Dokumentarfilm | USA 2024 | 95 Minuten

Regie: Amanda McBaine

Bei alljährlich in den USA stattfindenden „Girls State“-Kursen simulieren Schülerinnen den Politikbetrieb, um an dessen Funktionsweise herangeführt zu werden. In Lern- und Rollenspielen organisieren sie Wahlen, stellen Kandidaten auf, ernennen das oberste Gericht und widmen sich programmatischen Fragen. In Fortführung des Films „Boys State“ richtet das Pendant jetzt den Blick auf den weiblichen Polit-Nachwuchs im US-Bundesstaat Missouri, wobei auch kritische Aspekte der nach Geschlechtern getrennten Konzeption der „Girls State“- und „Boys State“-Programme thematisiert werden. Ein spannender Einblick in das politische Denken junger US-Amerikanerinnen, auch wenn durch die starke Verdichtung des Films viele Themen nicht vertieft werden. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GIRLS STATE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Concordia Studio/Mile End Films
Regie
Amanda McBaine · Jesse Moss
Kamera
Daniel Carter · Laura Hudock · Laela Kilbourn · Keri Oberly · Erynn Patrick Lamont
Musik
T. Griffin
Schnitt
Amy Foote
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über ein einwöchiges Sommercamp für US-Schülerinnen, das ihnen den Politikbetrieb nahebringen und junge Talente fördern soll.

Diskussion

Die in allen US-Bundesstaaten alljährlich stattfindenden Sommerprogramme „Boys State“ und „Girls State“, die von der Veteranenorganisation American Legion gesponsert werden, gehören seit den 1930er-Jahren zum festen Repertoire der politischen Kultur in den Vereinigten Staaten. High-School-Kinder lernen in dem einwöchigen Kurs die Funktionsweise demokratischer Institutionen kennen. Politik findet hier, nach Geschlechtern getrennt, als eine Art Lern- und Rollenspiel statt. Die Schülerinnen und Schüler organisieren Wahlen, stellen Kandidaten auf, ernennen das oberste Gericht und debattieren grundsätzliche programmatische Fragen. Das Programm dient dabei auch als Talentschmiede für ambitionierte Staatsfrauen und -männer von morgen.

Das Pendant zu „Boys State“

Im Jahr 2020 besuchten die Dokumentarfilmer Jesse Moss und Amanda McBaine den Campus einer texanischen Uni, um den dort stattfindenden „Boys State“-Workshop zu begleiten. Während in Washington die Trump-Regierung zum großen Angriff auf die politischen Institutionen des Landes blies, zeigte „Boys State“ einen demokratischen Hoffnungsschimmer auf. Der Dokumentarfilm offenbarte aber auch unversöhnliche Bruchlinien innerhalb des Landes entlang der Themen Abtreibung und Schusswaffenbesitz. In „Girls State“ begleiten Moss und McBaine nun die Teilnehmerinnen einer renommierten politischen Talentschmiede in Missouri.

Wie Texas ist der Bundesstaat Missouri im Mittleren Westen der USA ein traditioneller „red state“, in denen die Mehrheit meist für die Republikanische Partei votiert. Ein genauer Blick in die Bezirke und vor allem in die größeren Städte wie Columbia und Springfield offenbart jedoch eine politische Verschiebung, die vor allem demografische Hintergründe hat. Auch traditionelle Hochburgen der Republikaner entpuppten sich hinsichtlich der ethnischen Diversität weitaus vielfältiger als in vergangenen Zeiten. Entsprechend befinden sich auch die politischen Einstellungen im Wandel.

Unter dem Eindruck eines politischen Erdbebens

„Girls State“ steht unter dem Eindruck eines politischen Erdbebens, das sich 2022 mit dem Richterspruch des Supreme Court im Hinblick auf die Abtreibungsgesetzgebung Roe v. Wade ereignete. Denn die Richter kassierten das konstitutionell garantierte Recht auf Abtreibung ein. In der Folge etablierten die Bundesstaaten eigene Abtreibungsgesetzgebungen, mit teils drastischen Einschränkungen. Es nimmt daher nicht Wunder, dass die jungen Teilnehmerinnen des politischen Sommerlagers die sich anbahnende Entscheidung des Supreme Court zum Gegenstand politischer Debatten erkoren.

