Der Untergang des Hauses Usher (2023)

Drama | USA 2023 | 493 (8 Folgen) Minuten

Regie: Mike Flanagan

Eine reiche Pharma-Unternehmer-Familie hat ihr Geld mit rabiaten Mitteln gemacht und gehört wirtschaftlich zu den Spitzen des Landes. Doch mit einem Mal beginnen ihre Mitglieder zu sterben und der Patriarch muss ohnmächtig zusehen, wie ihn die Schatten der Vergangenheit einholen. Die achtteilige Horror-Serie spielt elegant mit Motiven und Figuren aus dem Erzählkosmos von Edgar Allan Poe und verbindet diese zu einer eigenständigen, auf Schieflagen in den gegenwärtigen USA abzielenden Story. Eine kühle, mitreißende Saga über Ambitionen, Macht und die Folgen des Strebens danach. - Sehenswert ab 18.
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Filmdaten

Originaltitel
THE FALL OF THE HOUSE OF USHER
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Intrepid Pic.
Regie
Mike Flanagan · Michael Fimognari
Buch
Mike Flanagan · Justina Ireland · Dani Parker · Emmy Grinwis
Kamera
Michael Fimognari
Musik
The Newton Brothers
Schnitt
Brett W. Bachman
Darsteller
Bruce Greenwood (Roderick Usher) · Mary McDonnell (Madeline Usher) · Carl Lumbly (Auguste Dupin) · Carla Gugino (Verna) · Mark Hamill (Arthur Pym)
Länge
493 (8 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 18.
Genre
Drama | Horror | Literaturverfilmung | Serie
Externe Links
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Eine packende Neuinterpretation von Edgar Allan Poes berühmter Erzählung über den tiefen Fall einer reichen Familie: Die fünfte Horror-Serie von Regisseur und Autor Mike Flanagan für Netflix.

Diskussion

Edgar Allan Poe gehört zu den Pionieren der fantastischen Literatur, sein früher Tod unter mysteriösen Umständen passt zu seinem Werk. Auch fürs Medium Film ist die Bedeutung des Schriftstellers nicht zu unterschätzen; über die zahlreichen Adaptionen seiner Vorlage hinaus haben seine Bildwelten und Angstfantasien das Horrorkino immer wieder inspiriert. Regisseur und Drehbuchautor Mike Flanagan liefert mit seiner neuen Serie „Der Untergang des Hauses Usher“ nun eine weitere filmische Interpretation aus dem Poe-Kosmos. Der Horror-Spezialist macht aus einer der berühmtesten Kurzgeschichten Poes etwas ganz Eigenständiges, das neben zum Teil derbem Horror auch etliche Stellungnahmen zum heutigen Amerika zu bieten hat.

Die Milliardärs-Familie Usher wird anno 2023 heftig vom Schicksal gebeutelt. Nicht nur, dass Oberhaupt Roderick (Bruce Greenwood) vor Gericht steht, wo sein langjähriger Feind Auguste Dupin (Carl Lumbly) ihm den Prozess machen will, er verliert auch innerhalb weniger Tage alle seine Kinder durch bizarre Unfälle und Selbstmord. Während seine Schwester Madeline (Mary McDonnell) mithilfe ihres Anwalts Arthur Pym (Mark Hamill) nach einer möglichen Schlüsselfigur sucht, einer geheimnisvollen Frau (Carla Gugino), die mit den Todesfällen in Verbindung zu stehen scheint, will Roderick seine Seele erleichtern und lädt Dupin an den Ort ein, wo alles begann. Eine düstere Lebensbeichte erwartet den Staatsanwalt. Und eine Geschichte voller Tod und Schrecken.

Eine rabenschwarze Familiengeschichte

Flanagan gibt den düsteren Ausgang seiner Story schon in den ersten Minuten preis: Alle Usher-Kinder sind tot. Doch wie es dazu kam, das wickelt der Regisseur und Autor in raffinierte Lagen von Erzählstoff, die er erst nach und nach aufdeckt. Flanagan, der an sieben der acht Episoden-Drehbücher beteiligt war, seziert in seiner rabenschwarzen Serie eine Familie, in deren Beziehungsnetz die beiden Senior-Oberhäupter Roderick und Madeline wie alte Spinnen in der Mitte sitzen und fast alles um sich herum mit ihrem Gift verderben, ebenso virtuos wie gnadenlos. Aus den Ushers der Poe-Vorlage wird dabei ein an die Sackler-Familie angelehnter Pharma-Clan – Flanagan nimmt den Schmerzmittel-Skandal, der die USA vor Jahren erschütterte, als Aufhänger für den Sündenfall, der zum Untergang der Ushers führt.

