Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 90 Minuten

Regie: Mario Schneider

Dokumentarisches Porträt der Leipziger Malerin, Schriftstellerin und Straßenmusikerin Uta Pilling (1948-2020), das sich Zeit nimmt, um in ihrem Gesicht, Gesten und Worten nach Spuren eines ebenso reichen wie zerklüfteten Lebens zu suchen. Ohne einer konventionellen Dramaturgie zu folgen, verbindet der Film Erinnerungen und gegenwärtige Beobachtungen zu einem Essay über das Geheimnis, glücklich zu sein. Als eine Art Liebeserklärung an eine jahrzehntelange Protagonistin der Leipziger Underground-Kultur entfaltet der Film Biografien jenseits der Konvention. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
42film
Regie
Mario Schneider
Buch
Mario Schneider
Kamera
Friede Clausz · Mario Schneider
Musik
Uta Pilling
Schnitt
Gudrun Steinbrück
Länge
90 Minuten
Kinostart
07.10.2021
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Dokumentarisches Porträt der Leipziger Malerin, Schriftstellerin und Straßenmusikerin Uta Pilling (1948-2020).

Diskussion

In „Akt“ (2015) porträtierte der Dokumentarist Mario Schneider vier Menschen, die ihre Körper als Aktmodelle in den Dienst der Kunst stellen. Zu ihnen gehörte die 66-jährige Uta Pilling aus Leipzig, eine Frau, die mit ihren Kindern einst singend durch die Straßen getingelt war und die jetzt allein mit einer Handorgel in den Fußgängerpassagen ihrer Heimatstadt auftrat. Irene Genhart schrieb damals, dass Utas Leben „problemlos Stoff für einen ganzen Film“ böte. Solche Reaktionen mögen dazu beigetragen haben, dass Mario Schneider seiner Protagonistin nun tatsächlich einen eigenen Film widmet. Seiner Autorenhaltung und Stilistik blieb er dabei treu: Wie in dem essayistischen „Akt“ verweilt auch „Uta“, um noch einmal die Filmkritikerin Irene Genhart zu zitieren, „oft in der Schwebe, zeigt Ausschnitte, losgelöste Momente aus dem ewigen Fluss des Lebens“.

Frische, köstliche Kuchenräder

Nach einer knappen Ouvertüre, in der sich eines der fünf Kinder bei ihrer „weisen Mutter“ an deren 70. Geburtstag dafür bedankt, dass sie sie zur Welt gebracht hat, zeigt Schneider seine Protagonistin bei tiefen Atemübungen am Fluss. Aus den Tiefen des Morgennebels, den Friede Clausz in kunstvollem Schwarz-weiß fotografiert, werden wie aus ferner Vergangenheit Details einer Biografie geborgen: von Utas schwieriger Geburt, den Gerüchen der Kindheit, den sinnlichen Begegnungen mit einer Schusterwerkstatt oder einer Bäckerei, in der für Kinder stets frische, köstliche Kuchenränder feilgeboten wurden.

Es gab kein Auto, keine Reisen, aber „Zuwendung en masse“ und eine aus der Einfachheit geborene „gesunde Form von Luxus“. Aber es gab eben auch den Vater, der sie missbrauchte, Suizidversuch mit Tabletten, den Selbstmord der jüngsten Schwester.

Wie sich aus all dem Utas Freundlichkeit und Offenheit für die Menschen entwickelte, die „Fähigkeit zum Glück, zu lieben und zu hoffen“ (Mario Schneider), hat auch etwas mit jenem Geheimnis zu tun, das nahezu jedem Leben innewohnt.

Zeit für die Spuren des Lebens

„Uta“ besticht durch die raumgreifende Präsenz seiner Heldin und ihrer Stimme. Ihre selbst verfassten Lieder sind mitunter provokant, ihre Sätze oft druckreif und gelegentlich philosophisch grundiert – so beispielsweise, wenn sie aus Karl Marx’ „Kapital“ zitiert und die Aktualität der 150 Jahre alten Gedanken zum Wesen des Kapitalismus beschwört.

Die Stärke des Films besteht darin, dass er sich Zeit nimmt, Spuren von Utas Vita im Gesicht, in den Gesten und Worten zu entdecken, dabei auch Verletzungen und Narben nachzuspüren, die Uta freizulegen bereit ist. Mario Schneider insistiert nicht, drängt nicht zu immer neuen „Enthüllungen“, lässt aber oft erahnen, durch welche Täler diese Frau gegangen sein muss – und noch immer geht, und welche Kraft in Uta steckt, um aus Schönheiten und Schrecklichkeiten gleichermaßen Kreativität zu filtern.

In Jens hat sie einen durchaus „schwierigen“ Partner: Sie lernte den Musiker und Kabarettisten am Ende der DDR-Zeit kennen und fand auf den ersten Blick seine pechschwarzen Füße interessant. Bis heute wirkt Jens auf Außenstehende wie eine Art Penner: ungepflegt und zahnlos. Doch auf der Kleinkunstbühne zeigt ihn Schneider als einen „scharfzüngigen, blitzgescheiten Menschen mit nahezu jugendlichem Enthusiasmus und Zorn, der sich als Vulkan entpuppt“. In diesen Momenten wird erfahrbar, dass Jens ein durchaus kongenialer Gefährte und Kraftquell für Uta sein muss. Dass sich Jens während der Dreharbeiten in einen Jahrzehnte jüngeren kolumbianischen Künstler verliebt, gehört dann freilich zu den schwersten Prüfungen, die Uta an seiner Seite zu bestehen hat.

Uta Pilling war etwas Besonderes

Die Malerin, Schriftstellerin und Straßenmusikantin Uta Pilling, die in Leipzig als das galt, was Passanten leichthin „Original“ nennen und über die mancher vielleicht auch die Nase gerümpft haben mag, starb im Juni 2020. Sie war, daran lässt der Regisseur keinen Zweifel, etwas Besonderes. Ihre Lieder klingen, auch wenn sich der Film in die Dunkelheit verabschiedet, noch lange nach.

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