The other Side of the River - No Woman, No Revolution

Dokumentarfilm | Deutschland/Finnland 2021 | 95 Minuten

Regie: Antonia Kilian

Eine 19-jährige Syrerin flieht vor einer Ehe mit einem IS-Dschihadisten und schließt sich einer kurdischen Frauenmiliz in Nordsyrien an. Nach ihrer Ausbildung arbeitet sie in ihrer Heimatstadt Manbidsch als Polizistin. In ihrem Einsatz für Freiheit und Selbstbestimmung gerät sie aber immer wieder ins Spannungsfeld zwischen patriarchalen Strukturen und familiären Konflikten. Ein intensives, streckenweise auch intimes Porträt von Frauen, die um ein selbstbestimmtes Leben ringen, wozu auch die Reflexionen der Regisseurin über das Dasein als Feministin gehören. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE OTHER SIDE OF THE RIVER
Produktionsland
Deutschland/Finnland
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Doppelplusultra Filmprod./Pink Shadow Films/Greenlit Prod. Oy
Regie
Antonia Kilian
Buch
Antonia Kilian · Guevara Namer · Arash Asadi
Kamera
Antonia Kilian
Musik
Shkoon
Schnitt
Arash Asadi
Länge
95 Minuten
Kinostart
27.01.2022
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
375 Media (16:9, 1.78:1, DD5.1 arab./dt.)
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Doku über eine 19-jährige arabischstämmigen Syrerin, die als Mitglied einer kurdischen Frauenmiliz in Nordsyrien gegen patriarchalische Strukturen und für Selbstbestimmung kämpft.

Diskussion

Den Anstoß zum ersten langen Dokumentarfilm von Antonia Kilian gaben Fernsehbilder über eine spektakuläre Aktion. 2016 gelang es der kurdisch dominierten Miliz „Syrische Demokratische Kräfte“ (SDK), die Stadt Manbidsch aus der Herrschaft des „Islamischen Staats“ (IS) zu befreien. Manbidsch liegt in einer Region mit mehrheitlich arabischer Bevölkerung; es war die erste Stadt, die die kurdischen Kämpfer außerhalb ihrer autonomen Region eroberten. Aus Freude über das Ende der dreijährigen Schreckensherrschaft verbrannten Frauen ihre Gesichtsschleier und Männer schnitten ihre Bärte ab.

Die Bilder einer eruptiven Befreiung trafen die Kasseler Filmemacherin Antonia Kilian ins Mark. Als Feministin und linksgerichtete Aktivistin war sie davon fasziniert, dass in der SDK vorwiegend kurdische Frauen kämpften und dass die kurdische Autonomiebewegung offensichtlich auch die Befreiung der Frauen auf die Fahnen geschrieben hatte.

Auf der Flucht vor einer Zwangsheirat

Sie reiste zwei Mal in die kurdische Autonomieregion (auf kurdisch: Rojava) und verbrachte insgesamt ein Jahr in der nordostsyrischen Region. Dabei lernte sie die 19-jährige Hala Mustafa aus Manbidsch kennen, die vor einer von ihrer arabischen Familie arrangierten Heirat mit einem IS-Kämpfer geflohen war. Hala hatte den Fluss Euphrat überquert und sich in der kurdischen Zone der kurdischen Fraueneinheit „Yekîneyên Parastina Jin“ (YPJ) angeschlossen. Zusammen mit ihrer Schwester Sosan erhielt sie eine Ausbildung an einer Polizeiakademie, zu der auch ein militärisches Training gehörte.

