Coming-of-Age-Film | Deutschland 2019 | 99 Minuten

Regie: Leonie Krippendorff

Eine introvertierte 14-jährige Berlinerin zieht außerhalb der Schule im Hitzesommer 2018 meist mit der Clique ihrer älteren Schwester los, bei der sie jedoch unsichtbares Anhängsel bleibt. Als die Pubertät bei ihr einsetzt und sie sich in eine Mitschülerin verliebt, beginnt die Jugendliche jedoch, auf eigenen Pfaden zu wandeln. Stimmungsvolles Drama über den Start ins Erwachsenenleben, das die bildlich sichtbare Hitze nutzt, um den flirrenden Zustand der jungen Figuren zu spiegeln. Im Einsatz der Metaphorik etwas überdeutlich und gegen Ende etwas schwerfällig, überzeugt der ruhig entwickelte Film durch seine konsequente Einlassung auf die Perspektive der Protagonistin. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Jost Hering Filme
Regie
Leonie Krippendorff
Buch
Leonie Krippendorff
Kamera
Martin Neumeyer
Musik
Maya Postepski
Schnitt
Emma Gräf
Darsteller
Lena Urzendowsky (Nora) · Jella Haase (Romy) · Lena Klenke (Jule) · Elina Vildanova (Aylin) · Anja Schneider (Vivienne)
Länge
99 Minuten
Kinostart
13.08.2020
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Coming-of-Age-Film | Liebesfilm
Externe Links
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In flirrendes Sommerlicht getauchtes Pubertätsdrama einer 14-Jährigen aus Berlin, die im Hitze-Sommer 2018 die Pubertät und die Liebe zu einer Mitschülerin erlebt.

Diskussion

Der Titel verrät es so überdeutlich, dass es schon beinahe schmerzt: „Kokon“ handelt vom Übergang schlechthin, vom versponnenen Zustand zwischen Kindheit und jungem Erwachsensein. Die 14-jährige Nora breitet im Laufe des Films nicht nur selbst ihre Flügel aus, sie hat auch noch das plakativste Hobby, das einem auf Anhieb als Spiegelbild dazu einfallen mag: Sie hält sich Raupen exotischer Falter in Einmachgläsern.

In ihrem Langfilmdebüt Looping(2016) agierte Regisseurin Leonie Krippendorff beinahe selbst wie eine Raupenzüchterin: Wie in ein Einmachglas setzte sie da exemplarische weibliche Krisenverkörperungen unterschiedlicher Altersstufen in eine nur sehr vage als Psychiatrie erkennbare Einrichtung am Meer. Viel fokussierter und weniger gestellt beobachtet sie nun ihre Protagonistin, und Lena Urzendowsky als Nora trägt in aller Ruhe den ganzen Film. Mit feinsten Veränderungen ihres Blicks kann sie so rührend froh in sich hineinlächeln, alles Glück in einem einzigen Lidschlag festhalten, als entstamme sie einem fernen Kinozeitalter. 

Zwei Schwestern und die Raupen

Die Verschiedenheit der weiblichen Hauptfiguren wirkt diesmal weniger ausgedacht als noch in „Looping“. Noras nerdige Haustierhaltung führt hin und wieder zu Streit mit ihrer älteren Schwester Jule (Lena Klenke), die sich ihre Lebensorientierung von Youtube-Tutorials und ihren Freunden holt. Mit der etwas prosaischen Jule teilt sich Nora ein Zimmer in der mütterlichen Wohnung, und die dicken, haarigen Raupen entweichen manchmal ihren Glas-Gefängnissen und überprüfen den Bereich unterm Bett auf seine Verpuppungstauglichkeit.

Es ist natürlich nur eine Frage der Zeit, bis auch Nora unbekannte Terrains zu erobern versucht, fern von der Clique ihrer Schwester, in der sie ohnehin nur als unsichtbares Anhängsel akzeptiert ist. Mal geschieht das Betreten von Neuland unfreiwillig, etwa wenn ihr im Sportunterricht zum ersten Mal das Blut durch die Hose sickert; mal passiert es aus dem berauschenden Willen, einem Sog nachzugeben. Dieser Sog hat ein Gesicht und einen Namen: Romy, die Neue an der Schule und ein paar Jahre älter. Im Äußeren mag Romy Klischees von drehbuchgedrechselter „Wildheit“ zeigen mit ihrem punkig blondierten Haar, aber Jella Haase spielt sie als einen Menschen, der in sich ruht und in dessen Gegenwart man sofort entspannen kann. Geschlechtsübergreifend gute Voraussetzungen für Freundschaft, für Liebe und für Sex.

Das flirrende Licht des Ausnahmesommers 2018

Eingehüllt ist die kleine Pubertäts-Geschichte in ein dermaßen flirrendes, glühendes Sommerlicht, dass allein diese sichtbare Hitze des Ausnahmesommers 2018 die Auflösungs- und Neuformierungs-Tendenzen der Jugendlichen antreibt. Die Kamera von Martin Neumeyer schwankt immer ein bisschen und taumelt (Grüße an die Schmetterlinge), die warme Farbgebung ist retroverliebt, ebenso wie die Synthesizer-Klänge: Auch für Menschen, die in den 1980er- und 1990er-Jahren jung waren, werden hier nostalgische Lockstoffe ausgeworfen.

Einer der besten Regieeinfälle Leonie Krippendorffs war die Entscheidung, statt wie ursprünglich geplant auf dem Land im architektonischen Riesen-Einmachglas am Kottbusser Tor zu drehen: Zwischen den Hochhäusern staut sich spürbar die klebrige Luft, das Leben ist übel und doch wunderschön, alles ist nah in diesem dörflichen Mikrokosmos, in dem niemanden irgendetwas zu stören scheint, vielleicht auch jedem alles egal ist. Deshalb kann man auch im Schlafanzug rüber in die Kneipe schlurfen, wo die Schwestern verlässlich ihre Mutter (Anja Schneider) antreffen. Die betrachtet ihre Töchter aus schwarzhumoriger Distanz und vernachlässigt sie auch ein bisschen – aber nie so schlimm, dass der Film in ein Sozialdrama kippen würde, die Zutaten dazu dürfen höchstens vor sich hin köcheln.

Zart und raubeinig

Zum dramaturgischen Problem wird diese Enthaltsamkeit erst im letzten Akt, als Nora die angebetete Romy mit einem Jungen herumknutschen sieht. Mit Noras Liebeskummer verfällt der Film selbst in einen Zustand zähen Verharrens, der dem einer Schmetterlingspuppe ähnelt, bei der man sich ja auch fragt: Passiert da noch was oder ist das schon tot? Krippendorff weiß sich aus dieser Apathie nicht anders zu helfen als durch eine kaum motivierte Wendung, die Lebendigkeit dann leider doch mehr behauptet als entfaltet.

Dass Krippendorffs so zarter wie raubeiniger Berlin-Film trotz seiner überdeutlichen Metaphorik und seiner finalen Schwerfälligkeit insgesamt seine Leichtigkeit bewahrt, liegt daran, dass er konsequent aus Noras Perspektive erzählt ist. Und wenn ein Mensch mit 14 Jahren die rätselhafte Verwandlung einer Raupe in einen Schmetterling erstmals als Sinnbild fürs eigene Leben begreift, dann ist das eben noch kein Kitsch, sondern eine Entdeckung, leinwandgroß.

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