Ferien (2007)

Drama | Deutschland 2007 | 91 Minuten

Regie: Thomas Arslan

Während der Ferien in der Uckermark kommt eine Familie zusammen, was weniger die erhoffte Entspannung bringt als die einzelnen Mitglieder mit unausgestandenen Konflikten konfrontiert und sie zwingt, sich ihren Gefühlen zueinander zu stellen. Eine bemerkenswerte Studie, die vor allem durch ihre intensive Spannung fesselt. Formal ausgereift, veranlasst der Film in seiner hoch konzentrierten Inszenierung die hervorragenden Darsteller zu bemerkenswerter körperlicher Zurückhaltung, wodurch das innere Drama von Menschen, die ihr Leben an sich vorüberziehen lassen, umso nachhaltiger wirksam ist. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Pickpocket/ZDF/3sat
Regie
Thomas Arslan
Buch
Thomas Arslan
Kamera
Michael Wiesweg
Schnitt
Bettina Blickwede
Darsteller
Angela Winkler (Anna) · Karoline Eichhorn (Laura) · Uwe Bohm (Paul) · Anja Schneider (Sophie) · Gudrun Ritter (Annas Mutter)
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. den Kurzfilm "Am Rand" von Thomas Arslan (20 Min.).

Verleih DVD
Filmgalerie451 (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Ameisen im Unterholz, Feldwege und sich zart neigende Baumwipfel, im Sommerwind trocknende Handtücher auf einer Wäscheleine – menschenleer in sich ruhende Miniaturansichten der Natur. Tauchen vielleicht doch gleich Tschechows Sommergäste im einsamen Landhaus in der Uckermark auf? Das abgelegen im Wald liegende Refugium gehört Anna (gespielt von Angela Winkler mit der ihr ganz eigenen Leidensfähigkeit). Es ist Ferienzeit, und Anna, ihr zweiter Mann und der gemeinsame Sohn bekommen Besuch aus Berlin: von ihrer kranken Mutter, einem Schwiegersohn, zwei Enkelkindern und den beiden erwachsenen Töchtern. „Man kann am Ende der Welt wohnen. Euch und eure Geschichten wird man einfach nicht los“, sagt eine von ihnen, als die alten Familienkonflikte wieder an die Oberfläche dringen. Anna trauert immer noch ihrem ersten Mann nach, der sie mit den beiden Töchtern sitzen ließ. Für die ist die jahrzehntelange Abwesenheit des Vaters kein leichtes Erbe, die Gefühle reichen von Wut und Hass bis zum sehnsüchtigen Hoffen auf ein Wiedersehen. Ein einziges Mal kommt es zwischen den dreien nach dem Abendessen zu so etwas wie einer lautstarken Aussprache, die aber schnell wieder verebbt. Ansonsten herrscht eine stille, angespannte Ruhe vor dem Sturm, der nie ausbricht. Jeder ist mit seinen inneren Dämonen beschäftigt, und dass der pubertierende Halbbruder gerade sein erstes Liebesleid durchmacht, fällt den Schwestern gar nicht auf. Er scheint in ihrem Leben ohnehin keine besondere Rolle zu spielen. Als sie einmal über ihre komplizierten Familienbande sprechen, über die Mutter, der immer alles zu viel war, stellen sie wie beiläufig fest, dass sie kaum etwas darüber wissen, was die andere bewegt. Dabei befindet sich jede von ihnen gerade an einem Wendepunkt: Sophie lebt nach einer gescheiterten Beziehung allein und findet auch beruflich keinen Halt. Laura kann von ihren Übersetzungen nicht leben und tröstet sich mit einer Affäre, die sie ihrem Mann im Ausnahmezustand der Ferien gesteht. Schnell denkt man an die Alltagsbeobachtungen eines Eric Rohmer, aber auch diese Assoziation ist nur ein verräterischer Versuch, das atemberaubend dichte Porträt dieser versteinerten, still auseinander driftenden Familie inhaltlich zu zerlegen, obwohl es die Form ist, die viel mehr preisgibt als das von dem famosen Ensemble mit bewundernswerter Körpergehemmtheit gespielte Personal. Auch wenn die Charaktere im Mittelpunkt stehen, isoliert und ausgeliefert an einen alltagsfernen Ort, der sie zur Konfrontation mit sich selbst und den anderen zwingt, ist es die asketische Strenge, mit der Thomas Arslan das innere Drama dieser Menschen erzählt, die fesselt und eine ungeheure Spannung erzeugt. Die Kadrage zielt extrem auf die Präsenz des Raums in seiner nach außen gekehrten Materialität alltäglicher Gegenstände. Die Kamera scheint so erstarrt wie die Figuren, wenn sie ihnen desinteressiert dabei zuschaut, wie sie aus dem Bild treten, anstatt ihnen zu folgen. Auch die Nähe der Gesichter sucht sie nie, bleibt auf Distanz und schenkt ihre Aufmerksamkeit lieber den Fliegen, die hektisch über dem Ping-Pong-Tisch schwirren, oder den im Garten unbeschwert und fern der Sorgen der Erwachsenen tobenden Kindern. Es sind so zeitvergessene Momente wie diese, die eine leise Melancholie des Vergänglichen herbei zaubern und so etwas wie Mitleid für all die unzulänglichen Menschen fühlen lassen, die ihr kurzes Leben gequält und unentschieden an sich vorbei ziehen lassen. Arslan hat seit 1994 vier Spielfilme gedreht, zuletzt einen Dokumentarfilm: „Aus der Ferne“ (fd 37 520), eine Reise ins Land seines türkischen Vaters, nach Ankara, Istanbul sowie aufs Land, an die türkisch-iranische Grenze am Fuße des Ararat, wo er den Genozid der Türken an den Armeniern zur Sprache brachte. „Enthüllungsarbeit“ scheinbar vernarbter Wunden leistet er auch in „Ferien“ und verzichtet zudem erstmals auf den bi-kulturellen Bezug, der seine Trilogie über das Leben junger Deutsch-Türken in Berlin prägte. Das war auch höchste Zeit, denn längst riskierte er – neben Fatih Akin – zum Aushängeschild des deutschen Migrantenkinos zu avancieren. Mit „Ferien“ wagt er einen Schritt nach vorn und bricht mit einer weiteren Erwartungshaltung, indem er für sein nach innen implodierendes Gefühlsdrama nach Jahren der Arbeit mit Laien auf professionelle Schauspieler zurückgreift. Keiner der Anwesenden wird nach dem wenig erholsamen Urlaub so weitermachen wie bisher, und doch wird wohl alles beim Alten bleiben. Kurz vor der Abreise ist die Natur plötzlich nicht mehr idyllisch, sondern erdrückend öde. Anna möchte sich von ihrem Haus trennen und Laura vom Vater ihrer Kinder. Den härtesten Schritt bringt der Tod der Großmutter, der die Frauen wieder annähert; auch für dieses Ereignis, in einem Melodram die Gelegenheit zum Reinigen der Affekte, braucht Arslan gerade mal zwei kurze Szenen. Die aber haben es in sich: Der Anruf aus dem Krankenhaus erreicht Anna ganz unspektakulär am in die Sonne getauchten Küchentisch. Kein Weinen, kein Wort fällt. Dann die Rückenansichten der Familienmitglieder auf Kirchenbänken, und zum Abschied ertönt andächtige Orgelmusik, nur um dem Bild der im Grünen spielenden Kinder zu weichen. So ernst, reif, formal vollkommen und wunderschön einfach wie diese letzten Szenen ist der ganze Film – ein Höhepunkt und Meisterstück der Berliner Schule.
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