Silke - Ein Leben im Balance-Akt

Dokumentarfilm | Schweiz/Frankreich 2022 | 77 Minuten

Regie: Coline Confort

Die deutsch-schweizerische Zirkusartistin Silke Pan trat gemeinsam mit ihrem Ehemann Didier auf, bis es 2007 zu einem fatalen Trapezunfall kam. Auch im Rollstuhl gab sie jedoch nicht auf und wurde, unterstützt von ihrem Mann, eine Handbikerin, um dann dafür zu trainieren, wieder als (Handstand-)Akrobatin arbeiten zu können. Der Dokumentarfilm über die disziplinierte, aber auch sehr zurückhaltende Artistin hält einen sehr respektvollen Ton aufrecht, die Atmosphäre bleibt sachlich bis nüchtern, Einblicke in die Gedankenwelt der Protagonistin gibt es nur wenige. Diese immer leicht distanzierte Erzählweise macht die Dokumentation ein wenig spröde, verleiht ihr aber auch einen authentischen Touch. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LA VIE ACROBATE
Produktionsland
Schweiz/Frankreich
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Dreampixies/Goyaves/RTS/SRG SSR
Regie
Coline Confort
Buch
Coline Confort · Emmanuel Gétaz
Kamera
Camille Cottagnoud · Leandro Monti · Nicolas Veuthey
Musik
Morgan Hug
Schnitt
Nalia Giovanoli
Länge
77 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb

Dokumentarfilm über eine Akrobatin, die nach einem schweren Unfall im Rollstuhl sitzt, aber darum kämpft, wieder in ihrem Beruf arbeiten zu können.

Diskussion

Im Mittelpunkt steht eine Artistin, die heute querschnittsgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen ist. Die deutsch-schweizerische Akrobatin Silke Pan stürzte im Jahr 2007 bei einer Trapeznummer ab, überlebte knapp und verbrachte Jahre in Reha-Institutionen, bis sie ihren Alltag wieder weitgehend selbständig bewältigen konnte. Didier, ihr Mann und Partner, war und ist dabei ihre größte Stütze. Er war auch zumindest teilweise für den Unfall mitverantwortlich. Doch das Thema Schuldgefühle oder deren Bewältigung spielt weder in der Beziehung der beiden noch in dem Dokumentarfilm „Silke – Ein Leben im Balance-Akt“ eine große Rolle. Es wird lediglich kurz angesprochen. Didier meint dazu, er habe die Schuldgefühle verdrängt, weil es so viel anderes zu tun gab, was wichtiger war. Beide sind sich einig darin, dass der Unfall ihre Liebe zueinander noch verstärkt hat.

Sobald sie sich in ihrem neuen Leben eingerichtet hatte, begann Silke Pan eine neue Karriere als Parasportlerin: im Handbike-Fahren. Didier wurde ihr Trainer. Seit 2012 errang Silke zahlreiche Titel, auch in internationalen Wettkämpfen. Doch ihre wahre Liebe gehört der Akrobatik. So hart, wie sie an ihrer Karriere als Parasportlerin arbeitete, so hart arbeitet sie nun gemeinsam mit Didier daran, endlich wieder als Artistin zu arbeiten – als Handstand-Akrobatin. Der Dokumentarfilm von Coline Confort erzählt von Silkes Leben als Sportlerin und von ihrem Weg zurück auf die Showbühne.

Einmal Akrobatin, immer Akrobatin

Der Originaltitel „La vie acrobate“ („Das akrobatische Leben“) fängt die Atmosphäre des Films deutlich besser ein als der wenig elegante deutsche Titel, der sich irgendwie in Richtung Yogakurs zu bewegen scheint. Tatsächlich handelt der Film vom harten Leben einer Frau, die trotz ihres Schicksals Akrobatin geblieben ist und immer bleiben wird. Das scheint eine Lebenseinstellung von existenzieller Bedeutung zu sein, eine Berufung, die man sich nicht aussucht, sondern von der man ausgewählt und angetrieben wird. Silke Pan passt perfekt dazu: Sie ist nur äußerlich eine zarte Person, im Inneren arbeitet sie unerbittlich an sich selbst, eine taffe Frau, die auch unter Schmerzen ein – dann etwas steifes – Lächeln bewahrt. Mit höchster Disziplin bewältigt sie ihren Alltag. Silkes größte Herausforderung sind die ständigen Schmerzen und die schlaflosen Nächte, in denen ihre gelähmten Beine unkontrolliert zucken. Tag und Nacht wird sie von Kopfschmerzen und Muskelkrämpfen heimgesucht. Zudem muss sie sich täglich Einläufe von dreieinhalb Stunden Dauer zur Kontrolle ihrer gelähmten Verdauung verabreichen.

