Drama | Zypern/Frankreich/Deutschland 2022 | 115 Minuten

Regie: Michale Boganim

Zwischen den Jahren 1984 bis 2006 kreuzen sich die Wege einer israelischen und einer libanesischen Familie entlang der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern. Ein vielschichtiges, in langen Rückblenden erzähltes Familien- und Kriegsdrama, in dessen finalem Kapitel sich eine Israelin und eine Libanesin gemeinsam gegen das drohende Unheil stemmen. Das aufwühlende Epos kreist um Flucht und Vertreibung und fokussiert vor allem auf die desaströsen Folgen des Krieges für familiäre Strukturen und den Zusammenhalt der Menschen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TEL AVIV/BEIRUT
Produktionsland
Zypern/Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Moby Dick Films/Les Films de la Croisade/Twenty Twenty Vision/TB Tel Aviv Beirut AVC
Regie
Michale Boganim
Buch
Michale Boganim
Kamera
Axel Schneppat
Musik
Avishai Cohen
Schnitt
Anne Weil Kotlarski
Darsteller
Avishai Cohen (Avishai) · Zalfa Seurat (Tanya) · Maayane Elfassy Boganim (junge Tanya) · Shlomi Elkabetz (Yossi) · Amit Shushani (junger Yossi)
Länge
115 Minuten
Kinostart
14.09.2023
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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IMDb | TMDB

Episches Familien- und Kriegsdrama, das zwei Jahrzehnte lang den Wegen einer israelischen und libanesischen Familie inmitten der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen ihren Ländern folgt.

Diskussion

Kampfhubschrauber am Himmel, Explosionen in der Ferne oder von Soldaten bewachte Grenzzäune und Menschen, die in Bunkern ausharren, sieht man in dem erstaunlich langsam inszenierten Kriegsfilm „Tel Aviv – Beirut“ häufig, den die französisch-israelische Regisseurin Michale Boganim aus der Sicht von Frauen erzählt. Zwei Familien in Israel und Libanon geraten in die Wirren eines Konflikts, der ihre beiden Länder seit Jahrzehnten nicht zu Ruhe kommen lässt.Boganim ergreift nicht Partei für das eine oder das andere Land. Von den Kampfhandlungen erfährt man meist nur aus dem Radio. Wenn sie dennoch zu sehen sind, dann gerade nur so lange, um die Figuren zu charakterisieren. Auf beiden Seiten gibt es Hass und Schuldzuweisungen, aber auch Kriegsmüdigkeit und den Wunsch, alles hinter sich zu lassen; und Empathie für die privaten Tragödien der anderen Seite.

Über zwei Jahrzehnte hinweg

Immer wieder tauchen mitten aus dem Chaos Momente der Freude und Gelassenheit auf. Bis die Gewalt wieder aufflammt und den Nachbarn oder ein Familienmitglied brutal aus dem Leben reißt. Wenn die Kamera von oben einen schwimmenden Mann im glasklaren Wasser filmt, auf dem sich die Schatten der Kampfflugzeuge spiegeln, kann auch diese idyllisch ausgeleuchtete Verschnaufpause das Gemüt nicht wirklich beruhigen. Die allgegenwärtige militärische Präsenz ist bedrückend; sie lastet auf den Bewohnern der Region und macht sie zu Spielbällen von Entscheidungen, die sie schon lang nicht mehr nachvollziehen können.

Drei Jahreszahlen unterteilen das als Rückblende erzählte Geschehen in zeitliche Blöcke: 1984, 2000, 2006. In den frühen 1980er-Jahren wird der Israeli Yossi unmittelbar nach der Geburt seines Sohnes als Soldat von Haifa aus in den Südlibanon versetzt. Während seine aus Frankreich stammende Frau Myriam unter der Trennung leidet, lernt er in Beirut christliche Libanesen kennen, die mit der israelischen Armee gegen die Hisbollah kämpfen. Für die schiitische Bevölkerung sind die Christen Verräter und ebenso Zielscheibe von Attentaten wie die Israelis. Yossi freundet sich mit einer christlichen Familie an, nachdem er deren Tochter Tanya das Leben gerettet hat. Die Männer kämpfen zusammen und werden Freunde, obwohl eine israelische Granate die Mutter in Anwesenheit von Yossi tötet.

