Tatort - Borowski und das unschuldige Kind von Wacken

Krimi | Deutschland 2022 | 88 Minuten

Regie: Ayse Polat

Auf einem Parkplatz in der Nähe von Kiel wurde ein totes Baby gefunden. Die Ermittlungen führen den altersmilden Kommissar Borowski und seine junge Kollegin in das schleswig-holsteinische Dorf Wacken, in dem wenige Tage später 90.000 Besucher des riesigen Heavy-Metal-Festivals einfallen. Zwischen euphorisierten Musikfans und wortkargen Bauern geht es um unerfüllte Sehnsüchte, Leihmutterschaft, Schuld und Sühne. Inhaltlich wie dramaturgisch lässt die Handlung manche Fragen offen; der Ton ist eher melancholisch-müde, wobei Krimihandlung und Rockkonzert nicht so recht zusammengehen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Nordfilm
Regie
Ayse Polat
Buch
Agnes Pluch
Kamera
Aljoscha Hennig
Musik
Martin Rott · Matthias Wolf · Martin Berger
Schnitt
Gisela Zick · Julia Böhringer
Darsteller
Axel Milberg (Klaus Borowski) · Almila Bagriacik (Mila Sahin) · Bärbel Schwarz (Meike) · Marven Gabriel Suarez-Brinkert (Jan) · Anja Schneider (Sarah)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Krimi
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„Tatort“-Krimi um ein totes Baby, das wenige Tage vor dem Heavy-Metal-Rockfestival in Wacken auf einem Parkplatz in Kiel gefunden wurde.

Diskussion

„Wacken und Wagner. Passt doch gut zusammen“, meint der nur halb überzeugt klingende Kommissar (Axel Milberg), als er es mit einer schrullig-walkürenhaften Kollegin namens Waltraute (Regine Hentschel) aus dem berühmt-berüchtigten Heavy-Metal-Dorf Wacken in Schlesig-Holstein zu tun bekommt. Schon hier etabliert sich das (Erden-)Schwere als Leitmotiv der „Tatort“-Folge „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ (Buch: Agnes Pluch, Regie: Ayşe Polat): viel weites-plattes Land, heftiger Soundtrack und ein hochschwangerer Bauch – und das alles kaum verbunden in einer Handlung, die sich auch nicht eben für die leichte Muse eignet. Dazu eine Dramaturgie und Szenenabfolge, realisiert eher im schweren Stiefel als im eleganten Halbschuh. Borowski und Wacken? Hat der Ermittler mit seinen eher blassen Sidekicks genug „Street Credibility“, um dort zu bestehen und die äußerst dürftige Integration von Handlung und Szene halbwegs vergessen zu machen?

Ein Death-Rocker probt den Aufstand

Auf einem Parkplatz in der Nähe Kiels wird ein toter Säugling gefunden; von der Mutter gibt es zunächst keine Spur. Hat sie ihr Kind selbst umgebracht? Ein Festivalbändchen führt Borowski und seine Assistentin Mila Sahin (Almila Bagriaçik) ins titelgebende Dorf, über das in wenigen Tagen das kalkulierte Inferno hereinbrechen soll. Denn dann fallen dort mehr als 80.000 Gäste ein, um bei dem größten Heavy-Metal-Event zu feiern.

Die erste Spur führt die Kommissare zum Caterer Michi Berger (Nikolaus Okonkwo), der die junge Mutter per Anhalter mitgenommen hat. Er unterhält ein (nicht allzu) heimliches Verhältnis mit Bestatterin Meike (Bärbel Schwarz). Die wiederum sorgt sich um ihren Sohn Jan (Marven Gabriel Suarez-Brinkert). Der begabte Death-Rocker probt mit seiner Band in der Kneipe von Sarah und Kurt Stindt (Anja Schneider, Andreas Döhler) den Aufstand und geriert sich dabei ein bisschen als neuer Till Lindemann („Ich will dein Leben!“). Jan war in der Nacht, als das Baby verschwand, unterwegs und hat eine Beobachtung gemacht, die ihm nicht leicht zu entlocken ist. Derweil trudeln immer mehr Fans in Wacken ein und drohen, wichtige Spuren zu vernichten.

Wer wofür Schuld trägt

Sonne über Wacken? Kein Regen, nirgends Matsch und Schlamm? Nun, Klischees gilt es unbedingt zu vermeiden, was für das Drehbuch spricht. Doch so sperrig wie der Titel verläuft nach der Exposition auch das Vorantreiben einer Handlung, die im weiteren Verlauf einige Löcher in ihrem thematischen Fundament wie auch in der dramaturgischen Realisierung offenbart. Dies betrifft vor allem die Rolle der osteuropäischen Leihmutter Christina (Irina Potapenko), der darstellerisch allerdings kein Vorwurf zu machen ist. Borowski stapft hingegen bräsiger denn je durchs Set und nimmt sich öfters aufreizend viel Zeit. Dazu offenbart er unangenehme Züge eines alten weißen Mannes, wenn er seiner kriminalistischen Imagination angesichts des außergewöhnlichen Opfers freien Lauf lässt und die Forensikerin sowie seine Kollegin mit einer vorschnellen Deutung der Dinge überfährt.

Auch wenn der Film nicht über die gesamte Strecke wie ein Thriller die Spannung hält, beweist „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ zumindest Qualitäten als Whodunit; wer wofür Schuld trägt und Sühne zu leisten hat, offenbart sich erst relativ spät.

Der Teufel ist ein Eichhörnchen

Ein für moderne Gesellschaften mit ihren asymmetrischen Geld- und Machtstrukturen zunehmend relevantes Thema, nämlich unerfüllter Kinderwunsch sowie international agierende, halb- oder illegale Agenturen für ausgebeutete Leihmütter, das sich für ein intimes Kammerspiel durchaus eignet, kommt hier kombiniert mit einem notorisch lauten Rockspektakel ziemlich unter die Räder. Das merkt man in einer finalen Einstellung selbst Borowski an, der so aussieht, als wünsche er sich schleunigst in seinen unterbrochenen Urlaub zurück – und die Welt als „stille Kammer“, wie in Claudius’ „Abendlied“, das er zuvor lehrerhaft zitierte. Ganz im Gegensatz zum letzten Aufritt der Leihmutter Christina. Wie sie innerlich wie äußerlich versehrt sich ihren Weg bahnt durch die in aller Unschuld den Leibhaftigen feiernde Menge, ist eine intensive Bildfindung. „The evil is always and everywhere“, aber der Teufel ist ein Eichhörnchen.

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