Expedition Niger - Pures Afrika

Dokumentarfilm | Deutschland 2023 | 101 Minuten

Regie: Roberto Fischer

Im Frühjahr 2019 begleitet die Reisereportage eine russische Touristengruppe bei einer von Soldaten bewachten Tour quer durch den Niger, die von der Hauptstadt Niamey bis ins Aïr-Gebirge nach Iférouane führt. Im unterhaltsamen Info-Stil geht es knapp zwei Wochen chronologisch durch exotische Steppen- und Wüstenlandschaften, in denen unterschiedliche Ethnien leben. Ein durchgängiger Off-Kommentar steuert viele Informationen zu den einzelnen Stationen bei, irritiert aber auch nachhaltig durch eurozentristische Klischees und eine naive Unreflektiertheit. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Hippo TV
Regie
Roberto Fischer
Buch
Roberto Fischer
Kamera
Roberto Fischer
Musik
Roberto Fischer
Schnitt
Roberto Fischer
Länge
101 Minuten
Kinostart
02.11.2023
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb | TMDB

Reisereportage über eine Tour quer durch den afrikanischen Stadt Niger von der Hauptstadt Niamey bis zur Wüstenstadt Iférouane.

Diskussion

In den 1980er-Jahren tourten Weltenbummler durch deutsche Uni-Städte und erzählten mit farbenprächtigen Dia-Shows von ihren Fahrten durch Tibet, den Amazonas oder andere exotisch aufgeladene Gegenden. An diese Form illustrierter Welterfahrung erinnert die Reisereportage „Expedition Niger“ von Roberto Fischer, im Guten wie im weniger Guten.

Ausgangspunkt ist eine Expedition des russischen Abenteurer-Ethnologen Alexey Kolbov, dessen Unternehmen „Mzungu Expeditions“ sich auf Reisen zu indigenen Völkern in entlegenen Gegenden spezialisiert hat. Im Februar 2019 startete Kolbov mit einer Handvoll Touristen, zumeist russischen Unternehmern, und einem Dutzend schwerbewaffneter Nationalgardisten zu einer knapp zweiwöchigen Tour quer durch den Niger. Mit schweren Geländewagen ging es von der Hauptstadt Niamey quer durch die Sahel-Zone bis zum Aïr-Gebirge in der Sahara, wo nahe der Stadt Iférouane ein Tuareg-Festival stattfand, das den nördlichsten Endpunkt der Route definierte.

Ein entlarvender Untertitel

Dieser Tour schloss sich der Münchner Reisefilmer Roberto Fischer an, der dabei auch Kolbov und gelegentlich ein paar Mitreisende vor die Kamera holt, um ihre Eindrücke und Gedanken festzuhalten. Die Impressionen der Teilnehmer dienen aber eher als gelegentliche Einsprengsel in einer chronologisch gefilmten Reise, die vor allem durch den Off-Kommentar strukturiert wird, der sich in einer Mischung aus vielschichtigen Informationen und mitunter recht befremdlichen Einschätzungen über die Bilder legt.

Man kann den entlarvenden Untertitel „Pures Afrika“ durchaus ernst nehmen und den Film als Ganzes auf die unreflektierte Perspektive seines Regisseurs reduzieren, der zu schlimmsten Klischees greift und an keiner Stelle über sein eigenes Verhältnis zu dieser Reise oder die Intentionen seiner Bilder nachdenkt. Im besten Fall ist das naiver Eurozentrismus, der sich abseits der „Zivilisation“ staunend im wirklichen Afrika wähnt, wenn Flusspferde sich im trüben Niger tummeln oder die Offenheit, Neugier und Lebensfreude der Menschen ein ums andere Mal zum Staunen reizt. Dazu kommen noch ein paar ästhetische Manierismen wie etwa mit Fischaugen-Optik gefilmte Übergänge, in denen die Gegend um die Fahrzeuge zu einer Art Weltkugel schrumpft, oder der permanente Einsatz afrikanischer Popmusik, der noch die ehrfurchtgebietendsten Aufnahmen aus der Ténéré-Wüste mit Gedudel erschlägt.

