Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 97 Minuten

Regie: Katrin Schlösser

Die Produzentin Katrin Schlösser filmt ihre Ehe mit dem Schriftsteller Lukas Lessing. Sie lebt in Berlin in einem urbanen Umfeld, er im ländlichen Burgenland in Österreich. Die meist mit dem Smartphone aufgenommenen Szenen umfassen banale Alltäglichkeiten, aber auch Intimes und Konflikte und zeichnen das Bild eines Paares, das viel Zeit aufwendet, um das Denken und Handeln des jeweils anderen zu ergründen. Ein radikales Home Movie ohne Glamour oder den Zwang zur öffentlichen Selbstoptimierung. Als hellsichtiger Beitrag zum Diskurs über die Geschlechter handelt der Film von der Liebe und der Arbeit am Alltag. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
öFilm
Regie
Katrin Schlösser
Buch
Katrin Schlösser
Kamera
Katrin Schlösser
Schnitt
Barbara Gies · Katrin Schlösser
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Die Produzentin Katrin Schlösser filmt ihre Ehe mit dem Schriftsteller Lukas Lessing. Ein radikaler, mutiger Film über die Liebe und den Alltag.

Diskussion

So sieht sie vielleicht aus, das, was man gerne „Beziehungsarbeit“ nennt: banal, ironisch, intim, schmerzhaft, harmonisch, reflexiv und unberechenbar dynamisch. Vorgeführt und exemplifiziert von einem heterosexuellen Paar der „Baby Boomer“-Generation. Sie, Katrin Schlösser, Jahrgang 1965, Professorin an der Kunsthochschule für Medien (Köln) und als Filmproduzentin an Filmen von Ulrich Köhler, Stefan Krohmer und Lars Kraume beteiligt. Er, Lukas Lessing, Jahrgang 1959, Schriftsteller. Im Rahmen einer Hochschulveranstaltung begann Schlösser ihre Interaktion mit dem Mobiltelefon zu dokumentieren. Als sich die beiden zum ersten Mal begegneten, waren sie in anderen Beziehungen liiert. Man begann eine kurze Affäre, die mit einem Schwangerschaftsabbruch endete, und verlor sich aus den Augen. Als sie sich zufällig erneut begegneten, waren die anderen Beziehungen passé, aber die alten Gefühle sofort wieder da. Diesmal ging alles ganz schnell: Es wurde geheiratet – und zwischen Berlin und dem Burgenland gependelt.

Der Film „Szenen meiner Ehe“ verfügt erzählerisch über drei Zeitebenen, filmisch aber nur über die Zeit nach der Hochzeit, wobei Archivmaterial das Bildmaterial erweitert. Das mag daran liegen, dass die Kamera stets bei der Hand ist. Oder aber es ist eine Eigentümlichkeit dieses sehr speziellen Paares, das permanent damit beschäftigt ist, das Gegenüber, seine Motivation, sein Denken und Handeln zu ergründen und zu bereden, sich einander zu versichern. So zeigt „Szenen meiner Ehe“ durchaus banale Alltäglichkeiten, aber auch Intimes und Konflikte. Es ist ein wenig wie „Instagram“ ohne Glamour und den Zwang zur öffentlichen Selbstoptimierung. Ein ziemlich radikales und auch mutiges Home Movie.

Sprache und Handeln, Theorie und Praxis

Andererseits: Dass man sich als Paar auch permanent voreinander entwirft und inszeniert, ist als These schon präsent und wird auch reflektiert. Manchmal, zu Beginn des Films, kommt die Kamera zu spät. Dann ist der Zorn bereits verraucht und muss mühsam reenacted werden, selbst, wenn Tassen nicht mehr zu Bruch gehen. Manchmal wird im Gespräch bedauert, dass die Kamera nicht dabei war, als beim Waldspaziergang die Fetzen flogen. Dafür ist die Kamera dabei, wenn nichts von Bedeutung passiert. „Szenen meiner Ehe“ beginnt also spielerisch und lakonisch, aber dieser Tonfall ändert sich, wenn bestimmte Haltungen und Einschätzungen nicht mehr zu synchronisieren sind.

