Kehraus, wieder

- | Deutschland 2006 | 100 Minuten

Regie: Gerd Kroske

Der dritte und (nach "Kehraus" und "Kehrein, Kehraus") abschließende Teil einer filmischen Langzeitbeobachtung über drei ehemalige Straßenkehrer aus Leipzig, deren durch Alkohol und Arbeitslosigkeit bedingter Abstieg schonungslos dokumentiert, aber nicht moralisierend verurteilt wird. Ein intensiver, bitterer Film über soziale Kälte und Chancenlosigkeit, der sich mit drei Menschen auseinander setzt, deren (seelische) Not sich in ihre Gesichter eingeschrieben hat.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
realistfilm/mdr
Regie
Gerd Kroske
Buch
Gerd Kroske
Kamera
Dieter Chill
Schnitt
Karin Gerda Schöning
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
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Diskussion
Wer sich auf Dokumentarfilme einlässt, wird häufig mit Sujets konfrontiert, die wenig erbaulich sind. Doch was Gerd Kroske („Der Boxprinz“, fd 35 254 ) mit „Kehraus, wieder“ vorgelegt hat, dem Abschluss seiner 1990 begonnenen „Kehraus“-Trilogie, geht einen mächtigen Schritt weiter. Wieder sind die einstigen Leipziger Straßenkehrer Gabi, Henry und Stefan die Protagonisten – obwohl Stefan 2001 in seiner verwahrlosten Wohnung tot aufgefunden wurde. Und wieder zeichnet Kroske nicht das gewohnte Bild eines sozialen Abstiegs im Zuge der Wiedervereinigung, sondern widmet sich dem Elend des Nichtaufstiegs, der Unterlassung aller Möglichkeiten, sich im unsicheren sozialen Netz einen kleinen Raum zu schaffen. Bereits in „Kehraus“ sind Kroskes Protagonisten am Ende der sozialen Leiter angekommen. In der ehemaligen DDR wegen „antisozialen Verhaltens“ in Folge von Alkoholmissbrauch und daraus resultierender „Arbeitsbummelei“ in die Kehrkolonne der Stadt Leipzig eingegliedert, konnte sich keiner der drei auf ein halbwegs sicheres Ufer retten. Bereits in „Kehrein, Kehraus“ (fd 1997) waren sie ohne Beschäftigung, von den blühenden Landschaften, die Bundeskanzler Helmut Kohl 1990 beschwor (dessen Wahlkampfmüll sie übrigens entsorgen mussten), haben sie nicht das Geringste gesehen; die Euphorie der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, die den Hintergrund des jetzigen Films liefert, geht an ihnen vorbei. Die „Public viewings“ richten den Blick in die kollektive Erfolgs-Verheißung – die „Kehrseite“ (im wahrsten Wortsinn) will der öffentliche Blick meist nicht wahrnehmen. Gerd Kroske dagegen schärft den „privaten“ Blick, indem er erneut die Biografien seiner Protagonisten verknüpft, die längst den Kontakt zueinander verloren haben, jedoch im Scheitern vereint sind. Dazu bedarf es nicht der analytischen Aufbereitung des sozialen Elends, sondern Kroske nutzt Fotos von Stefan und die verlebten Gesichter der beiden Überlebenden als beredte Seelenlandschaften, um das Ausmaß der persönlichen Katastrophe darzustellen. Henry, in stabiler Abstinenz lebend, verbringt seine Tage mit Computerspiel und lebt in einer zweckmäßigen, aber nicht unbedingt glücklichen Partnerschaft; Gabi, eine einst recht hübsche Frau, sitzt in ihrer Wohnküche und verwaltet die Scherben ihres Lebens als Langzeitarbeitslose ohne Chance auf „Fordern und Fördern“, wie Kanzlerin Angela Merkel es so schön postuliert. Ein Film, der nicht urteilt, aber erschreckt, unter die Haut geht und irritiert, denn auch am Ende weiß man nicht recht, woher der viel beschworene Wind der „sozialen Kälte“ weht. Man ahnt aber, dass die Luft immer dünner wird: Die Kinder und Enkel der unglücklich Überlebenden haben ihrerseits bereits Heimerfahrungen gemacht und scheinen sich einem weitgehend freudlosen Leben stellen zu müssen. Somit ist „Kehraus, wieder“ mit seinen dunklen Wolkendecken nicht nur eine Zustandsbeschreibung aus Leipzig im Jahre 2006, sondern weitet sich zu einer soziologischen Studie über die Chancen in einer Gesellschaft, die Verlierer rigoros abschreibt und in der diese längst den Mut verloren haben, für ihre Sache zu kämpfen. Soziales Elend als genetisches Problem? Diesen Albtraum will Kroske aufbrechen, wenn er am Ende Gabi mit ihrer Tochter, die lange unter Missbrauch durch den Stiefvater litt und in einem Heim überlebte, im versöhnlichen Gespräch filmt. Immer wieder betrachten die beiden ein altes Foto, das Mutter und Tochter in einer Momentaufnahmen wirklichen Glücks zeigt. Erinnerungen an eine fast unmögliche Zukunft?
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