Die Finsternis

Dokumentarfilm | Deutschland 2005 | 85 Minuten

Regie: Thomas Tielsch

Dokumentarfilm nach Louis Ferdinand Célines umstrittenem Roman "Von einem Schloss zum anderen", der die letzten Monate des Dritten Reichs beschreibt (September 1944 bis April 1945) und eine extreme Beobachtungsposition einnimmt. Das Kriegsende und die Nachkriegszeit verbrachte der französische Nazi-Kollaborateur auf der Flucht; Erlebnisse, die er in einer großen Roman-Trilogie verarbeitete. Auf dem ersten Band dieser Trilogie (1957) basiert dieser Essayfilm, der Fiktion, Kommentar, Interviews und Dokumentation nie affirmativ zur Vorlage, sondern diskursiviert auf vielschichtige Weise vermischt. Eine anstrengende, aber bewusstseinserweiternde, ebenso mutige wie wichtige essayistische Literaturverfilmung, zudem eine adäquate Entsprechung zur schwierigen Vorlage.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Filmtank/ZDF/ARTE
Regie
Thomas Tielsch
Buch
Thomas Tielsch · Louis-Ferdinand Céline
Kamera
Bernd Mosblech
Musik
Paul Lemp
Schnitt
Thomas Tielsch · Andrew Bird
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
absolut (1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Louis-Ferdinand Céline gehört zu den umstrittensten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Mit seinem Roman „Reise ans Ende der Nacht“ (1932) hatte er früh den Ruf eines literarischen Erneuerers errungen, den er sich mit seinen antisemitischen Pamphleten während des Zweiten Weltkriegs sogleich wieder verspielte. Das Kriegsende und die Nachkriegszeit verbrachte der französische Nazi-Kollaborateur auf der Flucht; Erlebnisse, die er in einer großen Roman-Trilogie verarbeitete. Auf dem ersten Band dieser Trilogie „Von einem Schloss zum anderen“ (1957) basiert dieser Essayfilm des Hamburger Filmemachers Thomas Tielsch. „Die Finsternis“ behandelt analog zum Roman jene Endphase des Krieges, in der die französische Vichy-Regierung unter Marschall Pétain von den Nazis ins süddeutsche Sigmaringen evakuiert wurde. Ein ausgedientes Hohenzollernschloss wurde zum Sitz für eine Regierung ohne Territorium. Immer mehr Flüchtlinge sammelten sich in diesem Ort des kurzen Exils auf der Flucht vor den vorrückenden Alliierten: Kollaborateure und ihre Familien hielten sich hier bis zum März 1945 auf und verwandelten die Stadt in einen Ort des nahenden Untergangs: Finsternis bedeckt die Erde dieser verzweifelten Schuldigen, die in Krankheit, Angst und bizarren Begierden ihre letzten Tage fristen. Célines radikalstes Mittel und zugleich ein Signum seiner literarischen Modernität ist die Sprache: In fast chaotischen Textmontagen mischt er Umgangssprache und literarisches Französisch, wörtliche Rede und Reflexion. Seine Romane lesen sich wie in einem Rausch, der den Hauch von Eile, Verfall und Angst inhaliert. Tielsch entgeht mit der offenen Form seines Films jener Falle, die eine rein spielfilmartige Bebilderung mit sich gebracht hätte. Die Mischung aus Fiktion, Kommentar, Interviews und Dokumentation ist nie affirmativ zur Vorlage, sondern diskursiviert sie auf vielschichtige Weise. Peter Weis spricht den fragmentarischen Text Célines in fiebriger Atemlosigkeit, die den Eindruck eines nahenden Endes noch verstärkt. Dazu sieht man Spielszenen, meist elliptische Eindrücke und rätselhafte Nahaufnahmen, monochrom gefärbt wie einst Lars von Triers „Element of Crime“ (fd 25 122). Dazwischen Interviews mit überlebenden Zeitzeugen, Eindrücke aus dem Sigmaringen von heute. Es bleibt der virtuosen Verflechtung in der Montage überlassen, diese Ebenen zu verschmelzen, eine Art Zeitlosigkeit dieses Themas zu beschwören. Tielsch ist eine ebenso anstrengende wie bewusstseinserweiternde, mutige wie wichtige essayistische Literaturverfilmung gelungen, zudem eine adäquate Entsprechung zur schwierigen Vorlage. Sein Film verdeutlicht einen weiteren unaufgearbeiteten Aspekt der Geschichte des Zweiten Weltkriegs: das Schicksal der Kollaborateure, jener Franzosen, ohne die die zeitweise Besetzung Frankreichs durch die Nazis nicht denkbar gewesen wäre.
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