Sputnik - Es wächst in dir

Horror | Russland 2020 | 113 Minuten

Regie: Jegor Abramenko

In der Sowjetunion der 1980er-Jahre überlebt ein Kosmonaut eine unter mysteriösen Umständen verunglückte Landung in der kasachischen Steppe und wird in einer Forschungsstation isoliert. Eine Neuropsychologin soll ihn begutachten und findet heraus, dass der Mann einen außerirdischen Parasiten mitgebracht hat, der jede Nacht den Körper seines Wirts für kurze Zeit verlässt. Intelligenter, atmosphärisch und mit viel Zeitkolorit inszenierter Science-Fiction-Horrorfilm, der Motive von US-Vorbildern geschickt variiert, simple Monsterfilm-Paradigmen unterläuft und spannend-vielschichtig von einer Begegnung mit dem Fremden erzählt, die zwischen Angst und Faszination changiert. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SPUTNIK
Produktionsland
Russland
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Art Picture Studio/Hype Film/Vodorod
Regie
Jegor Abramenko
Buch
Oleg Malowitschko · Andrej Solotarjow
Kamera
Maxim Schukow
Musik
Oleg Karpatschow
Darsteller
Oxana Akinschina (Tatjana Klimowa) · Fjodor Bondartschuk (Colonel Semiradow) · Pjotr Fjodorow (Konstantin Weschnjakow) · Anton Wasiljow (Jan Rigel) · Alexej Demidow (Kirill Awertschenko)
Länge
113 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Horror | Science-Fiction
Externe Links
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Heimkino

Das Mediabook enthält u.a. ein 24-seitiges Booklet mit Texten zum Film.

Verleih DVD
Capelight (16:9, 2.35:1, DD5.1 russ./dt.)
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Capelight (16:9, 2.35:1, dts-HDMA russ./dt.)
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In den 1980er-Jahren bringt ein Kosmonaut in seinem Körper einen ungebetenen außerirdischen Gast aus dem Weltraum mit auf die Erde und wird in einer Forschungsstation isoliert.

Diskussion

Im Jahr 1983 geht in den Weiten der kasachischen Steppe das Landemodul eines sowjetischen Raumschiffes nieder. An Bord: zwei Kosmonauten einer nicht näher benannten Weltraummission. Die Landung ist zwar geglückt, doch wohlauf sind die beiden Insassen der Kapsel dennoch nicht. Denn es gibt einen weiteren Passagier an Bord; dem Blick der Zuschauer enthüllt er sich im Nacht- und Nebelsetting der ersten Filmminuten nicht, doch sehr wohl zeigt sich, was der Eindringling anzurichten vermag. Einer der Kosmonauten ist auf der Stelle tot, entsetzlich entstellt; der andere überlebt zunächst schwer verletzt. Dann erwacht der Kosmonaut Konstantin Weschnjakow (Pjotr Fjodorow) auf der Krankenstation einer militärischen gesicherten Einrichtung. Eine Amnesie verweigert ihm den unmittelbaren Zugriff auf sein Gedächtnis und das, was mit ihm geschehen ist. Er weiß nur, dass er ab jetzt ist ein Gefangener ist.

Wo ein Mythos ist, da ist sind auch Helden

„Sputnik“ ist der Name der Produktion des russischen Regiedebütanten Jegor Abramenko. Er bedient sich mit dem Titel am Nationalmythos des Sputnik-Satelliten, der im Jahr 1957 – vor allen US-amerikanischen Weltraumanstrengungen – als erstes Gefährt im Orbit die Erde umkreiste. Die Bedeutung des Ereignisses für die Sowjetunion zeigt sich noch heute, wenn der russische Covid-19-Impfstoff mit dem Namen „Sputnik V“ durch die Regierung in eine Ahnenreihe mit dem berühmten Satelliten gestellt wird.

Wo ein Mythos ist, da ist meist auch ein Held. In den 1960er- und 1970er-Jahren avancierten die Kosmonauten zu wahren Nationalhelden, an denen sich das sowjetische Bewusstsein aufrichten sollte. Der erste Mann im Weltraum ist Juri Gagarin im Jahr 1961. Ein goldenes Zeitalter der Weltraumforschung und auch der potenziellen Besiedelung bevorzustehen. Von diesem utopisch beseelten Enthusiasmus zeugen in cineastischer Hinsicht die filmhandwerklich beindruckenden Arbeiten von Pawel Kluschanzew („Planet der Stürme“, 1961), Michail Karjukow („Der Himmel ruft“, 1959, „Begegnung im All“, 1963) oder auch Animationsfilme wie der Kurzfilm „Flug zum Mond“ (1953) von den Brumberg-Schwestern.

