The Tiger's Tail

- | Irland/Großbritannien 2006 | 107 (24 B./sec.)/103 (25 B./sec.) Minuten

Regie: John Boorman

Ein Dubliner Bauunternehmer sieht einen höchst nachlässig Mann, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Bald weiß er nicht mehr, ob ihm sein Unterbewusstsein einen Streich spielt oder ob ein mysteriöser Fremder versucht, seine Identität zu stehlen. Vor dem Hintergrund des "Celtic Tiger", des Booms der irischen Wirtschaft, und der sich bereits abzeichnenden Krisenstimmung zeichnet der Film das fesselnde Porträt eines mit den eigenen Gewissheiten ringenden Mannes und verbindet dies mit einem kritischen Blick auf die irische Gesellschaft. Was als Psychothriller beginnt, führt auf festen erzählerischen Boden und hält dem Gespenst der Krise und der Existenzangst den Mut zum Loslassen entgegen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE TIGER'S TAIL
Produktionsland
Irland/Großbritannien
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Merlin Films/Fern Gully Tales
Regie
John Boorman
Buch
John Boorman
Kamera
Seamus Deasy
Musik
Stephen McKeon
Schnitt
Ron Davis
Darsteller
Brendan Gleeson (Liam O'Leary / Doppelgänger) · Kim Cattrall (Jane O'Leary) · Ciarán Hinds (Father Andy) · Sinéad Cusack (Oona O'Leary) · Sean McGinley (Declan Murray)
Länge
107 (24 B.
sec.)
103 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Senator/Universum (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Senator/Universum (16:9, 1.85:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Diskussion
Man muss den Tiger – und damit ist der Kapitalismus gemeint – am Schwanz packen und gut festhalten, sonst frisst er einen auf. Diese Metapher für die ökonomische Lage benutzt der Dubliner Bauunternehmer Liam O’Leary in seiner Dankesrede, als er den Preis als „Unternehmer des Jahres“ entgegen nimmt. Zu diesem Zeitpunkt ist ihm der Tigerschwanz aber vielleicht schon aus den Fingern gerutscht: O‘Learys Bauunternehmen steckt böse in der Klemme, weil die Stadt ihm die Bewilligung zum Bau eines neuen Stadions verweigert, obwohl die Firma schon Millionen in ein dafür vorgesehenes Grundstück investiert hat. Auch zuhause hat er nicht gerade einen starken Rückhalt: Seine Ehe ist abgekühlt; sein Sohn trägt T-Shirts, auf denen „Eigentum ist Diebstahl“ steht, sympathisiert mit dem Kommunismus und ist mit seinem Vater, dem Großkapitalisten, entsprechend nicht gerade ein Herz und eine Seele. Ist es einfach nur ein Symptom dieser Belastungen, als O‘Leary eines Abends einen Mann erblickt, der zwar in Sachen Kleidung und Frisur aussieht wie ein Penner, ihm aber ansonsten wie aus dem Gesicht geschnitten ist? Als O’Leary seiner Frau von der Sichtung dieses Doppelgängers erzählt, macht sie jedenfalls als erstes einen Termin beim Psychiater aus. O’Leary selbst glaubt aber nicht, dass der Mann, nur ein Produkt seiner überreizten Psyche ist. Schon gar nicht, als der Doppelgänger beginnt, in O’Learys Namen tausende von Euro für einen neuen Geländewagen auszugeben und sich in dessen Privatleben hinein zu schmuggeln. Sabotiert sich O’Leary hier unterbewusst selbst? Oder versucht tatsächlich ein Fremder, sich sein Leben und seine Identität zu stehlen? Der britische Regie-Veteran John Boorman, der diesen Januar seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, hat seinen Film „The Tiger’s Tail“ bereits 2006 vorgelegt. Damals war der „Celtic Tiger“, der Boom der irischen Wirtschaft seit Mitte der 1990er-Jahre, kurz vorm Eingehen und machte mit der weltweiten Wirtschaftskrise 2007 einer dramatischen Rezession Platz. Boormans Film nimmt diese Entwicklung in seiner Geschichte eines Unternehmers, der in jeder Hinsicht den Boden unter den Füßen verliert, vorweg und nutzt das alte Motiv des Doppelgängers zu einer Parabel über die Schattenseiten des Kapitalismus. O’Learys Ringen mit dem Doppelgänger wird auch zum Ringen mit sich selbst, mit den eigenen Gewissheiten und der eigenen Familiengeschichte. Und es wird zur Odyssee durch ein Dublin, das „James Joyce nicht wiedererkennen würde“ (wie auf der Feier zur Krönung des „Unternehmer des Jahres“ spöttelnd bemerkt wird) und in dem sich der wirtschaftliche Boom einerseits in hypermodernen Büro-Komplexen niedergeschlagen hat, andererseits aber auch in zunehmender sozialer Verwahrlosung. Diese zeigt sich z.B. in dem Obdachlosenasyl, in dem ein alter Freund O’Learys, ein Priester, arbeitet. Es hat ganze sieben Jahre gedauert, bis ein deutscher Verleih sich dieses Films angenommen hat – vielleicht ja, weil er bei seinem Erscheinen recht kritisch aufgenommen wurde. Tatsächlich irritiert Boorman, indem er im Lauf des Films das Genre wechselt: Er entwickelt den Stoff zunächst als Psychothriller in der düsteren „Twilight Zone“ der Ungewissheit, was real ist und was nicht, legt schließlich aber eine Volte hin, die den Film auf festen erzählerischen Boden zurück führt und erstaunlich nonchalant dem Gespenst der Krise und der Existenzangst den Mut zum Loslassen entgegen hält. Manche mögen das inkonsequent und verharmlosend finden; im Zuge der Figurenentwicklung, der man im Laufe des Films folgt, wirkt es jedoch nicht unglaubwürdig. Das ist auch ein Verdienst von Boormans Stammschauspieler Brendan Gleeson, der es wieder einmal schafft, eine sehr ambivalente Figur (mitsamt ihres Doppelgängers) bei allen fragwürdigen Zügen so eindringlich zu spielen, dass man die Augen kaum von ihm abwenden kann. Unterstützt wird er von einem Ensemble starker Nebenfiguren und einer atmosphärischen Kameraarbeit.
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