Komödie | Frankreich/Italien 2006 | 125 Minuten

Regie: Alain Resnais

Sechs auf jeweils eigene Art und Weise einsame Menschen wollen aus ihrem bisherigen Dasein ausbrechen, unternehmen dabei allerlei Anstrengungen, machen aber im entscheidenden Moment einen Rückzieher. Aus der Konstellation eines Theaterstücks entwickelt Alain Resnais seine subtile Liebeskomödie, in der jedes Detail von den Dekorationen über die Lichtsetzung bis zur Musik den Gemütszustand der Personen spiegelt. Dreh- und Angelpunkt ist ein Immobilienbüro, wobei die Wohnungssuche zur Metapher der Suche nach Liebe und Glück wird. Die abwechslungsreiche Inszenierung und hervorragende Darsteller sorgen dafür, dass trotz persönlicher Tragödien Leichtigkeit und Lebensmut die Oberhand behalten. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
COEURS
Produktionsland
Frankreich/Italien
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Soudaine Compagnie/Studio Canal/France 2 Cinéma/SFP/BIM Distribuzione
Regie
Alain Resnais
Buch
Jean-Michel Ribes
Kamera
Eric Gautier
Musik
Mark Snow
Schnitt
Hervé de Luze
Darsteller
Sabine Azéma (Charlotte) · Lambert Wilson (Dan) · André Dussollier (Thierry) · Pierre Arditi (Lionel) · Laura Morante (Nicole)
Länge
125 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Komödie | Liebesfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 2.35:1, DD5.1 frz./dt.)
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Diskussion
Leise rieselt der Schnee. Das allein gibt dem Blick auf Paris schon eine ungewohnte Leichtigkeit und Poesie – und damit auch den Liebesbemühungen der sechs Personen, die im Mittelpunkt von Alain Resnais' Variante eines fünf Jahre alten Theaterstücks von Alan Ayckbourn („Private Fears in Public Places“) stehen. Aus den etwas kühlen britischen Figuren hat Resnais warmherzige französische gemacht. Aber auch wenn sie viel reden: Ihre Herzen tragen sie trotzdem nicht auf der Zunge. Wie bereits in seiner Ayckbourn-Adaption „Smoking/No Smoking“ (1993) geht es um Missverständnisse, Sorgen und Lebensträume – und um das unermüdliche menschliche Streben nach Glück und Liebe, dem die verschiedenen Figuren in unterschiedlichen Variationen nachgehen. Resnais zeigt hier seine ungebrochene Könnerschaft – und jene sanfte, spielerische Altersweisheit, die auch schon seinen letzten Film, „Das Leben ist ein Chanson“ (1997), prägte. Das erste seltsame Paar des Beziehungsreigens arbeitet in einem Immobilienbüro, dem Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Thierry, ein Makler, Mitte 50, immer noch unverheiratet, ist verliebt in seine etwa gleichaltrige Kollegin Charlotte. Doch er ist zu schüchtern, um ihr das zu sagen. Sie scheint ihn indes auch zu mögen und sagt es ihm durch die Blume, indem sie ihm eine Aufzeichnung ihrer Lieblingsfernsehsendung gibt, in der es um Religion und Musik geht. Thierry ist eher enttäuscht von diesen medialen Neigungen seiner Angebeteten und will das Video schon ausschalten – bis auf dem Band plötzlich Szenen erscheinen, die ihm eine vollkommen unerwartete, pikante Seite Charlottes enthüllen. Diese gewagtere Seite der auf den ersten Blick eher zugeknöpften Charlotte ist es auch, mit der sie einen störrischen alten Mann „zähmt“, der pflegebedürftig im Bett liegt und den sie aus Gefälligkeit gegenüber einem Freund, dem Barmann Lionel, hütet. Der wundert sich, wieso sein Vater, der sonst alle Frauen mit seiner Aggression aus dem Haus treibt, es mit Charlotte aushält – und umgekehrt. Schließlich wird auch er immer sensibler für die Qualitäten der ungewöhnlichen Frau: aus der Freundschaft, die sie und Lionel verbindet, scheint mehr zu werden. Und da sind noch Dan und Nicole; beide Mitte 40 und fest liiert, doch nicht ohne Probleme: Dan ist arbeitslos – und ärgert sich, dass Nicole ihn zur