Die unübersehbar von feministischen Ideen geprägte Frauenmiliz kämpft nicht nur gegen die „IS“-Terroristen, sondern engagiert sich auch gegen patriarchalische Strukturen. Hala identifizierte sich stark mit den Idealen der YPJ, absolvierte militärische Übungen und motivierte auch jüngere Mitstreiterinnen. Hala, die mit zehn Schwestern und zwei Brüdern aufwuchs, trieb dabei der Gedanke um, auch ihre jüngeren Schwestern, die noch bei ihrer Familie leben, zu befreien, um ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Nachdem die kurdischen Truppen Manbidsch zurückerobert hatten, kehrte Hala auch in ihre Heimatstadt zurück, wo sie und Sosan fortan als Polizistinnen arbeiten. Wegen dieser Tätigkeit werden beide aber von ihrem Clan angefeindet, der eng mit dem IS kooperierte. Halas unbelehrbarer Vater spricht sogar von Schande und droht mit ihrer Erschießung. Sosan ist diesem Druck nicht gewachsen und kehrt in die Arme der Familie zurück, um ihren Verlobten zu heiraten.

Ein Blick von außen

Kilian brauchte lange, um als kulturelle Außenseiterin ohne hinreichende Sprachkenntnisse das Vertrauen Halas und anderer Kontaktpersonen zu gewinnen. Sympathisch an „The Other Side of The River“ ist, dass Kilian ihre Position als Außenseiter von Anfang an klarmacht, indem sie als Off-Kommentatorin erklärt: „Ich kam wie so viele andere Frauen nach Rojava, weil wir an dieses politische Projekt einer feministischen Revolution glaubten und es unterstützen wollten. Ich hatte große Träume, aber keine Ahnung von der Realität.“ Zu den erschwerten Bedingungen gehörte auch, dass Kilian als One-Woman-Team selbst die Kamera führte und den Film auch mitproduzierte.

Vor Ort fand sie dann Unterstützung durch die kurdisch-syrische Filmemacherin Sevinaz Evdike und den iranischen Filmschaffenden Arash Asadi, der den Film geschnitten hat. Die in Berlin lebende kurdisch-syrische Filmemacherin Guevara Namer begleitete Kilian bei der zweiten Reise und fungierte als Co-Autorin und Produzentin.

Während der erste Teil von „The Other Side of the River“ primär die Ausbildung der Protagonistin beobachtet, fällt der zweite Teil in Manbidsch emotionaler aus, vor allem wegen der permanenten Konflikte mit der Familie, die am Ende überdies eskalieren. Der Film protokolliert eher nüchtern, wie politische Rahmenbedingungen, patriarchalische Verhaltensmuster und familiäre Rücksichtnahmen mit dem Idealismus der jungen Milizionärinnen zusammenprallen und ihre feministischen Theorien mit den Sachzwängen des Alltags kollidieren. So verkündet eine YPJ-Kommandeurin im Hörsaal zwar, dass die Ehe ein Instrument sei, um Frauen zu unterdrücken, doch unter dem Druck der Verhältnisse kapituliert eine Kämpferin wie Sosan am Ende dann doch und zieht die eheliche Zweisamkeit der weiblichen Selbstermächtigung mit der Waffe vor.

Viele Fragen blieben offen

Die Regisseurin steuert aus dem Off gelegentlich nützliche Informationen bei; dennoch bleiben Fragen offen. Etwa danach, wie sich die Frauen-Einheit in das sonst männlich dominierte Militär der Kurden einfügt. Oder warum Soldaten junge Frauen an Schusswaffen ausbilden, wenn diese radikale feministische Ansichten vertreten? Wie positioniert sich die syrische Kurdenführung gegenüber der PKK und ihrem Chef Abdullah Öcalan, den Hala in einer Ansprache zum Internationalen Frauentag als Anführer grüßt?

Über weite Strecken sind die Aufnahmen von einer Atmosphäre der latenten Beklemmung und der Revolte geprägt. Für Erleichterung sorgen gelegentliche Sequenzen, in denen Hala mit anderen herumalbert oder sich liebevoll um ihre jüngeren Geschwister kümmert. Gelegentlich finden sich sogar Sinnbilder der Freiheit, wenn zwei Mädchen auf der Ladefläche eines Autos den Fahrtwind genießen oder Hala sich beim Bad im Euphrat vom Wasser tragen lässt.

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