Drama | Marokko/Frankreich/Belgien 2019 | 101 Minuten

Regie: Maryam Touzani

Eine schwangere Fremde strandet in den Gassen von Casablanca, wo sie ihr Kind gebären und zur Adoption freigeben will. Auf der Suche nach Arbeit trifft sie auf eine alleinerziehende Bäckerin, aus deren Leben alle Freude gewichen ist. In malerischen, aber nie ungebrochenen Nahaufnahmen von Händen, Gesichtern und Backwaren hält das souverän von überflüssigen Dialogen und dramaturgischen Vorhersehbarkeiten entschlackte Kammerspiel bis zum Schluss die Spannung über die Frage, ob sich Erstarrtes lösen und Geschenktes annehmen lässt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ADAM
Produktionsland
Marokko/Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Ali n' Prod./Les Films du Nouveau Monde/Artémis Prod./RTBF/VOO7/Shelter Prod./BE TV
Regie
Maryam Touzani
Buch
Maryam Touzani
Kamera
Virginie Surdej
Schnitt
Julie Naas
Darsteller
Lubna Azabal (Abla) · Nisrin Erradi (Samia) · Douae Belkhaouda (Warda) · Aziz Hattab (Slimani) · Hasna Tamtaoui (Rkia)
Länge
101 Minuten
Kinostart
09.12.2021
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
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In Casablanca nimmt eine Bäckerin widerwillig eine Schwangere bei sich auf. Gegen Widerstände von innen und außen entsteht allmählich eine schwesterliche Gemeinschaft.

Diskussion

Der Titel ist schon eine Überraschung. Denn es geht in „Adam“ gar nicht um „den Mann“, wie Gott ihn schuf. Frauen sind es, die hier etwas formen, die Leben und Lebendigkeit erschaffen aus etwas Amorphem, Unfertigem, Unverständlichem. Der Spielfilmdebüt der marokkanischen Regisseurin Maryam Touzani über eine Bäckerin und eine junge Schwangere erweist sich vielmehr als eine Art Überschreibung der biblischen Schöpfungsgeschichte.

Filme über Schwangere und solche über Nahrungszubereitung haben oft etwas Bemühtes und Widersprüchliches: ein naives Draufglotzen auf gehende Teige und schwellende Bäuche, das ein Geheimnis unterstellt und trotzdem immer schon alles zu wissen glaubt, untermalt von dramatischen Streichern, weil das ganze Frauendingens ja auch ein bisschen schwierig ist, aber eben auch schön, wenn’s gelingt.

Ihren „Zustand“ erkennt man nur von außen

Im Gegensatz dazu will dieser staunenswert reife Debütfilm vom gewölbten Bauch in den ersten Sequenzen erst einmal genauso wenig wissen wie die Schwangere selbst. Die junge Samia (Nisrin Erradi) sucht Arbeit. Das ist die Situation, auf die die Zuschauer blicken sollen. Die Kamera von Virginie Surdej folgt der Protagonistin strikt auf Augenhöhe und verbittet sich (noch) jeden Blick nach unten. Samias Vorgeschichte ist unbekannt; jetzt schlurft sie mit der miesen Laune eines total übermüdeten Menschen in den Gassen Casablancas von Tür zu Tür und fragt, ob sie helfen könne. Aus dem Dunkel der engen Häuser aber bekommt sie immer wieder zu hören, dass sie „in ihrem Zustand“ doch keine Hilfe sei. Ihren „Zustand“ erkennt man nur an den Reaktionen der Umwelt; sie selbst würde ihn offenkundig am liebsten auch ausblenden. Doch irgendwo muss sie ja schlafen.

Auch die verwitwete Bäckerin Abla (Lubna Azabal) weist die Unbekannte erst einmal ab. Abla ist hager, ihr Gesicht verhärmt; ohne jede Freude formt sie die Pfannkuchen, die sie aus einem Fenster ihres Hauses an die Kundschaft verkauft. Das Geschäft läuft wohl nur so halbwegs gut, eher mechanisch als herzlich erkundigt sie sich nach dem Wohlergehen der Leute, manchmal steht sie nur und wartet. Abends legt sie sich abgekämpft schlafen, obwohl sie sieht, dass die fremde junge Frau buchstäblich auf der Straße sitzt. Es ist hier eben nicht so, dass eine Alleinerziehende darauf wartet, mit einer dahergelaufenen Hochschwangeren eine lustige Patchwork-Familie zu gründen, nur weil dem Arthouse-Kino das Thema Frauensolidarität so gut gefällt. „Die Leute tratschen“, sagt Abla mit verhaltenem Zorn, von dem nicht klar ist, gegen wen er sich eigentlich richtet. Gegen die Leute? Gegen die junge Fremde? Gegen sich selbst?

