Komödie | Schweiz/Großbritannien 2022 | 107 Minuten

Regie: Philippe Weibel

Ein sport- und sexsüchtiger Influencer und eine schüchterne Ehefrau, die beide Sexspielzeuge testen, werden von ihrer Firma als Team zusammengespannt, um neue Produkte zu bewerben. Dafür muss sich das ungleiche Duo aber erst zusammenraufen, was unerwartete Saiten zum Klingen bringt. Die schwarze Komödie kombiniert fein austarierte Figuren, famose Hauptdarsteller und treffsichere Dialoge zu einer wohltemperierten Satire, die über die Kritik an der Kälte des Metaverse hinaus die Menschlichkeit entdeckt und als sympathisch-kleiner Beziehungsfilm eine ungewöhnliche Liaison feiert. - Ab 14.
Zur Filmkritik Im Kino sehen

Filmdaten

Originaltitel
THE ART OF LOVE
Produktionsland
Schweiz/Großbritannien
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Philippe Weibel
Regie
Philippe Weibel
Buch
Philippe Weibel
Kamera
Brian D. Goff
Musik
Dan Baboulene · Dean Valentine
Schnitt
Alexander Butuceanu · Luca Zuberbühler
Darsteller
Alexandra Gilbreath (Eva Parker) · Oliver Walker (Adam Kowinski) · Kenneth Collard (Hector) · Jasmine Blackborow (Claire) · Michelle Greenidge (Libby)
Länge
107 Minuten
Kinostart
13.07.2023
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Schwarzhumorige Komödie um zwei einsame Menschen, die sich bei ihrem Job als Sex-Toy-Tester näherkommen.

Diskussion

Einsamkeit gab es auch schon vor der Corona-Krise. Aber seit der Pandemie fühlen sich so viele Menschen wie nie zuvor isoliert und abgeschnitten. Selbst in der Öffentlichkeit wächst die Aufmerksamkeit für dieses Thema, denn das Gefühl eines bohrenden Defizits macht krank und verursacht wachsende Kosten im Gesundheitssystem. Man musste also damit rechnen, dass dieses Thema auch einen Weg ins Kino finden würde.

Der Film „The Art of Love“ des Schweizer Regisseurs Philippe Weibel nimmt dem deprimierenden Gesellschaftsbefund aber die Schwere, indem er als Satire auf Soziale Medien und die neue virtuelle Sex-Industrie beginnt. Denn auch die hat die grassierende Einsamkeit als Multiplikator ihres Geschäftsmodells entdeckt. Ob intelligente Vibratoren, elektronische Liebeskugeln oder Sex-Apps – der Umsatz mit Produkten, die dafür sorgen, dass man für Sex kein Gegenüber aus Fleisch und Blut braucht, steigt seit Jahren. Und das nicht nur bei den älteren Konsumenten. Auch jungen Menschen fällt es zunehmend schwerer, mit Zurückweisungen und Erwartungen anderer umzugehen.

Ein schwarzes Loch

Zunächst scheint der 35-jährige Adam (Oliver Walker) ein sport- und sexsüchtiger Narziss zu sein. Wenn er im Londoner Fitnessstudio nicht gerade zwanghaft an seinem längst perfekten Body arbeitet, testet er in einem hippen Fabrikloft neueste VR-Sex-Toys, die ihm sexuelle Konstellationen vortäuschen und stets einen „erfolgreichen Orgasmus“ bescheinigen. Dass es sich dabei nicht nur um ein Hobby handelt, merkt man, als Adam Werbevideos aufnimmt, in denen er als stets gut gelaunter Influencer mit einer Million Followern allerlei Lust versprechende Hilfsgeräte anpreist und Signierstunden für seine Fans mit schnellem Hotel-Sex zu beenden pflegt, bei dem er im Spiegel seine Muskeln bewundert, statt sich auf die Bedürfnisse seiner Sex-Partnerinnen zu konzentrieren. Dennoch scheint sich in seinem Innern ein schwarzes Loch aufzutun, wenn er abends die Wohnungstür hinter sich zumacht, Eiskunst-Videos schaut und sich darüber wundert, dass seine neue Nachbarin jenseits der schnellen Nummer Kontakt zu ihm sucht.

