Oktoberfest 1900

Drama | Deutschland 2020 | 288 (sechs Folgen) Minuten

Regie: Hannu Salonen

Eine sechsteilige Mini-Serie über die Welt des Oktoberfestes im Jahr 1900: Zwei Bierbrauerdynastien kämpfen um die Vormacht auf dem Volksfest, das sich von seinen traditionellen Wurzeln weg zum großen Geschäft entwickelt; dazu trägt der Patriarch einer der Brauereien bei, der die „Wiesn“ mit einer Bierhalle für 6000 Menschen revolutionieren und international bekannt machen will. Rund um ihn und seine Widersacher entspinnen sich allerlei geschäftliche wie private Konflikte. Die aufwändige Umsetzung des Stoffes mischt historische Fakten mit fiktiven Begebenheiten, politische mit melodramatischen Handlungssträngen und entwickelt sich zum facettenreichen Gründerzeit-Panorama. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Zeitsprung Pic./BR/ARD Degeto/mdr/WDR
Regie
Hannu Salonen
Buch
Ronny Schalk · Christian Limmer · Stefan Betz · Christian Lex · Nikolaus Schulz-Dornburg
Kamera
Felix Cramer
Musik
Michael Klaukien
Schnitt
Ronny Mattas
Darsteller
Misel Maticevic (Curt Prank) · Martina Gedeck (Maria Hoflinger) · Francis Fulton-Smith (Ignatz Hoflinger) · Klaus Steinbacher (Roman Hoflinger) · Mercedes Müller (Clara Prank)
Länge
288 (sechs Folgen) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Historienfilm | Serie
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Heimkino

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Sechsteilige Mini-Serie über die Welt des Oktoberfestes im Jahr 1900, als zwei Bierbrauerdynastien um die Vormacht auf dem weltweit größten Volksfest kämpfen.

Diskussion

Die Serie „Oktoberfest 1900“ inszeniert das weltweit größte Volksfest und Aushängeschild Münchner Bier- und Spaßkultur an einem Wendepunkt der Geschichte. Das Jahr 1900 soll den Übergang in eine neue Zeit markieren: die des Kapitalismus. Wo in der US-Serie „Deadwood“ (2004-2006) Saloonbesitzer um die Vorherrschaft in der Stadt kämpften, sind es in „Oktoberfest 1900“ die Bierbrauer.

Eine mythische Geschichte

Eine solche mythische Geschichte muss aber zuerst in Gang gesetzt werden. Das geschieht meist durch einen geheimnisvollen Fremden, der in die Stadt kommt. In „Oktoberfest 1900“ ist es der Nürnberger Bierbrauer Curt Prank (Mišel Matičević), der mit seiner Tochter Clara (Mercedes Müller) die „Wiesn“ mit einer riesigen Bierhalle für 6000 Menschen revolutionieren und international bekannt machen will. Sein Geheimnis wird immer wieder in Rückblenden enthüllt: Als er noch ein kleiner Junge war, wurde sein Vater auf dem Oktoberfest getötet.

Um Platz für seine Halle zu schaffen, beginnt Prank mit der Erpressung des Stadtrats Alfons Urban (Michael Kranz), was ihm dazu verhilft, seit Generationen mit Buden auf dem Oktoberfest vertretene Münchner Traditionsbrauereien zu verdrängen. Sein ärgster Gegner ist zunächst die Deibel Brauerei, geführt von Ignatz (Francis Fulton-Smith) und Maria Hoflinger (Martina Gedeck).

Skrupel kennt Prank keine. Doch zunehmend weht dem gerissenen Geschäftsmann der Gegenwind ins Gesicht. Die Biebrauer-Gilde, angeführt von dem Vorstandsvorsitzenden der Capital Bräu AG, Anatol Stifter (Maximilian Brückner), lässt sich nicht so ohne weiteres ihre Traditionen abspenstig machen. Hinzu kommt, dass Clara mit Roman Hoflinger (Klaus Steinbacher), einem der beiden Söhne der Brauereifamilie, anbändelt, was eine Entwicklung nimmt, die Claras Anstandsdame Colina (Brigitte Hobmeier) vor enorme Herausforderungen stellt. Und es sind nur noch wenige Wochen bis zum Oktoberfest des Jahres 1900.

