Umberto Eco - Eine Bibliothek der Welt

Dokumentarfilm | Italien 2022 | 80 Minuten

Regie: Davide Ferrario

Als Umberto Eco im Februar 2016 starb, hinterließ der italienische Schriftsteller in seinen Räumen in Mailand eine riesige Privatbibliothek mit 30.000 zeitgenössischen und 1.500 antiken Werken. Anhand dieser Sammlung taucht das dokumentarische Porträt auf spielerische Weise in die Biografie und das Werk des Gelehrten ein, dessen „intertextuelles“ Denken sich in der filmischen Gestaltung widerspiegelt. Der Film ist ein Füllhorn an funkelnden Bonmots, optischen und akustischen Spielereien, biografischen Erinnerungen und zentralen Themen seines Denkens, das sich um Erinnern, Erzählen und die Fähigkeit zu täuschen dreht. - Ab 14. ((O.m.d.U.))
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Filmdaten

Originaltitel
UMBERTO ECO: A LIBRARY OF THE WORLD
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Rossofuoco
Regie
Davide Ferrario
Buch
Davide Ferrario
Kamera
Andrea Zambelli · Andrea Zanoli
Musik
Fabio Barovero
Schnitt
Christina Sardo
Länge
80 Minuten
Kinostart
21.03.2024
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Vielschichtiges Porträt über den italienischen Schriftsteller Umberto Eco und seine riesige Privatbibliothek in Mailand.

Diskussion

Wer nicht liest, lebt nur ein Leben. Wer sich hingegen ins Reich der Bücher wagt, wird 5000 Jahre gelebt haben. Davon schwärmte der italienische Universalgelehrte Umberto Eco (1932-2016) mit großer Leidenschaft. Denn dann war man unter Umständen sogar dabei, als Kain Abel erschlug oder Adson von Melk das Rätsel der Rose lüftete. Für diese illustre Idee einer „Unsterblichkeit nach hinten“ stand der gutmütige „Professore“ mit der ganzen Fülle seiner mächtigen Figur – und seiner riesigen Privatbibliothek im Herzen von Mailand, wo er in seinen Räumen über 30.000 zeitgenössische Werke und rund 1.500 antike Folianten und bibliophile Raritäten zusammengetragen hatte. Diese Sammlung wurde schlagartig bekannt, als mit Ecos Tod im Frühjahr 2016 ein Video viral ging, in dem der Schriftsteller auf der Suche nach einem Buch durch enge, von meterhohen Regalen gesäumte Gänge eilt und nach einer kleinen Ewigkeit das gesuchte Werk tatsächlich dort hervorzieht, wo er es vermutet hatte.

Durchs Labyrinth der Bücher

Die ikonische Sequenz steht auch am Beginn des verspielten Porträts „Umberto Eco – Eine Bibliothek der Welt“, das in drei Kapiteln und einem Epilog ins Leben und Denken dieses außergewöhnlichen Intellektuellen lockt, der seine philosophischen Thesen und seine ganze akademische Gelehrsamkeit gerne mit spitzbübischem Schalk und Ironie garnierte und auch medial immer für sich einzunehmen verstand.

Der illustre Gang durch sein Bücherlabyrinth war Teil einer Videoinstallation zum Thema Erinnerung, die der Regisseur Davide Ferrario ein Jahr vor Ecos Tod für die Kunstbiennale in Venedig drehte. Das umfasste auch Gespräche über all die Themen, die Ecos voluminöses Oeuvre durchziehen und im Kern um Sprache, Bücher, Bibliotheken und das „Gedächtnis der Welt“ kreisen. Sie bilden zusammen mit weiteren Eco-Interviews, Gesprächen mit seiner Witwe Renate, den Kindern Stefano und Carlotta sowie Ecos Enkeln plus kunstsinnigen Aufnahmen berühmter Bibliotheken von der Barockzeit bis in die unmittelbare Gegenwart und kleinen szenischen Miniaturen aus Ecos Schriften die Basis für eine höchst unterhaltsame, anspielungsreiche Annäherung an den Protagonisten, dessen „intertextuelles“ Denken auf Schönste in der filmischen Gestalt widergespiegelt wird.