Adams Aktivitäten werden im Prolog mit dem tristen Dasein der Mittfünfzigerin Eva (Alexandra Gilbreath) gegengeschnitten. Nach dreißig Jahren Ehe verbinden sie mit ihrem Mann nur noch Geldsorgen, Alltagstrott und eine rudimentäre Kommunikation beim Abendessen. Urlaube oder Restaurant-Besuche kommen nicht mehr in Frage, körperliche Nähe beschränkt sich auf das abendliche Teilen der Sitzmöbel vor dem Fernsehgerät. Da ihr resignierter Mann nichts gegen die lähmende Geldnot unternimmt, fängt Eva an, gut bezahlte Rezensionen über Sex-Toys und Dildos der Londoner Firma „The Art of Love“ zu schreiben. Für die schüchterne Angestellte, die solche Geräte bislang noch nie genutzt hat und auch nie fremdgegangen ist, stellt das durchaus eine Überwindung dar.

Adam & Eva und die Menschlichkeit

Bei ihrem absurd überzeichneten Zweitarbeitgeber ist auch Adam als Produkttester angestellt. Als sich Evas emotionale Beurteilungen zum profitsteigernden Hit entwickeln, beschließt der schmierige Firmenchef, der sich als Partnerin eine pflegeleichte Sex-Puppe hält, das ungleiche Duo gemeinsam an einem neuen Projekt arbeiten zu lassen. Obwohl sie scheinbar nichts miteinander verbindet, nähern sich Adam und Eva nach anfänglichen Reibereien unverhofft an. Als Wiedergänger des allerersten Menschenpaares kosten sie von den Früchten einer Freundschaft, die beide ihre Selbstzweifel verlieren und den Glauben an etwas so Altmodisches wie Menschlichkeit wiedergewinnen lässt.

Auch wenn sie als Liebespaar nicht füreinander in Frage kommen, öffnet Eva Adam die Augen dafür, dass das zwischenmenschliche Glück nicht in digitalen Parallelwelten zu finden ist. Sie kann ihn mit ihren unschlagbaren, an seine wahre, sensible Natur appellierenden Argumenten davon abhalten, sich für eine Zusammenarbeit mit einer japanischen Firma herzugeben, die menschenähnliche Roboter mit künstlicher Intelligenz so perfektionieren möchte, dass traditionelle Mensch-Mensch-Partnerschaften bald überflüssig werden.

Das gut geölte Gerüst einer schwarzen Komödie kombiniert Weibel mit treffsicheren Dialogen und fein austarierten Figurenzeichnungen. Die beiden famosen Hauptdarsteller machen eine verblüffende Verwandlung in einer Gegenwart durch, in der Menschen Masken tragen und das Zeigen von Schwächen mit dem sozialen Tod enden kann, egal ob in der analogen oder der digitalen Sphäre. Züge von Schmerz oder des Wissens um seine Wiederkehr spiegeln sich in ihren Gesichtern, und auch die Fassungslosigkeit darüber, doch noch einen Ausgang gefunden zu haben.

Gegen die Kälte des Metaverse

Im Finale wirken Eva und Adam geradezu von der Angst befreit, dem Alleinsein für immer ausgeliefert zu sein. Der Spagat zwischen der Kritik an der Verlogenheit der kommerziell ausgerichteten Sozialen Medien und einer Sexindustrie, die einen vermeintlichen „Krieg gegen die Einsamkeit“ führt sowie der Feier einer ungewöhnlichen Liaison, in der Gefühle transparent gemacht werden, geht problemlos auf, was nicht zuletzt an einem mitunter etwas verspielten Drehbuch liegt, das gelegentlich auch märchenhafte Züge trägt.

Die Absage an die Kälte des Metaverse, das die Distanz zwischen Menschen verstärkt, hält in diesem sympathisch-kleinen „Beziehungsfilm“ reiche Ernte. Am Ende trägt eine Gemeinschaft Gleichgesinnter Gedichte über die Facetten der Einsamkeit vor, in denen das Ja zum irdischen Leben bekräftigt wird.

Kommentar verfassen

Kommentieren