Dokumentarfilm | Deutschland 2014 | 102 Minuten

Regie: Nancy Brandt

Fünf hochmotivierte junge Politikerinnen und Politiker unterschiedlicher Parteien werden 2009 erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt. Der Dokumentarfilm begleitet sie während der vierjährigen Legislaturperiode und beobachtet ihre Versuche, im Polit-Betrieb Fuß zu fassen. Deutlich wird, dass man als Neuling eine große Frustrationstoleranz, viel Geduld und noch mehr Glück braucht, wenn man etwas bewegen will. Der sympathische Dokumentafilm plädiert gegen Politik- und Politiker-Verdrossenheit. Formal eher etwas zu brav, wirft er dennoch sehr erhellende biografische Blicke ins parlamentarische Getriebe. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
if... Prod./HFF München/BR
Regie
Nancy Brandt
Buch
Nancy Brandt
Kamera
Wolfgang Busch · Christiane Schmidt · Thomas Doberitzsch · Lotta Kilian · Thomas Beckmann
Musik
Michael Edwards
Schnitt
Mechthild Barth · Nancy Brandt
Länge
102 Minuten
Kinostart
05.11.2015
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über fünf junge Bundestagsabgeordnete

Diskussion
Sehr kurz, gerade einmal vier Jahre, wird eingangs gewarnt, währt eine Legislaturperiode im deutschen Bundestag. Da sollte man schon überlegen, wie man am schnellsten in sein Büro findet. Steffen Bilger (CDU) macht es seine neuen Kollegen vor: einfach mitlaufen, die anderen werden den Weg schon kennen. Was aber, wenn man sich wie Agnes Krumwiede (Bündnis 90/Die Grünen) als „kleiner Goldfisch“ im Haifischbecken fühlt? Krumwiede, im bürgerlichen Leben Konzertpianistin, ist mit 32 Jahren die älteste der fünf Bundestagsabgeordneten, die die Filmemacherin Nancy Brandt in einer äußerst unterhaltsamen, aber auch recht zahmen Langzeitstudie durch die Legislaturperiode begleitet. Brandt, 1979 in der DDR geboren, versteht ihren Abschlussfilm an der HFF München als kritische Reaktion auf eine allgemein konstatierte Politik- und vor allem Politikerverdrossenheit. Ihre Protagonisten, teilweise Polit-Profis seit Jugendtagen, teilweise aber auch Quereinsteiger, sind zwischen 25 und 32 Jahre alt. Neben der Konzertpianistin aus Ingolstadt gibt es einen Architekt (FDP) aus Forchheim, einen Rechtsanwalt aus Ludwigsburg (CDU), einen Jurist aus Oberhausen (Die Linke) und die Physikerin aus Leipzig (SPD). Sie alle haben vier Jahre Zeit, sich im politischen Raum zwischen Bundestag und Wahlkreis zu bewähren, um dann vielleicht erneut für den Bundestag zu kandidieren. Nicht allen wird eine zweite Legislaturperiode vergönnt sein. Aber zunächst einmal gilt es, die ersten Anlaufprobleme zu bewältigen. Recht früh und etwas überrascht darf Krumwiede ihre „Jungfernrede“ zur Kulturpolitik halten. Sie ist stolz darauf, dass sie im Plenum das Wort „HipHop“ gesagt hat. Mehr Eindruck als ihre Ausführungen aber hat ihr Aussehen hinterlassen. Etwas naiv muss sie erleben, wie der Boulevard sie als „Miss Bundestag“ durch die Manege führt. Sie lernt, dass etwas Abstand zu Journalisten mitunter angeraten ist. Krumwiede geht es darum, die Bedeutung der Kultur für die Gesellschaft offensiv zu unterstreichen. Sie träumt von Mindestgagen und will Kreativität gesellschaftlich mehr Wertschätzung verschaffen. Sebastian Körber von der FDP wäre schon zufrieden, wenn er der Bahn einen barrierefreien Zugang in seiner Heimatstadt abringen könnte. Doch die Bahn mauert. Steffen Bilger von der CDU ist der Profi, der alle Probleme weglächelt und sich gerne mit seiner Freundin in der Öffentlichkeit präsentiert. Ein Karrierist, der dann aber erlebt, wie seine Partei in Baden-Württemberg abgewählt wird. Kurz klagt er über den Verlust des kurzen Dienstweges zur Macht, bewirbt sich dann aber auf den nächsten Posten, um die Partei von der Basis her zu erneuern. Es ist denn auch Bilger, der auf eine unbequeme Frage der Filmemacherin einmal bissig reagiert: „Sie machen aber jetzt nicht auf ,Panorama‘!“ Niema Movassat von der Linken dagegen setzt mehr auf außerparlamentarische Opposition und Inhalte, die für die Medien weniger interessant sind. Eine Karriere, die der von Bilger nahekommt, gelingt dagegen Daniela Kolbe von der SPD, die sich dank ihrer Umsicht in Gremien bewährt und schließlich sogar einen Auftritt in der „Tagesschau“ erhält. Die Inszenierung beschönigt nichts: Mancher Rede im Plenum sind die Adressaten längst abhanden gekommen, wenn die Hinterbänkler endlich ans Mikro treten. Man braucht eine große Frustrationstoleranz, viel Geduld und eine Portion Glück, wenn man im Bundestag „die Welt retten“ will, wie es Kolbe einmal formuliert. Vieles wirkt holprig und linkisch, manches auch läppisch. So muss man versuchen, sich möglichst schnell zu profilieren, zumal man im heimatlichen Wahlkreis als „der aus Berlin“ ungleich bedeutsamer erscheint als in der Fremde. Der Film spielt in der Legislaturperiode 2009 bis 2013: der Tsunami in Japan und „Stuttgart 21“ sorgen für politische Aufregung und dafür, dass mancher in Sachen Verkehrs- und Energiepolitik aufs falsche Pferd setzt. Brandt zeigt Jungpolitiker, die mit unterschiedlichen Professionalisierungsgraden ihren Job machen und sich dabei nach Möglichkeit nicht verbiegen lassen wollen. Von den „Großkopferten“ der Politik, den Medienstars, werden sie schlicht ignoriert und mit leisem Spott auf Distanz gehalten. Nach vier Jahren wird abgerechnet: die FDP hat ausgespielt, und Agnes Krumwiede rutscht so lange Listenplatz um Listenplatz nach hinten, dass einer weiteren Karriere als Konzertpianistin nichts mehr im Wege steht. Sie hofft, in den vier Jahren selbst „ein kleiner Hai“ geworden zu sein, liegt damit aber wohl nicht ganz richtig. Um Steffen Bilger hingegen braucht man sich nicht zu sorgen, der wird seinen Weg machen. Lachend.
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