Zwei Jahre vor Perestroika

Regisseur Jegor Abramenko siedelt seinen Film bewusst in einer ganz anderen, zunehmend ernüchternden Epoche an: 1983, mitten im Kalten Krieg und zwei Jahre vor dem Beginn der Perestroika. Die russische Gesellschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, auch dem des Bewusstseins. Die Heroen von einst leuchten nicht mehr so hell am Ikonenhimmel. Eine heldengerechte Fürsorge erfährt denn auch der in seiner Zelle quarantänisierte Protagonist nicht. Die erste wahrhaft menschliche Begegnung nach seinem Absturz macht der Kosmonaut mit der Neuropsychiaterin Tatjana Klimowa (Oxana Akinschina).

Was man als Zuschauer bereits ahnt, erfährt die unkonventionelle Forscherin, die die eigentliche Protagonistin des Films ist, nach den ersten Sitzungen. In Weschnjakows Körper wächst etwas heran. Seine Infektion mit einem außerirdischen Parasiten lässt unmittelbar an Ridley Scotts berühmt-berüchtigtes „Alien“ denken, auch an den 1980er-Jahre-Kreaturenhorror „The Thing“ von John Carpenter, welcher motivisch immer wieder anklingt. Doch Abramenkos filmisches System erschöpft sich nicht im Referenziellen. Anklänge an Genrefilme des Hollywoodkinos fungieren als Signal ans Publikum. Dessen Erwartungen hinsichtlich der Konventionen des Genres unterläuft der Regisseur immer wieder auf geschickte Weise.

Zwischen Schrecken und Schönheit

Selbstverständlich kommt es bald zur „Geburt“ des Aliens. Anders als in den Hollywoodfilmen tötet der fremde Organismus seinen Wirt jedoch nicht. Ein eigentümliches, allabendliches Ritual stellt sich ein: Kurz nach dem Schlafengehen würgt der auf der Bewusstseinsebene umnachtete Kosmonaut seinen neuen Mitbewohner aus seinen Eingeweiden hervor. Darauf beginnt das – facettenreiche – Eigenleben der Kreatur, bis das Wesen nach getanem Werk wieder in den Körper seines Wirts zurücktritt. So unappetitlich der Sachverhalt anmuten mag, wohnt dem Vorgang dennoch eine erschreckende Schönheit inne, so wie auch dem Alien selbst.

Abramenko, der bereits in seinem Kurzfilm „The Passenger“ (2017) das symbiotische Alien-Mensch-Verhältnis auslotete, demonstriert sein Talent vor allem in Form seines künstlerisch durchdachten Kreaturenkonzepts. Das Alien in „Sputnik“ ist keine pure Todesmaschine, die den Zuschauer in albtraumhaften Schrecken versetzt; seiner Gestalt eignet vielmehr etwas Ätherisches. Wie ein überdimensionierter Axolotl scheint es zunächst in einem friedlichen Schwebezustand zu verharren, bis es aktiviert wird, und zwar von der menschlichen Angst. Erst dann zeigt das Alien seine Tentakel, Zähne und Klauen.

Ein eigenwilliger Genrekino-Beitrag

Mit einigem dramaturgischem Geschick treiben Jegor Abramenko und die Drehbuchautoren Oleg Malowitschko und Andrej Solotarjow die Handlung dem Höhepunkt entgegen. Der Kampf Gut gegen Böse bezieht sich dabei nicht auf das Verhältnis des Mensch und invasiver Kreatur, sondern auf das Verhalten der Erdbewohner untereinander. „Auf diesem Planeten sind wir diejenigen, die sich am meisten fürchten“, heißt es einmal. Geradezu unerschrocken agiert dagegen die Heldin und weiß sich so auch ihrem ärgsten Widersacher, dem diabolischen Leiter der geheimen Anlage (Fjodor Bondartschuk), zu widersetzen.

Abramenko gelingt ein erfreulich eigenwilliger Beitrag zum Genrekino. Seine Inszenierung überzeugt insbesondere durch einen Look, der sich aus dem sowjetischen Brutalismus der Realkulissen speist sowie aus den ästhetisch reichhaltigen 1980er-Jahren, die noch in den kleinsten Ausstattungsdetails des Films offenbar werden. Wohlige Nostalgie mag sich dabei aber nicht einstellen. Dafür hält Abramenko das Publikum zu gekonnt auf Distanz. Das Geschehen vermittelt sich mitunter auch durch die Kälte der Farbpalette. So entsteht eine sehr ungewohnte, doch bereichernde Filmerfahrung. Sputnik: das heißt übersetzt nichts anderes als Weggefährte oder Begleiter. Wie ein kleiner Schatten folgt Abramenkos Alien nach Ende des Film auch den Gedanken der Zuschauer. Es weiß genau, wo im Kopf die Furcht sitzt.

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