Die neue Zeit

Wie in „Deadwood“ trifft in „Oktoberfest 1900“ Tradition auf Moderne, ist die Grenze zwischen bürgerlicher Zivilisation und Barbarentum hauchdünn. Man gibt sich zivilisiert, doch um seine Interessen durchzusetzen, wird vor nichts zurückgeschreckt. Es ist ein mythisches München, das die Drehbuchautoren Christian Limmer und Ronny Schalk als große Erzählung anlegen und Regisseur Hanno Salonen in opulente und oft düstere Bilder gießt. Im Bemühen, die Dramatik auf die Spitze zu treiben, wird gelegentlich allzu forciert die Parallelmontage eingesetzt, schwingt sich die Kamera zu beliebig in die  Vogelperspektive hinauf oder macht es sich die Mise-en-scène im Rückgriff auf bewährte Pathosformeln mitunter etwas zu einfach.

Überzeugend wird der Kinematograph als Technologie und Sinnbild einer neuen Zeit in die Handlung eingeflochten. Es ist im Jahr 1900 eine der neuen Attraktionen auf dem Oktoberfest. Diese Innovation scheint sich zur anderen Attraktion, der gigantomanischen Bierhalle, diametral zu verhalten. Doch nicht allzu viele Jahre später wird dem kleinen Raum, in dem der Diaprojektor durch den Zuschauerraum das Bild auf eine Leinwand wirft, genau das gleiche passieren: das Kino wird zur Massenattraktion.

Welche Bilder der Kinematograph liefern und was das auslösen kann, wird ideenreich in der Verschränkung zweier Welten umgesetzt, zwischen denen Romans Bruder Ludwig schwankt: der harten Arbeitswelt des Bierbrauens und der unbeschwerten Welt der Schwabinger Bohème, die ihn aufgrund seines zeichnerischen Talents und seiner Sensibilität aufnimmt.

Geschichte und Geschichtenerzählen

Münchner Bierbrauer und Politiker haben die Serie als rufschädigend kritisiert; das Bild, das darin vom Oktoberfest entworfen werde, schrecke das internationale Publikum ab. Interessanterweise kommt die Kontroverse über Verhältnis von Historie und dem Erzählen eines historischen Stoffes immer wieder aufs Neue auf. Ein fiktionaler Film ist kein historiografischer Text, auch dann, wenn am Anfang behauptet wird, dass die Handlung auf wahren Begebenheiten beruhe. Doch im Unterschied zu „Deadwood“ ist in „Oktoberfest 1900“ kein einziger Name historisch verbürgt.

Entscheidend ist, ob eine gute und überzeugende Geschichte erzählt wird, die sich nicht im opulenten Wiederauferstehen eines historischen Münchens erschöpft. Das ist über weite Strecken durchaus gelungen. Problematisch wird die Serie, wenn sie sich allzu viel zumutet und mit Kontexten und Narrativen überfrachtet, ohne diese differenziert ausführen zu können. Bezeichnend ist etwa die Thematisierung der Völkerschauen, die es damals auf dem Oktoberfest, aber auch andernorts in Deutschland gab. Als „Kannibalen“ beworben, sollten Bewohner aus Samoa die Attraktionen des Oktoberfests bereichern. Es gelingt der Serie aber nicht, dies angemessen zu erzählen und Bilder zu finden, die nicht ihrerseits eine stereotype düstere Exotik zum Ausdruck bringen. Das ist schade. Denn davon abgesehen kann sich „Oktoberfest 1900“ im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen.

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