Scenes From a Marriage

Drama | USA 2021 | Minuten

Regie: Hagai Levi

Die Ehe eines seit zehn Jahren verheirateten Paares aus Boston zerbricht, als die Frau sich in einen anderen Mann verliebt. Durch ihre gemeinsame Tochter und ein inneres Band, das trotz aller Entfremdung und aller gegenseitigen Verletzungen nie ganz zerreißt, bleiben die Leben der Ex-Partner dennoch verbunden. Das Remake von Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“ verlagert die Handlung in die Gegenwart und justiert auch an anderen Stellen klug nach, um den nervenzerrüttenden Beziehungskrieg an aktuelle Geschlechterverhältnisse anzupassen. Auch dank des intensiven Spiels der beiden Hauptdarsteller eine außergewöhnliche Aktualisierung. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SCENES FROM A MARRIAGE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Endeavor Content/Media Res
Regie
Hagai Levi
Buch
Hagai Levi
Kamera
Andrij Parekh
Musik
Evgueni Galperine · Sacha Galperine
Schnitt
Yael Hersonski
Darsteller
Jessica Chastain (Mira) · Oscar Isaac (Jonathan) · Nicole Beharie (Kate) · Corey Stoll (Peter) · Sunita Mani (Danielle)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Serie

Neuauflage von Ingmar Bergmans Mehrteiler „Szenen einer Ehe“, die die Trennungsgeschichte eines Paares klug aktualisiert und in die Gegenwart verlagert.

Diskussion

Es gibt Filmproduktionen, um deren Entstehungs- und Wirkungsgeschichte sich so viele Mythen ranken, dass man kaum noch einzuschätzen vermag, ob die Dinge wirklich so stattgefunden haben, wie es die Überlieferung nahelegt. Eine dieser mythenumrankten Produktionen ist der sechsteilige Mehrteiler „Szenen einer Ehe“ (1973) von Ingmar Bergman, den der schwedische Regisseur nach dem großen Fernseherfolg auch zu einem 169-minütigen Kinofilm eindampfte. Bergmans Kammerspiel mit Liv Ullmann und Erland Josephson wird bis heute dafür verantwortlich gemacht, dass die Scheidungsrate in Schweden unmittelbar nach seiner Ausstrahlung sprunghaft in die Höhe gegangen sei. Ob diese Anekdote wahr ist oder nicht, ist fast unerheblich, denn zur Legendenbildung hat die empirisch schwer nachprüfbare Aussage allemal beigetragen. In einem Interview fürs schwedische Fernsehen gab der Filmemacher mit leicht maliziösem Lächeln an, dass ihn die Nachricht von den zunehmenden Scheidungen richtig gefreut habe.

Ein Meilenstein, der viele Nachfolger fand

Nun mag man von Bergmans finsterer Genugtuung halten was man will, doch unbestritten ist, dass „Szenen einer Ehe“ die Darstellung der einst so sakrosankten bürgerlichen Ehe nachhaltig verändert hat. Zwar kannte das Kino auch zuvor schon Inszenierungen unglücklicher und dysfunktionaler Ehen; in seiner Intimität und psychologischen Durchdringungstiefe war Bergmans Seelenstriptease aber ein Novum, das die Filmgeschichte nachhaltig prägte.

Das Drama fand und findet bis in die jüngste Zeit hinein Nachahmer und Wiedergänger in Regisseuren wie Paul Mazursky („Scenes From a Mall“, 1991), Woody Allen („Husbands and Wives“, 1992), Richard Linklater („Before“-Reihe, seit 1995), Andrei Swjaginzew („Loveless“, 2017) oder Noah Baumbach („Marriage Story“, 2019). Ein tatsächliches Remake der Vorlage war bislang allerdings noch nicht dabei.

Das ändert sich nun mit der Verfilmung von Hagai Levi. Der israelische Serienschöpfer von Formaten wie „BeTipul“, „In Treatment“ und „The Affair“ hat sich in jüngster Zeit als souveräner Regisseur komplexer, tiefenpsychologischer Stoffe einen Namen gemacht. An die Stelle eines Psychoanalytikers wie in „In Treatment“ setzt Levi in „Scenes From a Marriage“ nun die Zuschauer, vor deren Augen sich das Drama der vermeintlich glücklichen Ehe von Mira (Jessica Chastain) und Jonathan (Oscar Isaac) entfaltet. Wie in der berühmten Vorlage erstreckt sich die Handlung über mehrere Jahre, weit über das Zerbrechen der Beziehung hinaus.