Ihre achtjährige Tochter Warda (Douae Belkhaouda) ist es, die vorsichtig und beharrlich die Verbindung zu Samia zu knüpfen versucht. Sie mag die Fremde da draußen auf Anhieb. Fern von jedem Kitsch wirkt dieses Kind wie ein Enzym, als würde es den Mangel an Freude im Haus der Mutter ausgleichen wollen, die hinter ihren scharfkantigen Zügen einen unaussprechlichen Schmerz unterdrückt und zugleich offenbart. Spät erst erfährt man vom Tod von Ablas Mann und dem patriarchalen Ausschluss der Frau aus dem Bestattungszeremoniell: „Der Tod gehört nicht den Frauen“, sagt sie. „Uns gehört nur wenig“, wird Samia erwidern, die später auch das eigene Kind, das sie weggeben will, als etwas bezeichnet, das ihr „nicht gehört“. Besitz und Geben sind im Patriarchat Kategorien, in denen eine Frau immer nur die falsche Wahl treffen kann.

Den Teig kneten, Menschen aus ihrer Erstarrung lösen

Wie schon in „Die Frau, die singt“ oder „Paradise Now“ schafft es Lubna Azabal, dass man den Blick von ihren schönen, herben Gesichtszügen nicht abwenden mag, aus Angst, etwas Entscheidendes zu verpassen, einen unmittelbar bevorstehenden Ausbruch. In den dunkel ausgeleuchteten, in warmen Erdfarben gehaltenen Innenräumen werden Tätigkeiten des Zubereitens und des menschlichen Miteinanders zwar enggeführt, aber diese Analogien vollziehen sich sachte und unaufdringlich. Einen Teig zu kneten und einen Menschen aus seiner Erstarrung zu lösen, etwas (nicht) zu begreifen (wie das laut Samia offenbar gestreckte Mehl) und etwas anzunehmen, wie es ist (einen Gast, eine Speise, ein Kind), verstehen sich hier keineswegs von selbst.

Der Film „Adam“ ragt unter den vielen anderen gastronomisch-frauensolidarischen Wohlfühlfilmen allein durch die Radikalität heraus, mit der er zuallererst von der Unmöglichkeit dieser Solidarität erzählt, von den verinnerlichten Widerständen und gegenseitigen Verurteilungen von Frauen untereinander. Die einzelnen Männer sind in „Adam“ durchweg freundlich und respektvoll, wie etwa der rührend tollpatschig um Abla bemühte Lieferant Slimani (Aziz Hattab), der gegenüber Samia gesteht, dass er Abla liebe, weil sie eine „Kämpferin“ sei. Oder wie der Mann am Gemeinde-Ofen, der der Schwangeren den Vortritt gewährt und ihre Brote zuerst backt, was die anderen wartenden Frauen missgünstig und hämisch kommentieren. Patriarchat ist kein Charakterzug, es ist ein System. Eines, das Frauen gegeneinander ausspielt.

Einen Tag. Und noch einen

Gegen diese Widerstände einigen sich Samia und Abla deshalb immer wieder nur auf eine Verbindung auf Zeit: Samia, die von ihrer Großmutter die köstlichsten Rezepte gelernt hat, hilft backen und darf, weil es dadurch richtig gut läuft, bis zur nächsten Frist bleiben. Bis zum Abendessen. Bis zur Geburt. Bis morgen. Bis Montag.

Vielleicht wollte ja auch Gott nicht gleich eine Woche durchschuften. Aber als Himmel und Erde schon mal da waren, hing er halt noch einen Tag ran. Und noch einen. So hält dieses souverän von überflüssigen Dialogen und dramaturgischen Vorhersehbarkeiten entschlackte Kammerspiel mit Close-ups auf die gegensätzlichen Gesichter bis zum Schluss die Spannung und erzählt dann doch von dem, was der Titel andeutet: vom Verlebendigen und vom Beseelen, vom Annehmen und vom Schenken.

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