Drama | Deutschland/Großbritannien 2019 | 108 Minuten

Regie: Randa Chahoud

Auf der Suche nach seinem vermissten Bruder gerät ein syrischstämmiger Student aus Hamburg ungewollt in den Teufelskreis der Gewalt des Bürgerkrieges in seinem Heimatland. Nach traumatischen Erfahrungen als Mitglied einer Rebellenarmee kehrt er gezeichnet und unfähig, sich in seiner familiären Normalität wieder zurechtzufinden, nach Deutschland zurück. Eine mit großem Hintergrundwissen, aber auch einem Übermaß an Parallelhandlungen inszenierte Reflexion über die seelischen und moralischen Auswirkungen des syrischen Bürgerkriegs. Insbesondere geht es dabei um die Frage, wie normale Menschen aus persönlicher Betroffenheit zu Menschen werden, die wider Willen andere töten. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Großbritannien
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Neue Impuls Film/Lightburst Pic.
Regie
Randa Chahoud
Buch
Randa Chahoud
Kamera
Sören Schulz
Musik
Eike Groenewold · Hani Asfari · Martin Rott
Schnitt
Adrienne Hudson
Darsteller
Mehdi Meskar (Karim Reza) · Emily Cox (Lilly Palmer) · Husam Chadat (Yassir) · Jonas Nay (Max Krüger) · Marwan Moussa (Achmed)
Länge
108 Minuten
Kinostart
13.08.2020
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama

Heimkino

Die Edition enthält eine Audiodeskription für Sehbehinderte. Die Extras enthalten u.a. ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Farbfilm/Lighthouse (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt. & engl. & arab./dt. & arab.)
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Mit viel Hintergrundwissen inszenierte Reflexion über den Syrien-Krieg und die Frage, wie ganz normale Menschen wider Willen dazu getrieben werden, andere zu töten.

Diskussion

Wie schnell wird ein Mensch vom normalen Studenten zum Täter? Wie gerät man in einen Teufelskreis der Gewalt, an dessen Folgen man ein Leben lang zu tragen hat? Regisseurin Randa Chahoud beleuchtet Fragen, die bei jedem kriegerischen Konflikt aufkommen. Beantwortet werden sie auch diesmal nicht. Dafür kommt man der Psychose des Syrien-Krieges ein Stück näher.

Karim wurde vor fünf Jahren aus politischen Gründen zur Flucht aus Latakia gezwungen, weil er mit seiner Band ein Lied gegen das Assad-Regime gesungen hat. Kurz danach brach der Bürgerkrieg aus. Seitdem wohnt er in Hamburg, lebt mit seiner Freundin Lilly zusammen, die beiden erwarten ein Kind. Gerade haben sich die Eltern aus Syrien angekündigt, sind schon bis nach Sofia gekommen, als ein Anruf Karim aus seinem relativ sorglosen Alltag reißt: Man wisse, wo sein vermisster Bruder Yassir zum letzten Mal gesehen wurde. Er fährt nach Reyhanlı, an die türkisch-syrische Grenze, wo er den Kommandanten von Yassirs Einheit trifft.

Durch Zufall in der Freien Syrischen Armee

Eigentlich wollte Karim schon zwei Tage später wieder zu Hause sein, doch per Zufall landet der „Deutsche“ in einem Mini-Van mit Freiwilligen, die sich der Freien Syrischen Armee angeschlossen haben. Kurz darauf hat er eine Maschinenpistole in der Hand („Behandle deine Waffe wie deine Frau – niemand anders darf sie anfassen“), ist bei der Erstürmung einer gegnerischen Stellung dabei, erschießt zum ersten Mal einen Soldaten und enttarnt einen Verräter, der kurz darauf von seinem Kameraden umgebracht wird. Seinen Bruder Yassir findet er nicht; man sagt, dass nur Offiziere gefangen genommen, die normalen Soldaten aber erschossen worden seien. Schließlich steht er, nur mit einer Plastiktüte in der Hand, als gebrochener Mann im Ankunftsbereich des Hamburger Flughafens – traumatisiert von der Hölle des Krieges, unfähig zur Normalität, die Seele voller Schuldgefühle, während der Bauch nach Rache schreit.