Levi liefert ein nahezu Szene-für-Szene-Remake des Originals. Die Bergman’sche Formel lautete 1973: Mann verlässt Frau. Levi dreht diese Prämisse um. Bei ihm ist es Mira, die ihren Ehemann Jonathan und die gemeinsame Tochter Eva für einen Liebhaber sitzen lässt. Bei der Verkehrung der Geschlechterposition handelt es sich um den einzigen gravierenden Eingriff in die erzählerische Grundstruktur der Vorlage. Außerdem verlegt Levi den Handlungsort vom schwedischen Idyll in die Vororte von Boston der Gegenwart. Ansonsten verfeinert Levi eher Handlungsdetails.

Zerfleischung über fünf Episoden

Die minimalinvasive Methode mag in ihrer Zurückhaltung überraschen, ist doch gerade mit der dritten Staffel „Master of None“ bei Netflix eine weitere Hommage an „Szenen einer Ehe“ erschienen, die ein lesbisches schwarzes Paar in die Rolle der Protagonisten schlüpfen lässt und damit eine weitaus gewagtere Interpretation des Originalstoffes vornimmt. Levis sehr kontrollierter Eingriff in das Erzählgefüge entpuppt sich dennoch als weitreichend.

Am Anfang der fünf Episoden sind Mira und Jonathan noch ein Paar. Er ist Philosophieprofessor, sie leitende Angestellte eines High-Tech-Unternehmens und damit auch die Hauptverdienende des gemeinsam geführten Haushaltes. Er ist für die Erziehung der Tochter Eva zuständig und arbeitet vom Homeoffice aus, während Mira ihre Karrierepläne mitunter im Ausland verwirklicht. Alles scheint gut zu laufen im gleichberechtigten Verhältnis der beiden Eheleute. Nicht lange aber, nachdem man das Paar kennengelernt hat, beginnt die Vorzeigeehe zu bröckeln.

Als Zuschauer wird man Zeuge einer fünf Episoden währenden gegenseitigen Zerfleischung der Hauptfiguren, gefolgt von Momenten der Annäherung, Versöhnung und erneutem Abstand; von Augenblicken der Selbsterkenntnis und des „emotionalen Analphabetismus“, wie es Ingmar Bergman zu nennen pflegte, auch vom aussichtslosen, wütenden Um-sich-Schlagen der Charaktere. Zwischen den Episoden vergehen Jahre.

Außergewöhnlich: Oscar Isaac & Jessica Chastain

Levi versteht es, die Nervenenden bloßzulegen – die der Figuren wie auch bei den Zuschauern. Es bedarf schon einer gewissen seelischen Robustheit, um sich dieser fortgesetzten emotionalen Stresssituation auszusetzen. Doch die Tour de Force lohnt sich. Der Trumpf des Remakes liegt in der außerordentlichen Chemie zwischen Oscar Isaac und Jessica Chastain. Ihre innige Performance führt die Mini-Serie in ungeahnte Höhen, insbesondere, wenn es um die Verteilung der Sympathiewerte geht. Bei Bergman war es der männliche Protagonist Johann, der seine Frau Marianne sitzenließ. Johann, gespielt von Erland Josephson, erwies sich als durchgehend gefühlskalt und grausam – eine Identifikation mit seiner Figur war kaum möglich. Die von Liv Ullmann gespielte Marianne erschien innerhalb dieser Konstellation als Opfer und einzige Sympathieträgerin, die den sadistischen Launen ihres Gatten schutzlos ausgesetzt war. Ganz anders in der Neuverfilmung. Auch wenn sich die Figur von Jessica Chastain als Ehebrecherin erweist, bietet sie doch durchgehend die Möglichkeit zur Identifikation; sie erscheint in der Umkehrung der Geschlechterpositionen nicht einfach nur als weibliche Antagonistin von Jonathan. Levi entwirft somit ein Tableau komplett anderer Geschlechterverhältnisse.

Das dauerhafte Glück bleibt den Figuren am Ende jedoch ebenso verwehrt wie Bergmans Eheleuten. Levi lässt jede Episode mit einer vorangestellten Einstiegssequenz von den Dreharbeiten beginnen. Diese „realen“ Einstellungen und ihr „Making of“-Charakter stellen nur scheinbar einen Bruch mit der fiktiven Handlungsebene dar. In Wirklichkeit verweisen sie auf Bergmans Vorstellung eines offenen Kunstwerks. Der schwedische Regisseur brachte seine Filme gerne als Neuinszenierung auf die Theaterbühne; aus seinen Theaterstücken wurden wiederum Spielfilme für die Leinwand, aber auch fürs Fernsehen. Bergmans Schaffen wohnte eine gewisse Prozesshaftigkeit inne, an die Hagai Levi mit seinem intensiven Remake anknüpft. Am Ende steht auch bei ihm die eine große Frage nach der Möglichkeit der Liebe. Mira beantwortet sie gegenüber ihrem Ex-Mann so: „Ich liebe dich auf meine gestörte Weise und du liebst mich auf deine komplizierte Art.“ Ein Glück für immer mag das nicht sein. Vielleicht wäre das vom Leben auch ein bisschen zu viel verlangt.

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