Doch all diesen Problemen widmet Silke Pan höchstens ein paar Nebensätze. Ihr Leben besteht vor allem aus Trainingseinheiten, die sie – immer in Didiers Begleitung – bewältigt. Sie quält sich, sie tobt sich aus. Das Handbike habe ihr geholfen, sich wieder lebendig zu fühlen, sagt sie. Sie konnte ihren neuen Körper nicht ertragen, konnte seine Signale nicht erkennen. Den Muskelkater hingegen betrachtet sie als positiven Schmerz. „Leiden auf meine Art“, sagt sie.

Der Druck ist zu groß

Aus der Akrobatin wurde eine Sportlerin, die mit Ehrgeiz und eisernem Willen an einer neuen Karriere arbeitet. Sie ist dabei sehr erfolgreich, sammelt Titel und Pokale, doch sie ist nicht mit dem Herzen dabei. Diese Erkenntnis nach etwa der Hälfte des Films kommt beinahe überraschend, denn fast 45 Minuten wird eine Athletin gezeigt, die mit ganzer Kraft trainiert. Immer freundlich, immer ehrgeizig, selbstkritisch, mit voller Power, und dennoch müssen hinter dem Lächeln, hinter der Fassade dieser noch immer mädchenhaften, grazilen Gestalt wohl harte Kämpfe stattfinden. „Das Handbiken ist reine Kompensation“, sagt sie einmal. Sie mache das nicht gerne, sie gerate dadurch in einen mentalen Zustand, der ihr nicht entspricht. Aber sie macht es trotzdem. Der Druck sei zu groß. Es bleibt offen, was genau sie meint. Den Wettkampfdruck? Den Druck durch den Verband, für den sie startet? Vermutlich ist es eine Kombination aus beidem. Silke entschließt sich, das Handbike-Fahren aufzugeben. Sie will wieder Artistin werden. Und Didier unterstützt sie dabei, so wie er sie immer unterstützt.

Dieser Frau zuzusehen, ist in gewisser Weise faszinierend. Sie behält ihr Geheimnis, oder anders gesagt: Coline Confort lässt zu, dass sie ihre Geheimnisse wahren kann. Silke Pan gestattet keine Gefühlsduselei, und Confort respektiert sie in allem, was sie sagt und tut, aber auch in dem, was sie auslässt. Es gibt kaum private Szenen, außer dass Silke ihren Hund ziemlich oft bürstet. Einmal gibt Didier für Silke eine kleine Privatvorstellung mit Leucht-Marionetten, aber ansonsten scheint es, als ob das Paar keine freie Minute hat, kein Privatleben, keine Hobbys, keine Ruhe. Training, Training, Training – da ist kaum Platz für Entspannung oder für so etwas wie Poesie, die aber dennoch ein Teil von Silkes Persönlichkeit zu sein scheint, auch wenn sie das nicht unmittelbar zugibt. Denn die Artistik ist eine Kunst, eine sehr poetische Kunst, wie am Schluss zu sehen ist, wenn Silke ihren ersten Auftritt als gelähmte Akrobatin hat, während ein ziemlich aufgeregter Didier hinter den Kulissen zuschaut. Nun endlich wirkt Silke locker, gelöst trotz der Anstrengung – viel weniger verbissen als beim Sport.

Es geht voran

Coline Conforts Film, in dem Silke Pan oft selbst zu Wort kommt, fängt ihre komplexe Persönlichkeit ein, aber dabei fehlt ein wenig der Funke, der zum Publikum überspringt. Vielleicht liegt das daran, dass der Film einen recht langen Zeitraum umfasst und dabei einiges redundant wirkt. Oder es sind die fehlenden Bilder aus dem Privatleben, vom Zusammensein mit Freundinnen und Freunden oder mit der Familie. Doch es sind auch fesselnde Aufnahmen aus der Zeit vor ihrem Unfall zu sehen, Bilder von Sportevents und immer wieder Trainingssequenzen, denen gelegentlich ein Herzschlagrhythmus unterlegt ist, und dieses Herzklopfen hat etwas Magisches. Es geht voran, sagen die Bilder und die Töne.

Kommentar verfassen

Kommentieren