Stimme des Herzens - Whisper of the Heart (2022)

Comicverfilmung | Japan 2022 | 110 Minuten

Regie: Yûichirô Hirakawa

In ihrer Kindheit schworen sich eine angehende Schriftstellerin und ein Cellist, hart für ihre Träume zu arbeiten und sie nach zehn Jahren gemeinsam zu verwirklichen. Fast zehn Jahre leben beide nun in einer Fernbeziehung und ihre Kindheitsträume liegen unter den Alltagsroutinen verschüttet. Dann beschließt die junge Schriftstellerin, nach Italien zu reisen und ihre Passion für das Schreiben und ihren Freund wiederzuentdecken. Die Realfilm-Fortsetzung des Animes „Whisper of the Heart“ (1995) ist ein interessanter Versuch, den magischen Realismus der Animation mit den unumgänglichen Alltagsroutinen zu konfrontieren, schafft es aber nicht, den im Film vollzogenen Schritt zurück zum Kindheitstraum ästhetisch mitzugehen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MIMI WO SUMASEBA
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2022
Regie
Yûichirô Hirakawa
Buch
Yûichirô Hirakawa
Kamera
Kôichi Nakayama · Lorenzo Di Nola
Musik
Hiroshi Tanaka
Schnitt
Makiko Yamaguchi
Darsteller
Nana Seino (Shizuku Tsukishima) · Tôri Matsuzaka (Seiji Amasawa) · Runa Yasuhara (Shizuku als Schülerin) · Tsubasa Nakagawa (Seiji als Schüler) · Rio Uchida (Yūko Harada)
Länge
110 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Comicverfilmung | Drama

Heimkino

Verleih DVD
Capelight
Verleih Blu-ray
Capelight
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Eine Fortsetzung des gleichnamigen Anime-Klassikers (1995): Die hoffnungsvolle Jungschriftstellerin von einst droht von den Desillusionen des Erwachsenenlebens eingeholt zu werden und reist zu ihrer Jugendliebe nach Italien.

Diskussion

Katzen gehen die seltsamsten Wege. Der Kater, dem die junge Shizuku (Runa Yasuhara) begegnet, fährt U-Bahn. Ihre Frage, wo er denn hinwolle, ignoriert er. Lieber streckt er sich Richtung Fenster, lugt hinaus und macht sich, an der nächsten Haltestelle angekommen, kommentarlos auf den Weg. Natürlich muss man einem Kater, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Großstadt reist, nachstellen. Also bleibt Shizuku ihm auf den Fersen. Der dicke Vierbeiner streunt durch ein Wohnviertel, ärgert den Nachbarshund und verschwindet in einem Trödelladen. Die Begegnung mit der Katze ist sowohl in Yoshifumi Kondôs Animationsfilm „Whisper of the Heart“ (1995) als auch in Yûichiro Hirakawas gleichnamiger Realfilm-Fortsetzung eine Schlüsselszene. Der dicke Kater führt Shizuku nicht nur in den Trödelladen des alten Shiro Nishi (Masaomi Kondō), mit dem Shizuku bald eine Freundschaft beginnt, er führt sie auch zur Statue des Barons von Gikkingen. Ebenfalls eine Katze, die, ihrem Adelstitel entsprechend mit Jackett, Weste und Zylinder bekleidet, auf einem Tisch thront.