Jobsuche antreibt, anstatt ihn einfach so zu lieben, wie er ist (und ihn weiterhin auszuhalten). Er gefällt sich in seinem Selbstmitleid, das er jeden Abend in der Hotelbar ertränkt, wo Lionel arbeitet. Dieser gibt ihm den Rat, sich doch mit einer anderen Frau zu treffen. Diese andere, die er auf eine Kontaktanzeige hin im Internet findet, ist Gaëlle, die etwa 30 Jahre jüngere Schwester von Thierry. Sie mag Dan auf Anhieb – und blüht zum ersten Mal nach längerer Zeit auf. Dan geht es ähnlich, obwohl Nicole ihn gerade hinausgeworfen hat. Was Gaëlle allerdings nicht weiß... Das ist die Grundkonstellation von „Herzen“: Keiner weiß wirklich, was denjenigen bewegt, den er liebt oder mit dem er zusammenlebt bzw. zusammenleben möchte. Selbst Thierry und Gaëlle nicht, die sich als Geschwister eine Wohnung teilen und noch am ehesten einander helfen können. Zwischen Nähe und Fremdheit, Vertrauen und Vorbehalten entfaltet sich so ein spannungsreiches, amüsantes Liebes-Spiel, dem die sorgsame Komposition dieses umgedrehten Liebesreigens einen besonderen Reiz verleiht. Alle Szenen spielen in Innenräumen, die viel vom Charakter der Personen verraten. So beschreibt die leere Wohnung mit dem unglücklich geteilten Fenster, die Lionel Nicole anbietet, auch die Beziehung von Dan und Nicole, die sie zu kitten hofft, indem sie eben eine neue Wohnung für ihre Beziehung zu Dan sucht. Das weiße moderne Büro mit dem großen Schaufenster, in dem Thierry und Charlotte arbeiten, steht für die vermeintliche Offenheit, mit der beide miteinander umgehen. Die rustikal eingerichtete Wohnung von Lionel zeigt, dass er sein bisheriges Leben eigentlich nicht verändern will und den Vater, den er pflegt, nur als Schutzschild gegenüber der Welt benutzt. Obwohl er sich an seinem hypermodern gestylten Arbeitsplatz in der Hotelbar durchaus wohl zu fühlen scheint. Diese Bar zieht wiederum Dan an, weil er sich dort anonym fühlt und somit den Mut findet, dem Barmann das zu sagen, was er sich Nicole nicht zu sagen traut. Und zwischen allem rieselt der Schnee über Paris und erklingen „Cheek to Cheek“ und andere sanfte Melodien; alle Dialoge sind getragen von einem ungewohnt weichen Ton. Man muss schon einen Draht zu dieser Welt der verhinderten Gefühle haben, die schon immer das Werk von Alain Resnais prägte, um die Details zu finden und zu genießen, die sein Kino ausmachen. Seine Stammschauspieler Sabine Azéma, Pierre Arditi und André Dussollier sind wie immer exzellent und zeigen viele Nuancen, wenn es gilt, die einsamen Herzen zu spielen, die verzweifelt versuchen, sich aus ihrem Kokon zu befreien – und nicht merken, dass sie sich selbst dabei im Weg sind. Von den drei jüngeren Darstellern schafft es am besten Isabelle Carré als Gaëlle, die Diskrepanz zwischen den vielen Enttäuschungen und den wenigen Freuden des Lebens zu zeigen. Normalerweise sind in einem adaptierten Theaterstück die Dialoge wichtig, aber Resnais, der vorher bereits vier andere Theaterstücke auf die Kinoleinwand brachte, sorgt dafür, dass sie in „Herzen“ nur ein Element unter vielen in der kunstvollen filmischen Inszenierung sind – und noch nicht einmal das, was die Stimmung des Films am nachhaltigsten bestimmt. Durch die ständigen Ortswechsel (Immobilienbüro, die Wohnungen von Thierry/Gaëlle, Nicole/Dan, Lionel und das leere Apartment) wechselt immer auch die Atmosphäre; die verschiedenen Zweier-Konstellationen der über 50 Szenen sorgen für Überraschungen und liefern einmal mehr den Beweis, dass der französischen Altmeister – Resnais wird in diesem Jahr 85 – vielen jüngeren einiges voraus hat: Die acht Nominierungen von „Herzen“ für den César, den französischen Filmpreis, und der „Silberne Löwe“ von Venedig sind auch für Resnais ein neuer Rekord.
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