Randa Chahoud ist selbst Tochter syrisch-deutscher Eltern. Ihre syrische Herkunft ermöglichte ihr, die vielen einzelnen Schicksale und Erlebnisse ihres Films „Nur ein Augenblick“ zu recherchieren: „Eigentlich gibt es keine Szene im Drehbuch, die nicht aus irgendeiner Geschichte entstanden ist, die mir jemand erzählt hat.“ Ihre deutsche Herkunft konfrontierte sie mit der Frage, was aus dem politisch korrekten Verbalpazifismus wird, wenn ein Mensch, der einem nahesteht, gefoltert wird: „Ich persönlich finde es sehr schwierig, mich moralisch ‚richtig‘ zu verhalten, wenn ich persönlich betroffen bin.“

Ihr Protagonist wird zum Kämpfer wider Willen; er entspricht nicht dem Klischee des entwurzelten Gewalttäters. Karim ist nicht ideologisch radikalisiert, sondern kommt aus einem Elternhaus, das sich liebevoll um die beiden Söhne gekümmert hat. Sein Kommandant steckt in einer ähnlichen Situation: dem Mann mit dem treuherzigen Dackelblick und einem kumpelhaften Handschlag würde man kaum zutrauen, dass er sich in Sekundenschnelle in eine empfindungslose Tötungsmaschine verwandelt. Tut er aber, und so stellt „Nur ein Augenblick“ einmal mehr fest, dass im Krieg, im Angesicht des Todes und unter dem Druck der eigenen Kameraden, der Schritt vom Mann zu Monster sehr klein ist.

Einen Weg zurück gibt es nicht: das Monster bleibt im Kopf. Zurück zuhause fühlt sich Karim fremd, nicht als Vater seines Kindes, sondern wie der Beobachter einer Welt, die nicht mehr seine ist.

Den Plot prägt eine Rastlosigkeit

Randa Chahoud blickt auf zahlreiche Erfahrungen als Fernsehregisseurin, darunter auch einen Münster-„Tatort“ und die Co-Regie bei der Serie „Deutschland ’89“ zurück. Vielleicht schleicht sich deshalb öfters eine Rastlosigkeit in den Plot ihres ersten Kinospielfilms, dem zuweilen eine kontemplative Ruhe fehlt, um die verschiedenen Ecken und Kanten der Handlung zu verdauen. Denn es gibt nicht nur Karims traumatische Kriegserlebnisse, sondern auch das Verhältnis zu seiner Freundin, die er ausgerechnet in dem Moment verlässt, als sie ihn am meisten braucht. Und an deren Haustür plötzlich die fremden Schwiegereltern aus Syrien klingeln, die sich mit fürsorglicher Omnipräsenz in ihr Leben einmischen. Dann gibt es auch noch den Hausfreund Max, der sich, irgendwie ungewollt und doch gewollt, an Lilly ranmacht. Und Mahmud, der, so findet Karim heraus, seinen Bruder getötet haben soll.

Viele Themen für den schweren Stoff und viele Anekdoten, die die Last des Leitthemas mit Zwischenmenschelndem und ironischen Einlagen ausbalancieren wollen. Chahoud verweist damit zu Recht auf die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen – hier die Möglichkeit, ein Leben in Frieden zu führen, dort die ständige Konfrontation mit Zerstörung und Tod. Doch zuweilen hätte eine Fokussierung auf den Fundus der erdrückenden Geschichten aus dem Krieg in Syrien den Film stärker gemacht und das emotionale Verständnis für Karims Traumata geschärft. Was gezeigt wird, ist zwar mehr als ein Klischee, doch am Ende bleibt der psychologische Tiefgang nur angedeutet, der Karims Handeln abseits einer bloß rationalen Verständnisebene nachvollziehbar machen könnte.

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