Biopic | Österreich/Deutschland 2017 | 97 Minuten

Regie: Barbara Albert

Die blinde Klaviervirtuosin Maria Theresia Paradis (1759-1824), die von der Wiener Gesellschaft als Wunderkind vergöttert wird, unterzieht sich 1777 einer mehrmonatigen Behandlung bei einem umstrittenen Mediziner, wodurch sie ansatzweise wieder sehen kann. Doch als die visuellen Reize ihre musikalische Perfektion zu beeinträchtigen drohen, ringt sie sich zu einer einsamen Entscheidung durch. Der mit Rokoko-Reizen nicht geizende Kostümfilm entfaltet eine bittere Emanzipationsgeschichte, in der die Hoffnung auf ein Leben ohne Zwang und Behinderung nur um den Preis der Bedeutungslosigkeit zu haben ist. Der in der Hauptrolle großartig gespielte Film vermag seine mal lakonisch, mal mit beißenden Seitenhieben inszenierte Kritik an der höfischen Welt augenzwinkernd auch auf die Gegenwart zu beziehen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
LICHT
Produktionsland
Österreich/Deutschland
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Nikolaus Geyrhalter Filmprod./Looks Filmprod./ZDF/arte
Regie
Barbara Albert
Buch
Kathrin Resetarits · Barbara Albert
Kamera
Christine A. Maier
Schnitt
Niki Mossböck
Darsteller
Maria Dragus (Maria Theresia Paradis) · Devid Striesow (Franz Anton Mesmer) · Lukas Miko (Joseph Anton Paradis) · Katja Kolm (Maria Rosalia Paradis) · Maresi Riegner (Agnes)
Länge
97 Minuten
Kinostart
01.02.2018
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Biopic | Historienfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Edition enthält eine Audiodeskription für Sehbehinderte.

Verleih DVD
farbfilm/Lighthouse (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
Verleih Blu-ray
farbfilm/Lighthouse (16:9, 2.35:1, dts-HDMA dt.)
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Grandioses Historiendrama über die blinde Klaviervirtuosin Maria Theresia Paradis (1759-1824) mit beißenden Seitenhieben auf die höfische Welt.

