönlichen Geschichten ihrer Figuren und einen übersichtlichen historischen Überblick miteinander. Beginnend bei der Frauenbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wird zunächst ein Blick auf die Blüte einer homosexuellen Subkultur in den Metropolen der „Roaring Twenties“ geworfen; die Bilder von Marlene Dietrich, die in Sternbergs „Marokko“ als „garçonne“ im Frack auftritt, werden durch Berichten von Johanna Berends konterkariert, die davon erzählt, dass ihre Bekenntnisse, sich zu Frauen hingezogen zu fühlen, von ihrer Umwelt schlicht nicht ernst genommen wurden; wie hätte sie selbst dann diese Neigungen ernst nehmen sollen? Über die 1930er-Jahre, als das Erstarken des Faschismus im benachbarten Deutschen Reich die zarten Keime eines schwul-lesbischen Engagements für Anerkennung und Entkriminalisierung auch in der Schweiz erstickte, bewegt sich der Film allmählich in die 1950er-Jahre. Deren konservativ geprägtes Klima wird anhand von Archivmaterial vor Augen geführt; umso spannender werden die Berichte von Johanna Berends und Liva Tresch, die in dieser Zeit ihre eigene sexuelle Neigung vernehmen – Berends durch die Begegnung mit der „großen Liebe“, Tresch durch den Kontakt mit der lesbischen Subkultur, die sich zumindest in den Städten (und auch da nur im Geheimen) erneut formierte und bunte Blüten trieb. Besonders die Berichte von Heidi Oberli führen dann hin zum Kampf um die Legalisierung homosexueller Lebensweisen in den 1960er-Jahren; wobei Oberli bisweilen durchaus augenzwinkernd die radikalen Postulate von damals ins Gedächtnis ruft: erste Schritte in die Öffentlichkeit auf einem Weg hin zu vorurteilsfreier Akzeptanz, der bis in die Gegenwart führt und, so die Protagonistinnen, noch längst nicht am Ende angekommen ist.
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