Es gibt durchaus Nuancen

Man könnte in diesem flächigen Soundtrack aber durchaus auch noch etwas anderes heraushören, nämlich eine regionale Färbung und Verankerung der jeweiligen Songs und ihrer Instrumentierung, die beim Tuareg-Festival sehr anders klingen als etwa in der Hauptstadt Niamey. „Expedition Niger“ verwendet viel Mühe darauf, die einzelnen Stationen der Reise deutlich zu markieren und mit Informationen anzureichern. So erfährt man schon zu Beginn über die drückenden Probleme des Niger, der eines der ärmsten Länder der Erde ist, mit einer rasant wachsenden Bevölkerung, von der 80 Prozent nicht lesen und schreiben können und fast die Hälfte keinen Zugang zu sauberem Wasser hat. Im unterhaltsam flotten Info-Stil geht es um die jahrtausendalte Lehmziegel-Bauweise mit ihren imposanten Gebäuden in Agadez, dessen Altstadt zum Weltkulturerbe zählt, über 100 Meter tiefe Brunnen, mit denen das Volk der Fulbe ihre langhörnigen Zebu-Rinder am Leben erhalten, natürliche Wasserstellen in der Sahara, sogenannte Guelta, die ein nomadisches Leben überhaupt erst möglich machen, und viele andere Dinge, auf die der Blick der Kamera fällt.

Für eine Vertiefung der Themen fehlt aber meistens die Zeit, da die Reise streng durchgetaktet und die Inszenierung mehr an der Fülle als einer Schwerpunktsetzung interessiert ist. Doch es gibt zwei Ausnahmen, bei denen die Expedition mehrere Tage an einem Ort verweilt, weil es besondere Stämme in Augenschein zu nehmen gilt. Zunächst sind es die heidnischen Wodaabe, das „Volk der Tabus“, die als Nomaden leben. In Abulbal macht ein Wodaabe-Clan Station und bereitet sich auf das Brautschau-Festival „Guerewol“ vor, bei dem sich die heiratsfähigen Männer in exotisch herausgeputzten Trachten den Frauen präsentierten. Sieben Tage lang präsentieren sie in einer Art Schreittanz unablässig das Weiß der Augäpfel und ihrer Zähne und wiegen sich darüber in eine Art Trance. Hier kann sich die Kamera gar nicht mehr von den Tänzern lösen, während der Kommentar zu ethnografischen Exkursen über Ehebräuche, Balzrituale oder die Zubereitung der Schminke ausholt.

Nach drei langen Tagen geht es weiter Richtung Norden, immer tiefer in die Sahara zum Aïr-Gebirge und dem Tuareg-Festival, das touristischen, aber auch politischen Zwecken dient, weil sich hier auch die Anführer der Tuareg-Stämme treffen; die hohe Militärpräsenz unter den Besuchern deutet auf die Gefahr islamistischer Anschläge hin. Auch hier weidet sich die Kamera bei der Parade der hoch zu Kamel reitenden Männer in ihren vielfältigen traditionellen Kleidern, flicht aber auch eine Reihe Informationen über die muslimischen Traditionen unter den Tuareg, über die Verhüllung der Männer und das Kopftuch der Frauen ein.

Mit einer eurozentristischen Brille

In der Summe aber ist die Vielfalt der Menschen, Bräuche und Lebensumstände, wie sie „Expedition Niger“ nahebringt, durchaus beeindruckend und kurzweilig, zumal in Ansätzen die enormen klimatischen, religiösen und gesellschaftlichen Herausforderungen eines so vielfältigen Landes durchaus anklingen. Das hebt zwar die eurozentrische Brille nicht auf, deren kolonialistische Imprägnierung man sich deutlich vor Augen führen muss, nimmt dem Reisebericht aber nicht das Verdienst, mit seinen Bildern Eindrücke aus wenig bekannten Regionen am südlichen Rand der Sahara zu vermitteln.

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