Routine droht die Kindheitsträume zu erdrücken

Lässt man den Ghibli-Film und sein Sequel nebeneinander laufen, ist Shizukus Begegnung mit dem Baron in etwa die gleiche. Die Einstellungen sind ähnlich, die animierte Bewegung und die Kamerabewegung sind in etwa die gleiche, und auch der Baron ist unverkennbar er selbst geblieben. Der Unterschied zwischen beiden Filmen beginnt dort, wo Shizuku stellvertretend für die Filmemacher die Frage stellt, wer dieser Baron denn sei. Rätselt die gezeichnete Protagonistin noch, ob er vielleicht niemand anderes als die Katze sein könnte, die sie soeben aus der U-Bahn hierhergeführt hat, ist ihre von Runa Yasuhara gespielte Spielfilmversion allein von seiner aristokratischen Statur angetan. Die Magie fehlt. Nicht nur, weil Yûichirô Hirakawas „Whisper of the Heart“ ein schlechterer Film ist als sein Vorgänger. Es ist Shizuku selbst (im Alter gespielt von Nana Seino), die sich verändert hat. Viele Jahre sind vergangen, seit sie in das Antiquitätengeschäft stolperte. Jahre, in denen viel, aber in erster Linie ein Erwachsenenleben passiert ist. Noch immer schreibt die Frau, die einst das in die Literatur verliebte Mädchen war. Doch dazwischen passiert viel Routine: ein Brotjob bei einem Verleger, abgelehnte Roman-Manuskripte, Rotwein zum Feierabend und das schleichende Gefühl, dass das einst mit der Jugendliebe Seiji (Tôri Matsuzaka) vereinbarte Versprechen, man werde zehn Jahre hart arbeiten und schließlich gemeinsam die eigenen Träume von Musik und Literatur sich erfüllen sehen, nicht einzuhalten sein wird.

Es ist ein so gewagtes wie faszinierendes Unterfangen, einen auf die Leidenschaft und die Melancholie einer unerwiderten Jugendliebe gebauten Ghibli-Film als realweltliches Erwachsenenleben weiterzudenken. Umso gewagter, weil „Whisper of the Heart“ versucht, eben dieses Erwachsenenleben zu kreieren, um ihm später die Magie des Kindseins wieder einzuhauchen. Dafür arbeitet Shizuku, die man im Vorgängerfilm als das in Bücher und Geschichten vernarrte Mädchen kennenlernte, nun für einen Verleger, der besagte Leidenschaft nicht teilt. Er wünscht sich mehr „Realismus“ in den Manuskripten, die auf seinem Schreibtisch landen. Ihre Jugendliebe lebt noch in Italien, wo er sich als Cellist durchschlägt; begabt, aber auch uninspiriert. Die Welt ist entzaubert. Das titelgebende Flüstern des Herzens hören beide schon längst nicht mehr.

Die Magie fehlt

Um es wiederzufinden, beschließt Shizuku, nach Italien zu reisen, die Fernbeziehung wieder aufleben zu lassen und den aus den Augen geratenen Traum wieder zu leben. Natürlich stellt sich ein Kindheitstraum nie so ein, wie er einst geträumt wurde, aber vielleicht biegt man ihn mit etwas Glück zu etwas hin, was ihn zum Teil der Erwachsenenroutine werden lässt. „Whisper of the Heart“ ringt sichtbar um eine ästhetische Form, die eben das fertigbrächte. Zunächst ist es ein Tropfen, der ins Wasser fällt und eben den Ton produziert, der nicht den Worten entspricht, die das Gehirn formuliert, sondern der Stimme, mit der das Herz spricht. Ein Bild, das an die Gravitas der Ghibli-Animation anzudocken versucht, aber eben doch oft wie falsches Pathos inmitten der Alltagswelt wirkt.

Das gilt letztlich für den gesamten Film. Was der Realfilm-Fortsetzung fehlt, ist die Magie der Animation, eben die Details, die zwischen den Schlüsselmomenten der Handlung stattfinden. Die Haare, die sich vor Erstaunen sträuben, vor Aufregung zu Berge stehen. Das Licht, die Pflanzen und die Schweißtropfen, die den feuchten japanischen Sommer in den Film hineintragen. Es fehlt der Charme zwischen den Bildern, die Freude an der Bewegung und das Funkeln der Augen, die eben nicht nur eine besondere Schönheit in sich tragen, einen lebendigen Schimmer. Es fehlt der Moment, in dem ebendieser Schimmer die Möglichkeit gewährt, dass diese Statue vielleicht wirklich der Kater ist, der soeben noch neben Shizuki in der U-Bahn saß. Ein Moment, in dem die Fantasie stark genug ist, alle Wahrscheinlichkeiten des Lebens zu überschreiben. Jahre später ist die Statue eben einfach eine Statue und die Katze einfach eine Katze. Ganz ohne Magie.

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