Diskussion
Das blinde Wunderkind ist nicht zu beneiden. Obwohl der 18-jährigen Maria Theresia Paradis beim Klavierspielen keinerlei Fehler unterlaufen und das Wiener Publikum 1777 ihr Können mit der Begeisterung für eine Sensation goutiert, können es die überehrgeizigen Eltern nicht lassen, ihre großen und kleinen Unvollkommenheiten korrigieren zu wollen. Sie solle ihren Körper stillhalten und nicht so ekstatisch hin und her wippen. Und müsse sie beim Spielen ständig die Augen unkontrolliert hin und her rollen lassen? Unter der gewaltigen Perücke finden sich Spuren desaströser Behandlungen. Die Kopfhaut ist verätzt und eitrig, die Haare teilweise ausgefallen. Unzählige Ärzte haben die Familie glauben lassen, Marias Sehdefizit ließe sich mit einer möglichst brachialen Therapie aus der Welt schaffen. Dass die erst im Alter von drei Jahren aufgetretene Blindheit Symptom einer psychosomatischen Stressreaktion sein könnte, ist keinem der Mediziner bislang in den Sinn gekommen. Bis auf Franz Anton Mesmer, der mit alternativer Gruppentherapie, wohlwollenden Gesprächen, Handauflegen, der Kraft des magnetischen „Fluidums“ und zuvorkommenden Dienstboten in seinem ruhig gelegenen Schlösschen tatsächlich in kürzester Zeit ein Wunder vollbringt. Doch ohne die Zuwendung des Adels kommt auch der reich verheiratete Deutsche nicht aus. Da die neidischen Akademie-Ärzte an seinen Methoden zweifeln, lädt er zur Besichtigung der Fortschritte seines Zöglings ein. Damen und Herren aus den höchsten Kreisen folgen Maria wie einem seltenen Kanarienvogel durch den Garten und beobachten neugierig, wie sie auf das Farbspektakel der Natur reagiert. Die Kamera von Christine A. Meier läuft dabei zur Hochform auf und schafft schimmernde Lichtbilder aus dem Kopf einer lange von der visuellen Welt abgeschnittenen Frau, die erst das Gesehene, wozu vorurteilsfrei auch ein Haufen Mist gehört, wie ein Puzzle in eine passende Ordnung setzen muss. Das alles unter dem Druck der Erwartungen, die Mesmers Konkurrenten, darunter auch die ausgestorbenen „Ovulisten“ und „Spermisten“, notorisch an das Wunderkind stellen. Sie soll Objekte identifizieren und beweisen, dass sie inzwischen mühelos die kompliziertesten Tanzschritte vollführen kann. Jedes ihrer Fehlurteile legt man ihr und ihrem freidenkerischen „Erlöser“ als Betrug aus. Es scheint, dass ihrer vollkommenen Gesundung trotzdem nichts mehr im Wege steht. Wäre da nicht ein neues Defizit, das allmählich ihre ganze Existenz gefährdet: Ihre Perfektion am Klavier verblasst. Maria kommt immer häufiger aus dem Takt, die Finger greifen in die falschen Tasten, die vielen optischen Eindrücke stören ihre Konzentration. Sie droht ihren Sonderstatus und nicht zuletzt auch die Gnadenpension der Kaiserin zu verlieren. Ein Desaster, für das Mesmer nicht nur von den fast karikaturhaft selbstzentrierten Eltern verantwortlich gemacht wird. Auch die Anhänger seiner Heilkunst lassen sich in seiner Klinik immer seltener blicken. Durchschnittsexistenzen langweilen sie. Der nächste Exot, das nächste Spektakel müsste her. Was hätten diese Zerstreuungsjunkies wohl für das heutige Reality-TV oder das Fake-News-Internet gegeben? Der Regisseurin Barbara Albert gelingt es augenzwinkernd, Parallelen zu der gegenwärtigen Bloßstellungsindustrie zu ziehen. Sie setzt an dem Punkt an, wo sich in Gestalt des unkonventionellen Mesmer die Licht-Epoche der Aufklärung anbahnt und die Moderne mit der Forderung nach einem freien Individuum in den Startlöchern steht. Und sie destilliert aus der Romanvorlage „Am Anfang war die Nacht Musik“ von Alissa Walser ganz nebenbei eine bittere Emanzipationsgeschichte. Im Gewand eines mit Rokoko-Reizen nicht geizenden Kostümfilms erzählt sie mal lakonisch, mal mit beißenden Seitenhieben auf eine affektierten Ritualen nacheifernde Gesellschaft von der Hoffnung auf ein Leben ohne Zwang und Behinderung, das nur um den Preis der Bedeutungslosigkeit zu haben ist. Der großartigen Hauptdarstellerin Maria Dragus, die mit Vorliebe in Großaufnahmen als schonungslos den Blicken ausgesetztes Zirkustier inszeniert wird, ist der Sturz ins Bodenlose in jedem nervösen Augenzucken anzusehen. Ihre Glieder verkrampfen, die Angst, ein Niemand zu werden, lässt sie wie eine Maschine wirken, die ohne Stromzufuhr nur noch aus wertlosen Kabeln besteht. Wie entspannt erstrahlte noch ihr Gesicht, als sie in ihrem mit Bildern von tropischen Landschaften tapezierten Zimmer die Übungsstunden absolvierte. Eine blinde Kreatur im Käfig, aber auch eine in sich ruhende, kostbare Kreatur. Ihr einziger Verbündeter kann ihr aus dem Dilemma nicht heraushelfen. Devid Striesow als Mesmer beweist endlich wieder, was in ihm steckt. Er ist zugleich autoritär und mitfühlend, aufsässig und selbstgefällig, souverän und doch hungrig nach offizieller Anerkennung durch Menschen, die er eigentlich wegen ihrer Dummheit verachtet. Ein Außenseiter wie Maria, der hilflos zusehen muss, wie sie aus seinem Schutzraum herausgerissen wird. Der Film gönnt dem Paar keinen gemeinsamen Sieg. Das wäre zu einfach und eines Meisterinnenstücks nicht würdig, denn ein bewundernswert ausgefeilter Glücksfall ist „Licht“ allemal. Zurück in der Kapitale, schwindet wieder das Augenlicht. Man darf annehmen, dass sich Maria bewusst für diese Regression entscheidet. Der Erfolg ist ihr lieber als ein Schattendasein. Auf den folgenden Konzerttourneen durch Europa erholt sich ihr Selbstwertgefühl, und es gelingt ihr, die bevormundenden Eltern in die Schranken zu weisen. Ihr Befreiungsschlag ist zwar gescheitert. Aber der Kampf um Selbstbestimmung ist noch lange nicht beendet. Die echte Maria Theresia von Paradis (1759-1824), eine historisch bezeugte Figur, hat als Komponistin und Pädagogin lange nachgewirkt. Sie gründete Musikschulen für blinde und sehende Mädchen und erschuf ein eigenes Lernsystem. Ein helles Leben in einem verdunkelten Körper.
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