Über die Schwelle - mit Walter Ruge

Dokumentarfilm | Deutschland 2006 | 64 Minuten

Regie: Stefan Mehlhorn

Dokumentarfilm über den deutschen Kommunisten Walter Ruge, der nach Hitlers Machtergreifung in die Sowjetunion ging, wo ihm nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wegen Kritik am Hitler-Stalin-Pakt der Prozess gemacht wurde. Ruge erinnert sich an die harte Zeit in sibirischen Arbeitslagern, aber auch daran, wie er seine große Liebe und spätere Frau kennenlernte, mit der er nach der Aufhebung der Verurteilung in die DDR ging. Nun reist er noch einmal in das Land, das sein Leben geprägt hat. Der liebe- und humorvolle Dokumentarfilm begleitet seinen eloquenten und sympathischen Protagonisten bei einem Vortrag und auf seiner Erinnerungsreise nach Sibirien. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Filmakademie Baden-Württemberg
Regie
Stefan Mehlhorn
Buch
Stefan Mehlhorn
Kamera
Lars Drawert
Musik
Cornelius Renz
Schnitt
André Nier
Länge
64 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Eigentlich klingt noch immer unglaublich, was Walter Ruge 1941 in Moskau widerfuhr. Da war der überzeugte Kommunist bei der Machtübernahme der Nazis von Berlin in die Sowjetunion geflohen, hatte dort acht Jahre im Exil gelebt, in mehreren Berufen gearbeitet, bis er eines Tages verhaftet wurde. Der Vorwurf: Auf einer privaten Feier habe er sich despektierlich über den Hitler-Stalin-Pakt geäußert; über einen Vertrag, dessen Fragwürdigkeit zu diesem Zeitpunkt durch die historischen Ereignisse längst nachhaltig belegt war. Dennoch warf der Geheimdienst Ruge vor, die außenpolitische Kompetenz des Führers der Sowjetunion in Zweifel gezogen zu haben. Wofür er zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, die er in verschiedenen sibirischen Arbeitslagern verbüßte. So absurd die tragische Geschichte anmutet – sie war bekanntlich kein Einzelfall. Ähnliches widerfuhr auch anderen deutschen Kommunisten, die vor den Nazis in die Sowjetunion flohen und dort in die Maschinerie von Stalins Säuberungsaktionen gerieten. Walter Ruge, Jahrgang 1915 und heute in Potsdam lebend, ist fraglos ein überaus beredter Zeitzeuge. Davon können sich auch die Schüler einer Gesamtschule überzeugen, denen er ebenso anschaulich wie humorvoll sein bewegtes Leben schildert. Der Vortrag bildet ein Element dieses bemerkenswerten Porträts; das andere besteht in der Dokumentation einer Reise, die das Filmteam gemeinsam mit Ruge an die Stätten seiner Haftzeit in Sibirien unternahm. Auch diese Sequenzen sind, zumal während der langen Bahnfahrt durch die Weiten von Tundra und Taiga, von lebendigen Erinnerungen des rüstigen Rentners geprägt. Wie er die Mühen schildert, ein Stück Brot, das ihm in einem Lager einmal versehentlich zuviel zugeteilt worden war, trotz Heißhunger so zu essen, dass weder seine Zellengenossen noch die Aufseher davon etwas mitbekamen, ist ein höchst bewegender Moment; denn der Diebstahl von Lebensmitteln wurde mit dem Tode bestraft. An den Orten seiner einstigen Peinigungen angekommen, gehen dem sprachgewandten Protagonisten dann aber mehrfach die Worte aus. Sei es, weil die Erinnerungen zu schmerzlich sind, sei es, weil er angesichts der imposanten Natur zum staunenden Bewunderer wird. Eine unwirtliche Idylle, die sich auch der Film zunutze macht, wenn etwa brechendes Eis auf einem Fluss mit Hilfe von Walzerklängen zu einem Schollen-Ballett arrangiert wird. Wenn sich Ruge schließlich an seine vier Jahre vor den Dreharbeiten verstorbene Frau erinnert, die er in Sibirien kennen lernte und 1958 mit in die DDR nahm, überkommen ihn Tränen der Rührung. Gleichwohl ist das Porträt erfrischend frei von jeglicher Sentimentalität, was vor allem mit dem humorvollen Protagonisten selbst zu tun hat, den man zu Beginn auf einer Mai-Kundgebung in Potsdam sieht, wo er nüchtern auf das Geschehen blickt, das inzwischen mehr von einer Volksbelustigung als von einem internationalen Kampftag der Arbeiterklasse hat. Darüber hinaus greift Stefan Mehlhorn in seinem Film, der ohne Off-Kommentar auskommt, auf eine Fülle klug montierter Archivbilder zurück und setzt immer wieder Musik mal begleitend, mal kontrastiv ein. Ein ebenso informativer wie unterhaltsamer Dokumentarfilm, der sich auf gut eine Stunde Laufzeit beschränkt, wobei Ruge sicherlich Stoff für mehr geliefert hätte.
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