Jene ihre Begegnungen

- | Italien/Frankreich 2006 | 66 Minuten

Regie: Danièle Huillet

Vor wechselnden italienischen Landschaften rezitieren zehn Darsteller in sechs Sequenzen die fünf letzten Dialoge von Cesare Paveses 27 "Dialoghi con Leucò", die die Welt nach der Sintflut als einen Ort vorstellen, in dem eine von Menschen verwirklichte Ordnung herrscht. In Zwiegesprächen zwischen Göttern, Helden und Nymphen der griechischen Antike, die die vorolympischen Gottheiten abgelöst haben, wird über das Wesen des sterblichen Menschen reflektiert und der Gegensatz zwischen göttlichem Dasein und menschlicher Existenz behandelt. Der betont sperrige und karge Film ringt dem antiken Stoff eine Neuinterpretation ab und sensibilisiert in seiner Konzentration auf das Wort und mit klaren Bildern für das Wesen der Dinge. Zuschauern, die sich darauf einlassen, bietet sich ein Reichtum an Klang, Sprache, Licht, Farbe, Text und Textur. - Sehenswert ab 18.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
QUEI LORO INCONTRI | CES RENCONTRES AVEC EUX
Produktionsland
Italien/Frankreich
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Straub-Huillet/Pierre Grise Prod./CNC/Le Fresnoy Studio National des Arts Contemporains/Archipel
Regie
Danièle Huillet · Jean-Marie Straub
Buch
Danièle Huillet · Jean-Marie Straub
Kamera
Marion Befve · Renato Berta · Jean-Paul Toraille
Schnitt
Danièle Huillet · Jean-Marie Straub
Länge
66 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 18.
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Diskussion
\"Diese Dinge weiß man“, heißt es im ersten der fünf letzten „Gespräche mit Leuko“, die „Jene ihre Begegnungen“ zu Grunde liegen. Nein, diese Dinge weiß „man“ längst nicht mehr; man wusste sie nicht einmal mehr, als Cesare Pavese um 1945 begann, an einer möglichen Rekonstitution des Mythos zu arbeiten. Um es mit Pavese selbst zu formulieren: „In jedem der Gespräche mit Leuko wird mit Hilfe eines zwischen den beiden auftretenden Personen rasch ablaufenden Dialogs ein klassischer Mythos beschworen, in seiner ganzen Problematik und unheimlichen Mehrdeutigkeit gesehen und interpretiert, bis zu seinem menschlichen Kern freigelegt und dadurch jener klassizistischen Pseudoschönheit entkleidet. Seine Gestalten werden als Typen mit einem schönen Namen behandelt, die zwar an ihrem Schicksal, nicht aber an einem psychologisch abgerundeten Charakter zu tragen haben.“ Paveses „Gespräche mit Leuko“, publiziert im Oktober 1947, blieben zum Ärger des Autors seinerzeit weitgehend unbeachtet. Jean-Marie Straub und Danièle Huillet hatten sich Paveses Text bereits 1978 angenommen, als sie sechs der „Gespräche“ in ihrem Film „Von der Wolke zum Widerstand“ einsetzten. Bei „Jene ihre Begegnungen“ sind es nun die Dialoge „Die Menschen“, „Das Mysterium“, „Die Sintflut“, „Die Musen“ und „Die Götter“. Die Dialoge „spielen“ in einer Zeit nach der Bezwingung der vorolympischen Gottheiten durch die Olympier. Die siegreichen „neuen“ Götter reflektieren jedoch nicht so sehr auf die Vergangenheit („Diese Dinge weiß man“), sondern über ihr Verhältnis zu den Sterblichen, den Menschen. Von denen heißt es: „Ihr ganzer Reichtum ist der Tod, der sie zwingt, sich anzustrengen, sich zu erinnern und vorauszusehen. (...) Die reichste Huldigung, die sie für uns darbieten können, liegt noch heute im Vergießen von Blut.“ Die „Gespräche“ bezeichnen eine Zeit des Übergangs; die Götter gehen auf Distanz, sind nicht länger Dialogpartner, sondern Gegenstand von Dialogen. In seinem Nachwort zur Buchausgabe der „Gespräche mit Leuko“ (1989) schrieb Johannes Hösle zu den letzten fünf Dialogen, dass diese „die von dem Menschen nach der Sintflut verwirklichte neue Ordnung zum Gegenstand“ hätten. Der einzige Mensch, der in „Jene ihre Begegnungen“ auftritt, ist der Dichter Hesiod, der Mnemosyne auf deren Frage „Warum – sage mir – glaubst du dich zufrieden, wenn du mit mir redest?“, antwortet: „Was du sagst, schließt in sich nicht jenen Ekel all dessen, was täglich geschieht. Du gibst den Dingen eigene Namen, die sie anders machen, unerhört und doch lieb und vertraut wie eine Stimme, die seit langem schwieg. Oder wie das jähe Erblicken in einem Spiegel von Wasser, der uns sagen lässt: ‚Wer ist dieser Mensch?‘“. Erneut haben Huillet/Straub mit „Jene ihre Begegnungen“ ein (weitgehend) unbekanntes Stück Literatur „geborgen“. Ihr Film zeigt in sechs Sequenzen fünf Dialoge von zehn Darstellern, die Paveses schwierigen Text „gelebt haben, ihn gezähmt haben, ihn fühlbar und sinnlich gemacht haben“ (Presseheft). Die Kamera besorgte Renato Berta, den Ton Jean-Pierre Duret. Man sieht die Arbeit von Menschen am Text inmitten der Natur, die Zeit in Anspruch nimmt. Das Licht wechselt, man hört den Wind, Insekten und Ambience-Sound. Gedreht wurde am Monte Pisano nahe Pisa, an einem Ort, von dem es im Presseheft heißt: „Ein Nichts genügt, und das Gelände wird wieder das gleiche wie damals, als diese Dinge geschahen.“ Damit sind nicht nur die Dialoge gemeint, sondern auch die Momente, in denen die Figuren schweigen und die Natur redet. Der Reichtum von „Jene ihre Begegnungen“ – Klang, Sprache, Licht, Farbe, Text und Textur – macht beklommen. Kurz vor Schluss – im Gespräch der beiden namenlosen Götter – heißt es: „Ich glaube an das, was jeder Mensch erlitten oder erhofft hat.“ Schließlich dann – wie bereits am Schluss des „Louvre“-Films – das Murmeln eines Bachs, das Bellen eines Hundes, dann ein langsamer Schwenk nach oben: eine Wiese, eine Dorfansicht, Wäsche trocknet im Wind, ein Motorradfahrer fährt durchs Bild, die Häuser fallen nach unten aus dem Bild, ein Hügel, der Himmel, dazwischen eine Stromleitung. Ein Nichts genügt, und doch bleibt die Spur einer Erinnerung. Last Will & Testament. „In jedem verlassenen Ort bleibt doch eine Leere, eine Erwartung zurück.“
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