„Umberto Eco – Eine Bibliothek der Welt“ ist ein Füllhorn an funkelnden Bonmots, erzählerischen Momenten, optischen und akustischen Spielereien und biografischen Erinnerungen. Denn es geht nicht nur um „Erinnern“, „Erzählen“ und „Lügen“, wie die drei Kapitel des Films betitelt sind. Sondern auch um einen biografischen Zugang zu dem Intellektuellen und um viele sprechende Details wie beispielsweise das Studierzimmer mit den antiken Büchern, aus dem Telefon und Computer verbannt waren, aber Ecos Barockflöte ihren festen Platz hatte, die er mit so viel Hingabe spielte, dass selbst seine „Ex Libris Umberto Eco“-Signatur einen flötenspielenden Esel zeigt.

Mit dem Stift in der Hand

Die weißen Stoffhandschuhe für die bibliophilen Schätze ließ ihr berühmter Besitzer unbenützt liegen; Bücher müssen in die Hand genommen werden, erinnert sich Tochter Carlotta. Auch, weil Eco fleißig Anmerkungen machte und Lesezeichen hinterließ, für die zur Not auch ein Eselsohr diente oder manchmal sogar ein Marmeladenfleck auf die Lektüre verwies. Der Stift in der Hand war so wichtig wie das Zigarillo im Mundwinkel; für die Bibliothek in seinem berühmtesten Roman „Der Name der Rose“ entwarf er bis zu 60 Skizzen, auch die Mönche entwarf er bildhaft als Miniaturen, um sich über ihre äußere und innere Physiognomie klarer zu werden.

Dass die (Comic-)Welt von Charlie Brown bis zum Superhelden Clark Kent für Umberto Eco immer eine wichtige Referenz war, hat unter anderem auch mit seiner großen Nähe zum Grafischen zu tun. Obwohl in seinen philosophischen Schriften wie auch in seinen Gedanken im Film sehr vieles um Sprache und ihre vielfältigen Wirklichkeiten kreist, schieben sich immer wieder alte Stiche, Grafiken oder tabellarische Übersichten ins Bild, als Materialien für die Fantasie, die all die unbekannten, nicht entdeckten Länder und Territorien zumindest ansatzweise der Abstraktion entreißen will. Auch die vielen Gemälde in seinen Räumen in Mailand zeugen von diesen in der Eco-Exegese eher weniger bedachten Dimension, die hier aber mit Händen zu greifen ist.

Auf den Flügeln der Orff’schen Musik

Dies ist allerdings nur ein Aspekt unter einem Dutzend anderer, die Ferrario mit gelassener Leichtigkeit und ohne systematischen Zwang aufgreift. Der Hauptstrang windet sich dabei ums Thema der Bibliothek als Symbol und Realität des kollektiven Gedächtnisses der Menschheit, was in den Sequenzen mit den kunstvoll ausgeschmückten und architektonisch spektakulären Lesesälen berühmter Bibliotheken eindrucksvoll illustriert wird. Es geht aber auch um abseitige Vorlieben, etwa um das Werk des Jesuiten Athanasius Kircher, der im 17. Jahrhundert von einer ähnlichen wissensdurstigen Neugier wie Eco getrieben war. Oder mit einem Anflug koketter Selbstkritik um das Unwesen von Paratexten, höchst amüsant exemplifiziert am Werk von Thémiseul de Saint-Hyaninthe und dessen „Le chef-d’oeuvre d’un inconnu“, das in der achten Auflage mit 643 Seiten ein schlichtes Volkslied unter einem bombastischen Anmerkungsapparat pulverisiert. Oder um die auf der Buchmesse in Frankfurt erfundene Figur von Milo Temesvar, dem Eco im Vorwort zu „Der Name der Rose“ zu neuem Leben verhalf.

Zusammengehalten werden die vielen unterschiedlichen Aspekte, Materialien und Zeitsprünge zum einen durch die sympathische Präsenz von Eco, der im Laufe der Jahre weniger sarkastisch und milder wirkt, was seinen Ausführungen zusätzliche Bedeutung verleiht. Zum anderen aber ist es eine ausgesuchte filmmusikalische Interpunktion, bei der die verführerische Musik aus dem Schulwerk von Carl Orff eine wesentliche Rolle spielt. Sie verbindet disparate Töne (und Bilder) so beschwingt wie dynamisch zu einem vorwärtstreibenden Fluss, der optimistisch stimmt und das gewaltige Gewicht der Bücherberge in ein helleres Morgen öffnet.

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