Wie in den „Boys State“-Camps werden auch im „Girls State“-Workshop zu Beginn die Teilnehmerinnen in ein Zweiparteiensystem eingeteilt, in „Nationalists“ und „Federalists“. In beiden „Parteien“ finden sich konservative wie liberale Ausprägungen, da die Mädchen nach dem Zufallsprinzip zugeordnet werden. Die Filmemacher folgen wie in „Boys State“ zentralen Protagonistinnen. Zu den Hauptfiguren gehören unter anderem die konservative Emily, ihre liberale Kontrahentin Maddie, die progressiv eingestellte Cecilia sowie die für die Position der Generalstaatsanwältin kandidierende nigerianisch-stämmige Tochi.

Paternalistische Bevormundung

Politische Differenzen treten dabei deutlich zutage, wenngleich die Einstellungen nicht zum unversöhnlichen Meinungskampf ausarten, auch nicht bei einschlägigen „hot button issues“ wie Abtreibung oder der Schusswaffengesetzgebung. Um Ausgleich und Besonnenheit ist insbesondere die tendenziell konservativ eingestellte Emily bemüht. Ihr Streben nach Versöhnung politischer Gegensätze scheint dabei jedoch häufig eher strategisch motiviert als dem Wunsch nach Überwindung des giftigen Diskursklimas geschuldet zu sein. Ein politisches Talent ist die junge Frau aus einem Vorort von St. Louis zweifelsohne. Und beileibe nicht die einzige vielversprechende Kandidatin des „Girls State“. Besonders beim Kampf um den fiktiven Gouverneursposten legen Teilnehmerinnen ihre rhetorische wie weltanschauliche Eignung an den Tag.

In Missouri finden dabei erstmals parallele Jungen- und Mädchenprogramme auf demselben Uni-Campus statt. Die jungen Frauen erhalten deshalb die Auflage, sich stets nur in Paaren auf dem Universitätsgelände zu bewegen, vor allem in den Abendstunden. Das soll ihrem Schutz dienen. „Boy State“-Teilnehmer hingegen erhalten keine derartige Auflage oder Empfehlung. Die Filmemacher arbeiten auf gelungene Weise eine reale Ungleichheit in der Struktur der geschlechterspezifischen Programme heraus. Insbesondere die exklusiv nur Mädchen betreffende Kleiderordnung – angemessene Rocklänge, Oberteil geschlossen und bloß nicht rückenfrei – führt bei den Teilnehmerinnen zu Empörung und zu dem unglücklichen Umstand, dass die Mädchen Zeit verlieren, während sie mit einer paternalistischen Bevormundung befasst sind, während die Jungen politischen „real talk“ im fiktiven Parlament betreiben. Den kritischen Aspekt bei der Anordnung der parallel stattfindenden Programme rückt der Dokumentarfilm mit gebührender Konzentration in den Fokus.

Ein Bild der politischen Gemütslage

„Girls State“ wirkt mit Blick auf das einwöchige Geschehen stark verdichtet. Es scheint, als wolle der Film anhand des Programms eine Zustandsbeschreibung der politischen Gemütslage in den USA präsentieren. Dabei wäre eine Fokussierung auf das „Wie“ der Gestaltung des fiktiven politischen Prozesses in manchen Momenten wohl aussagekräftiger als das eindringlich dargebotene „Was“ der aktuellen Streitthemen. Das Format einer Doku-Serie mit entsprechend längerer Laufzeit hätte hier die Möglichkeit vertiefter Einsichten geboten, gerade im Hinblick auf unterschiedliche Herangehensweisen bei jungen Männern und Frauen.

Angesichts des sich im Jahr 2024 verschärfenden Präsidentschaftswahlkampfes lässt sich aus „Girls State“ aber durchaus die ein oder andere Einsicht gewinnen. Vor allem die bewährte Formel, dass außenpolitische Themen bei US-Präsidentschaftswahlen nicht wahlentscheidend seien, scheint sich anhand von „Girls State“ zu bewahrheiten. Innenpolitische Streitfragen wie Abtreibung oder der Umgang mit Schusswaffen erweisen sich auch bei der der Politik zugeneigten jungen Klientel von „Girls State“ als die wichtigsten Themen. Die bevorstehenden Wahlkampfduelle zwischen Donald Trump und Joe Biden dürften deshalb auch 2024 unter diesen in den USA bewährten Themen stehen. Für europäische Gemüter mag das befremdlich wirken. Dabei wäre ein ähnlich geartetes Projekt samt dokumentarfilmerischer Begleitung auf hiesigem Terrain durchaus vielversprechend.

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