Obwohl Flanagan die Usher-Story als übergeordneten roten Faden hernimmt, haben Poes Kurzgeschichte und die Serie inhaltlich gar nicht so viele Ähnlichkeiten; zudem weitet er das Figurenspektrum, indem er auch noch andere Figuren aus Poes Textuniversum (wie seine legendäre Ermittlerfigur Dupin) auftreten lässt. Flanagan, der eigentlich als Spezialist für Stephen-King-Verfilmungen gilt („Gerald’s Game“, „Dr. Sleep“ und als nächstes großes Projekt eine „Dark Tower“-Serie), nutzt Poes Material also als eine Art Ideen-Steinbruch. Jede Folge trägt den Titel einer berühmten Geschichte; deren Handlung nimmt aber oft nur einige Minuten ein, der Rest erzählt die Hauptstory weiter.

Poe-Kenner werden mit allerhand Anspielungen und Verweisen versorgt. So heißt beispielsweise ein Opfer in der Geschichte „Die Morde in der Rue Morgue“ (in der Serie die dritte Folge) Camille – und die Usher-Tochter, die hier ihr Ende findet, ebenfalls. Andere Namen setzt Flanagan gänzlich frei ein, so ist der Anwalt der Ushers Arthur Pym, Held von Poes einzigem (unvollendetem) Roman. Rodericks Vorgesetzter in jungen Jahren hingegen heißt Rufus Wilmot Griswold und war im realen Leben ein Kontrahent von Edgar Allan Poe.

Der erzählerische Kern geht auf

Dabei bleibt Flanagan aber nicht nur an der Oberfläche, sondern schafft es elegant, immer den erzählerischen Kern der jeweiligen Geschichten in der Serie aufgehen zu lassen. So geht es in Folge 5 („Das verräterische Herz“) um Mord und Wahnvorstellungen wie auch in der Story. Episode 2 („Die Maske des Roten Todes“) beschäftigt sich mit Dekadenz und Hedonismus, passend zu Poes Vorlage. Und so frei und eigenständig sich die Serienhandlung rund um diese Kerne entwickelt, bleibt der Showrunner dem Dichter doch auch bei vielen Motiven treu, die Poes Werk durchziehen. Die Angst, lebendig begraben zu werden. Schuld, die in den Wahnsinn treibt. Ein strafendes Schicksal für böse Menschen. Nicht endende Trauer um den Verlust geliebter Angehöriger. Und oftmals zwar gerechte, aber grausame Racheaktionen. All das findet sich in „Der Untergang des Hauses Usher“ wieder.

Flanagan verbindet diese Elemente so organisch zu einem eigenständigen Gruselstoff, dass die Serie auch ohne Kenntnis von Poes Werk in ihren Bann schlägt. Er inszeniert seine Story nicht nur mit einer spektakulären schön-morbiden Optik, die allein das Einschalten rechtfertigt, er schreibt seinen Protagonisten auch gewohnt gute Dialoge auf den Leib. Und greift dabei auf bewährte Schauspieler zurück. Von dem umfangreichen Ensemble sind lediglich Willa Fitzgerald als junge Madeline und Mark Hamill als Arthur Pym Neulinge in der Flanagan-Familie, alle anderen standen bereits vor der Kamera des Regisseurs. Und das merkt man. Flanagan kennt die Stärken seines Ensembles und setzt diese perfekt in Szene. Henry Thomas glänzt als ältester Sohn, den der Vater nie völlig für voll nahm, Flanagan-Gattin Kate Siegel brilliert als eiskalte Bastard-Tochter Camille, und Samantha Sloyan zeigt als komplett aus dem Ruder laufende, fragile Persönlichkeit abermals einen starken Auftritt – wie schon in Flanagans Serie „Midnight Mass“.

Die Momente, die zur Katastrophe führen

Die beeindruckendste darstellerische Leistung bietet allerdings Bruce Greenwood, der das Monster Roderick Usher mit so viel Feingefühl und Nuancen spielt, dass hinter dem Schurken der Mensch zum Vorschein kommt – in all seinen Facetten. Um die zu beleuchten, nimmt sich Flanagan viel Zeit, die ganze Geschichte von Roderick und Madeline zu erzählen. Und legt dabei auch die Momente frei, die letztlich zur Katastrophe führen.

Flanagans bisheriges Meisterstück heißt „Spuk in Hill House“ – die erste Horror-Serie, die er für Netflix umsetzte. Mit der letzten Serie für den Streamingdienst macht er sich nun selbst Konkurrenz, denn „Der Untergang des Hauses Usher“ kann in fast allen Belangen mit der grandiosen Geister-Serie mithalten. Einzig wer nach Identifikationsfiguren sucht, wird in der neuen Serie enttäuscht: Die Charaktere sind im Gegensatz zu „Hill House“ alle derart verkorkst, dass sich kaum ein Kandidat findet, mit dem man mitfiebern könnte; umso mehr ermöglichen sie, ein intellektuelles Interesse am Geschehen zu entwickeln. Erst recht, wenn man Poe-Fan ist.

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