Der Mann bemerkt, dass zwischen Sprache und Handeln, zwischen Theorie und Praxis der Frau öfter mal eine Lücke klafft und beschließt, ihre hehren Absichtserklärungen fortan herablassend als „Talk“ zu bezeichnen. Spätestens dann sind Zuschauer gut beraten, den Film auf zwei Ebenen zu betrachten. Einerseits als die Geschichte einer Beziehung, an der immer wieder und beharrlich „gearbeitet“ wird; andererseits aber auch als Porträt des Mannes aus der Sicht der Frau. Diese Doppelsicht ist insofern spannend, weil als Basis beider Blicke ja eigentlich ein Gefühl, nämlich die gegenseitige Liebe oder mindestens die Zuneigung des Paares gesetzt ist, die sich hier ganz und gar unromantisch in Richtung einer unerhörten, aber notwendigen Kraftanstrengung verändert.

Was tun mit der Mutter?

Beziehung muss man nicht nur können, sondern vor allem auch erst einmal wollen. Zumal, wenn die Konflikte sich häufen. Da ist einerseits die Fernbeziehung mit der Pendelei, mit den unterschiedlichen Lebenswelten, wobei das rustikale Landleben dem Mann zugewiesen wird, während der Berliner Alltag mit den Freundinnen der Frau kaum in den Blick rückt. Ein ungleich größeres Problem sind die alternden Mütter, für deren Betreuung gesorgt werden muss. Nach einem Krankenhausaufenthalt beschließt der Mann, seine Mutter bei sich aufzunehmen, was die Frau nicht unproblematisch empfindet, weil diese Entscheidung den Spielraum der Beziehung neu definiert.

Als der Mann eines Tages auf die Idee kommt, seine Sexualität alternativ zu entwerfen, indem er diese in Differenz zur aktuellen Praxis zu beschreiben versucht, gerät dieser Exkurs der Frau entschieden zu intim. Trotzdem wurde auch dieses Gespräch im Film belassen. Das ist einerseits erstaunlich, andererseits aber auch konsequent im Sinne eines Porträts des Mannes, das so scharf ausfällt, das es schmerzen würde, wenn es repräsentativ gemeint wäre. Der Mann gibt sich souverän, gerne auch ironisch und bestens in Form in Sachen „Mansplaining“, verfällt aber in Konflikten, wenn er zum Sprechen gebracht werden soll, in tiefes Schweigen, wobei er sich dabei gerne mit den Händen durchs Gesicht und die Haare fährt.

Ein Liebesfilm, und einer über Arbeit

Wenn sie aufgrund der logistischen Probleme der Fernbeziehung von einer Trennung spricht, macht ihn das wütend, wenn sie von ihm fordert, doch einmal sich selbst gegenüber ehrlich zu sein, fühlt er sich als Lügner gescholten. In der intensivsten Szene des Films sitzt sich das Paar gegenüber, sie weinend, er schweigend, bis sie ihn fragt, ob denn noch ein Liebesgefühl bei ihm vorhanden sei. Seine Antwort, ihrem Blick ausweichend: „Gerade nicht!“

Dazu passt eine andere Szene, in der der Mann mit seinem Hund spazieren geht und anderen Spaziergängern mit einem anderen Hund begegnet. Als die beiden Hunde aufeinander losgehen, trennt der Mann die Tiere, indem er mehrfach auf seinen Hund eintritt. Das mag unter Hundebesitzern in solchen Situationen vielleicht notwendig sein, aber es zeigt doch auch eine Facette in der Haltung des Mannes, die tatsächlich nicht überrascht: eine durch Ironie unterfütterte, durchaus unsympathische Mischung aus Erklärertum und Schweigen, aus Selbstgewissheit und potentieller Gewalttätigkeit.

Je länger „Szenen meiner Ehe“ dauert, desto rätselhafter geraten die harmonischen Momente, die es eben auch gibt. Vielleicht ist der Film also auch ein sehr hellsichtiger Beitrag zum Diskurs über Geschlechtercharaktere und die Krise der Männlichkeit. Ein Liebesfilm? Vielleicht. Ein Film über die Arbeit am Alltag? Sicher.

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