Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 86 Minuten

Regie: Sobo Swobodnik

Im Juli 2014 wird im Kopf des Regisseurs Sobo Swobodnik ein lebensgefährliches Aneurysma festgestellt. Käme es zum Platzen, würde das unweigerlich den Tod bedeuten. In einer experimentellen audiovisuellen Collage rekonstruiert er nun, welche Gedanken, Gefühle und Träume, Ängste und Hoffnungen ihn in den beiden Monaten bis zur Operation begleiteten und beherrschten. Über die subjektiven Empfindungen hinaus fragt der Film in einer philosophischen Versuchsanordnung nach Quellen und Umständen von Leben und Tod, nach Endlichkeit und Angst. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Guerilla Film Koop.
Regie
Sobo Swobodnik
Buch
Sobo Swobodnik
Kamera
Sobo Swobodnik
Musik
Elias Gottstein
Schnitt
Manuel Stettner
Länge
86 Minuten
Kinostart
02.06.2022
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm | Experimentalfilm

Eine experimentelle audiovisuelle Collage, mit der Filmemacher Sobo Swobodnik seine Gedanken, Gefühle und Ängste nach der Entdeckung eines lebensgefährlichen Hirnaneurysmas rekonstruiert.

Diskussion

Zu Beginn seines Films „Bastard in mind“ zitiert der Filmemacher Sobo Swobodnik seinen Kollegen Herbert Achternbusch: „Du hast keine Chance, aber nutze sie.“ Der Satz markiert ziemlich genau seinen eigenen Gemütszustand, nachdem am 28. Juli 2014 in Swobodniks Gehirn ein lebensgefährliches Aneurysma, eine Arterien-Aussackung, festgestellt worden war. Wäre es zu einer Ruptur gekommen, hätte das unweigerlich den Tod bedeutet. Um die Operation vorzubereiten, mussten zunächst Größe, Form und Lage des Aneurysmas festgestellt – und daraus spezielle ärztliche Schlussfolgerungen gezogen werden.

Bis zum komplexen und gefährlichen Eingriff vergingen zwei lange Monate, in denen Swobodnik eine Art Tagebuch über seine Gedanken, Gefühle und Träume, Ängste und Hoffnungen führte. Auf der Basis dieser Notizen realisierte er nun, Jahre später, den Film „Bastard in mind“, die Rekonstruktion der eigenen existentiellen Krise, die Chronik des Schicksals.

Assoziativer Bilderrausch

„Bastard in mind“ ist eine experimentelle audiovisuelle Collage. Swobodniks vor allem in den Eröffnungsszenen zuweilen etwas ausufernder Dialog mit den Zuschauenden und die zwischen Meditation und Ekstase changierende Musik von Elias Gottstein begleiten einen assoziativen Bilderrausch. Nach eigenem Bekunden nahm sich der Regisseur dabei Chris Markers magischen Zeitreise-Fotofilm „La Jetée“ (1962) zum Vorbild, der Adornos Hoffnung auf die von kapitalistischen Produktionsbedingungen befreite „echte Autonomie“ und „eigene Wahrheit“ eines Kunstwerkes zu entsprechen suchte. Als zweiten Referenzfilm nennt Swobodnik Laurie Andersons Heart of a Dog (2016), in dem die US-amerikanische Performance-Künstlerin Erinnerungen, Träume und Beobachtungen nach dem 11. September 2001 mit dem Tod ihres Hundes in Beziehung setzt: „Was soll der Tod? Wozu die Liebe? Wohin geht die Reise, die sich Leben nennt?“, so resümierte der „Spiegel“ die Kernthemen von Andersons Film.

Auch Swobodnik geht über eine Bestandsaufnahme der eigenen Erfahrungen und Empfindungen weit hinaus: Sein Essay ist eine philosophische Versuchsanordnung zu Fragen nach Leben und Tod, Endlichkeit und Angst. Immer wieder rückt er sich selbst ins Bild, einschließlich des Aneurysmas, das auf einer MRT-Aufnahme zu sehen ist und mit dem er in ein intimes Gespräch tritt. Surrealistische Albtraumvisionen, das Wechselspiel von Farbe und Schwarz-weiß, Doppelbilder gehören zu seinem ästhetischen Repertoire; dazu nachgestellte Dialogpassagen mit Ärztinnen und Ärzten, Freundinnen und Freunden, einem neuen Psychiater.

„Ich akzeptiere den Tod nicht“

Dem Satz „Ich akzeptiere den Tod nicht“ folgen Reminiszenzen daran, welche Versuche Swobodnik unternahm, um eine neue Struktur in seinen Alltag zu bekommen: Malen und Singen als Lebenshilfe, Kunst als Korrektor für den aufkommenden Fatalismus. Swobodnik bekennt: „Man muss wissen, wie Hoffnung geht. Momentan weiß ich es nicht.“ Oder: „Ich merke, wie ich langsam wahnsinnig werde.“ Die Suche nach Worten. Die zunehmende Schlafneigung. Die Flucht in den Alkohol. Das Aufsetzen eines Testaments.

Dem deprimierenden Zustand setzt Swobodnik, zumindest retrospektiv, Schübe von Humor entgegen. Der Psychiater erzählt Psycho-Witze. Die Herausforderungen der deutschen Sterbebürokratie – was ist mit der Patientenverfügung, was mit der Organspende? – können nur mit sarkastischem Witz bewältigt werden. Kafka, Dante und Wolfgang Herrndorf erscheinen als Brüder im Geiste: Was wäre, wenn es statt der Gnade der späten Geburt eine Gnade des frühen Todes gäbe? Dass die Mutter für ihn Messen lesen lässt und Wallfahrten nach Lourdes in Aussicht nimmt, behagt ihm ganz und gar nicht: Religion ist für ihn kein Schutz, keine Gnade, keine Zufluchtsmöglichkeit. Die schließliche Aufnahmeprozedur an der Berliner Charité, wo seine Operation ablaufen soll, empfindet er ähnlich strapaziös wie einen Einbürgerungstest.

Der Titan-Clip im Hirn als Kunstwerk

Am 24. September 2014, fast zwei Monate nach der Entdeckung des Fremdkörpers im Kopf, wurde der Eingriff vorgenommen. Das Erwachen geht einher mit Euphorie. Den Titan-Clip in seinem Hirn, der das Aneurysma bändigt, betrachtet Swobodnik als Kunstwerk. Grund genug, ihn in einer Trickpassage mit der Arterie tanzen zu lassen. Das geschenkte Leben bündelt der Regisseur in dem Satz: „Es könnte eine gute Zeit werden.“

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