Dokumentarfilm | Schweiz 2023 | 82 Minuten

Regie: Pawel Siczek

Anfang der 1990er-Jahre war der belarussische Diplomat und Oppositionspolitiker Andrei Sannikov maßgeblich an der nuklearen Abrüstung seines Landes beteiligt und kandidierte 2010 sogar als Präsidentschaftskandidat gegen Lukaschenko. Danach wurde er verhaftet und lebt seit 2012 im Exil in Warschau. Der Dokumentarfilm lässt Sannikov selbst erzählen, im Interview oder über ein von ihm selbst eingesprochenes Voice-over. Das Porträt nutzt historisches Fernsehmaterial von Demonstrationen oder Konferenzen, widmet sich aber auch Sannikovs Privatleben mit Frau und Sohn. Die Hoffnungen des Charta-97-Mitbegründers, wieder in seine Heimat zurückzukehren, zerschlugen sich mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THIS KIND OF HOPE
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
A Film Company/Departures Film
Regie
Pawel Siczek
Buch
Pawel Siczek
Kamera
Daniel Samer
Musik
David Langhard
Schnitt
Claudio Cea
Länge
82 Minuten
Kinostart
01.02.2024
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Dokumentarisches Porträt des belarussischen Oppositionspolitikers und Diplomaten Andrei Sannikov.

Diskussion

Der belarussische Politiker Andrei Sannikov, der in den 1990er-Jahren als Diplomat seines Landes tätig war, steht vor einem riesigen Stadtplan von Minsk. In diesem Haus sei er geboren, hier zur Schule gegangen, dort habe er studiert. Kenntnisreich spricht er über die Hauptstadt von Belarus und erklärt, wie oft eine wichtige Straße umbenannt wurde. Sannikov liebt seine Heimatstadt. Doch wohnen kann er hier schon lange nicht mehr. Der Begründer der Bürgerbewegung „Europäisches Belarus“ lebt im Exil in Warschau, wo er sich wie ein Fremder fühlt und Frau und Sohn vermisst, von denen er getrennt ist.

Der letzte Diktator Europas

Der Titel des Dokumentarfilms „This Kind of Hope“ vom Schweizer Regisseur Pawel Siczek klärt sich schnell. Hier hofft ein Mann, dass er irgendwann wieder mit seiner Familie vereint sei und vielleicht in seine Heimat zurückkehren kann. Der 1954 geborene Sannikov ist noch unter Chruschtschow in der alten Sowjetunion aufgewachsen. Doch er fühlt sich als Belarusse. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR sei plötzlich alles möglich gewesen; Sannikov machte Karriere. Er wurde Diplomat und war für Belarus maßgeblich an den Abrüstungsverhandlungen beteiligt, bei denen die Atommächte, vor allem die USA, ihre Interessen durchsetzen wollten. Der Kalte Krieg schien endlich vorbei zu sein. Doch niemand habe erkannt, wie gefährlich Alexander Lukaschenko ist. In den Augen von Sannikov ist er „der letzte Diktator Europas“ und damit eine Bedrohung, aber auch eine Herausforderung.

Der Filmemacher lässt den 69-jährigen Sannikov erzählen. Häufig ist er im Bild zu sehen, in alten, aber auch aktuellen Interviews, oftmals auch in historischem Fernsehmaterial von Demonstrationen oder Konferenzen; mit dem auf Englisch vorgetragenen Voice-over verbindet Sannikov die Bilder zu einer sehr persönlichen Erzählung. Hier spricht jemand, der bei vielen wichtigen Ereignissen mit dabei war. Gelegentlich werden Impressionen von privaten Urlauben mit der Familie eingeschnitten; so sieht man Sannikovs Sohn über die Jahre hinweg beim Aufwachsen zu.

Die Bürgerinitiative „Charta 97“

1997 gründete Sannikov mit anderen die Bürgerinitiative Charta 97, die sich für Opfer von Gewalt und Terror der belarussischen Regierung einsetzt. 2010 kandidierte er sogar als Präsidentschaftskandidat gegen Lukaschenko, obwohl er kaum Geld für den Wahlkampf hatte. Damit machte er sich das Regime zum Feind. Ein Jahr später wurde er zusammen mit seiner Ehefrau, der Journalistin Irina Chalip, verhaftet und zu fünf Jahren Straflager verurteilt, weil er Lukaschenko der Wahlfälschung beschuldigt hatte. Die Drohungen des KGB, etwa seinen Sohn in ein Waisenhaus zu stecken, wurden immer unerträglicher. Im April 2012 kam Sannikov aus dem Hochsicherheitsgefängnis wieder frei. Über die (Fernseh-)Bilder seiner Entlassung legt sich die treibende Rockmusik von David Langhard, die fast etwas Frenetisch-Jubelndes hat. Seitdem lebt Andrei Sannikov im Warschauer Exil.

Doch er bleibt immer noch der Diplomat, der sich für die Rückkehr der Demokratie in Belarus einsetzt. Zwischendurch zeigt und erklärt er, wie man ein Hemd bügelt und eine Krawatte richtig bindet. Bilder, die zeigen, wie sehr er auch Privatmann ist und sich Normalität und Sicherheit wünscht. Das beweisen auch die Gespräche zwischen ihm und seiner Frau und seinem Sohn, bei denen die Kamera wie selbstverständlich dabei sein darf. Die Gespräche drehen sich um Alltägliches, aber auch um die Hoffnung auf ein Zusammenleben. „Exil ist der Traum von der Rückkehr“, sagt Sannikov; sein Leben in Polen und seine Wohnung in Warschau seien nur temporär.

In weiter Ferne

Doch dann überfiel Russland die Ukraine. Der Traum von der Rückkehr ist damit vorbei. „This Kind of Hope“ ist ein brisanter, hochaktueller Film, an dem sich 30 Jahre belarussischer Geschichte ablesen lassen, in dem aber auch Werte wie Freiheit, Heimat und Familie verhandelt werden. Dass Sannikov trotz allem seine Heimat liebt, daran gibt es keinen Zweifel.

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