Über Nacht ändert sich die Situation

Umso größer ist die Enttäuschung der Familie, als die Israelis 2000 abziehen und auch der langjährige israelische Freund Yossi über Nacht mit den Truppen verschwindet. Die „Kollaborateure“ sind von nun an Freiwild und werden Opfer von Lynchmorden. Tanya verlässt mit ihrem Vater das Land und schlägt sich nach Israel durch, wo sie in bescheidenen Verhältnissen in der Nähe der Grenze lebt und ihre Gefühle und Gedanken einem Tagebuch anvertraut. Sie lässt ihre verheiratete Schwester und ihren schiitischen Freund zurück, mit dem sie seit der Kindheit eng verbunden war.

Myriam hingegen, die als Krankenschwester arbeitet, ist von Yossis Rückkehr nicht begeistert. Sie hat in ihrem vom Krieg traumatisierten Nachbarn inzwischen einen Liebhaber gefunden und lässt sich scheiden. Sechzehn Jahre später kämpft die israelische Armee wieder im Libanon. Als sich Myriams Sohn lieber bei der Armee meldet, als an der Sorbonne in Paris zu studieren, vermutet sie zurecht Yossis Einfluss hinter dem Sinnenwandel. Sie hält nichts von dem Kult um die „heilige“ Armee und ist entsetzt über das späte Geständnis, dass sich Yossi in Beirut eine Ersatzfamilie zugelegt und sie in der Not im Stich gelassen hatte. Das erfährt sie nur, weil Tanya nach Haifa reist und Yossi um medizinische Hilfe für ihren kranken Vater bittet. Zeitgleich wird ihr Sohn mit anderen Soldaten von der Hisbollah gekidnappt. Myriam kann die Ungewissheit nicht ertragen und bricht mit Tanya und den Medikamenten für deren Vater zur Grenze auf, um nach dem Sohn zu suchen.

Die Utopie der Verständigung

Die Reise in der Form eines Road Movies lässt alle Wunden wieder aufbrechen. Die staubige Straße, auf der die Frauen fahren, ist die alte britische Eisenbahnlinie, die das britische Mandatsgebiet vom Rest der Welt trennte. Die Frauen sprechen sich aus, leiden zusammen und teilen den Schmerz eines sinnlosen Krieges. Boganim erlaubt sich eine kleine Utopie der Verständigung, die von den Schauspielerinnen hochemotional getragen wird. Auch die Entstehung des Films liest sich beinahe wie ein Wunder. Während des Lockdowns beschlossen israelische, libanesische und palästinensische Schauspieler:innen und ein ebenso bunt zusammengewürfeltes Team gemeinsam auf Zypern zu drehen.

Auf der Leinwand hört man einen scheinbar selbstverständlichen Wechsel von Hebräisch zu Arabisch, von Französisch zu Englisch, als hätten sich alle kulturellen Unterschiede in Luft aufgelöst.Zugleich hat die Geschichte der Frauenfreundschaft auch einen bitteren Nachgeschmack. Die Reise erweist sich als eine in den Tod, nicht für die Frauen, aber für die Männer, denen sie helfen wollten. Die Gewalt lässt sich nicht abschütteln; sie zermalmt die Beziehungen und vereitelt letztlich die Versuche der Annäherung. Immer wieder fallen Sätze wie „Dieser Krieg wird niemals enden“. Ein melancholischer Schleier hängt über den Generationen dieses epischen Dramas. Die Männer fügen sich in ihre Pflicht und werden dabei depressiv. Die Frauen schwanken zwischen Wut und Verzweiflung über die Folgen von Terror, Flucht und Exil.

Trotz des streckenweise demonstrativen Drehbuchs ist es Boganim hoch anzurechnen, dass sie das wenig bekannte Thema der „libanesischen Harki“ aufgreift, die von den Israelis erst benutzt und dann vergessen wurden, ähnlich den vielen Afghanen, die für die Bundeswehr arbeiteten und bis heute auf ihre Rettung warten. Sie integriert dies in ein aufwühlendes, gegen Ende zunehmend poetisches, von Geistern bevölkertes Drama, das keine Gewinner kennt – bis auf die Toten, denen es vergönnt ist, in Särgen die Grenze Richtung ihrer Heimat zu passieren.

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