Filmessay | Deutschland 2024 | 111 Minuten

Regie: Katharina Pethke

In einem sehr persönlichen Dokumentarfilm skizziert die Regisseurin Katharina Pethke den Werdegang ihrer Großmutter, ihrer Mutter und ihre eigene Karriere. Alle drei Frauen sind Künstlerinnen und Mütter. Wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sich im Laufe der Jahrzehnte verändert hat, wird anhand zweier Gebäude – der Kunsthochschule und der Frauenklinik in Hamburg – eruiert und die Dominanz von Männern im Kulturbetrieb untersucht. Archivbilder und –filme sowie die Betrachtung von Kunstwerken runden den Dokumentarfilm ab. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Fünferfilm
Regie
Katharina Pethke
Buch
Katharina Pethke
Kamera
Christoph Rohrscheidt
Musik
Nika Son
Schnitt
Simon Quack
Länge
111 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Filmessay
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Autobiografisch geprägter Dokumentarfilm, der anhand der Beobachtung dreier Generationen von Frauen einer Familie über die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf nachdenkt.

Diskussion

Was ist der Zusammenhang zwischen einer Kunsthochschule und einer Geburtsklinik? Auf den ersten Blick scheinen sich beide auszuschließen, bedeutet Nachwuchs für Frauen doch auch heute noch, dass ein Studium nicht so leicht damit vereinbar ist. Vor hundert Jahren schlossen sich Beruf und Familie für Frauen noch ganz aus.

Dennoch baute der Architekt Fritz Schumacher 1914 die Frauenklinik Finkenau in Hamburg an einem zentralen Ort der Stadt, um die Geburt in der Klinik für ärmere Frauen und Prostituierte zu etablieren. Viele Jahrzehnte existierten die Frauenklinik und die Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) Seite an Seite, bis die Klinik wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit im Jahre 2000 schließen musste. Heute beherbergt das Haus ebenfalls Lehrräume der HFBK. In den mit Linoleum ausgelegten Gängen mit den hohen Decken und den Handläufen an den Wänden ist der alte Bau noch deutlich zu erkennen.

Beruf, Familie und Kinder

Beide Häuser spielen in der Familie der Filmemacherin Katharina Pethke eine große Rolle. In dem Dokumentarfilm „Reproduktion“ porträtiert sie drei Generationen von Frauen, die Künstlerinnen und Familienmütter zugleich sind, wenn auch nicht immer gleichzeitig. Ihre Großmutter Rosemarie stammte aus betuchten Verhältnissen. Sie war zeichnerisch begabt und wollte den Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg nutzen, Kunst zu studieren. 1946 begann sie das Studium. Ein Jahr später lernte sie ihren Mann kennen, wurde schwanger und musste ihre Karriere als angehende Künstlerin beenden. Als Mutter von vier Kindern zog sie diese auf und führte den Haushalt, während der Mann die Rolle des Ernährers übernahm. Für die damalige Zeit war dies normal, doch Rosemarie wurde mit ihrer Hausfrauenrolle nicht glücklich: „Ich bin doch nur euer Feudel“, soll sie zu ihren Kindern gesagt haben. Familienfotos und Zitate aus einem Interview mit der Großmutter veranschaulichen den Lebensweg Rosemaries, die sich resigniert dem Zeitgeist unterordnete und ihr Leben als unvollendet betrachtete.

Im Film kommt einer Skulptur eine Sonderrolle zu, die sinnbildlich für die Interpretation von Mutterschaft steht: „Frauenschicksal“ von Elena Luksch-Makowsky. 1913 wurde sie als einziges Werk einer Frau für den neu eröffneten Hamburger Stadtpark ausgewählt. Sie symbolisiert die Zerrissenheit der Künstlerin zwischen ihrer von der Gesellschaft auferlegten Rolle als Mutter und ihrer Sehnsucht, sich beruflich zu verwirklichen. Drei Kinder klammern sich im unteren Teil der Figur an ihren Rock, während der Kopf der Frau sich von ihnen ab- und dem Kuckuck als einem Symbol der Freiheit auf ihrer rechten Schulter zuwendet.

Nackt und auf sich selbst bezogen

Der Film „Reproduktion“ macht seinem Titel Ehre, indem er den Prozess der Erschaffung einer Replik der Statue „Frauenschicksal“ dokumentiert, die nach einer Pause von mehreren Jahrzehnten nun wieder im Park zu bewundern ist. Die doppelte Bedeutung des Titels bezieht sich auf die Kreation im künstlerischen wie auch im biologischen Sinne. Dass Kunst vor allem Männersache war, beweist das Gegenstück zu „Frauenschicksal“, das riesige Wandgemälde „Die ewige Welle“ von Willy von Beckerath. Es befindet sich in der Aula der HFBK, die 1918 eingeweiht wurde und von dem zeugt, was Katharina Pethke „männlichen Genius“ nennt: den zentral im Bild erscheinenden Mann, „auf sich selbst bezogen, nackt, vor einer verhüllten Gruppe von Frauen stehend“.

Heute bleibt eine solche Zurschaustellung vermeintlicher männlicher Überlegenheit nicht unwidersprochen. Eine Performance laut trommelnder Student:innen machte ihrem Unmut über die Aussage des Werkes Luft. Auch Marina Abramovic, die an der HFBK unterrichtete, hat sich lautstark gegen Mutterschaft ausgesprochen, von ihren Abtreibungen erzählt und sich symbolisch einen Stern auf den Bauch geritzt.

„Reproduktion“ wird vom Kommentar der Regisseurin begleitet und flicht aktuelle und historische Exkurse in die Erzählung ein. Unterhaltsam und anschaulich wird darin die Geschichte der HFBK oder der Hamburger Stadtarchitektur ergänzt, die sich in den Schicksalen dreier Frauengenerationen spiegeln. Denn Pethkes Mutter Maria, die älteste Tochter von Rosemarie, wollte nicht so enden wie ihre Mutter. Dies entsprach auch dem Geist der Achtundsechziger, alles anders zu machen. Doch nach ihrem Studium an der HFBK zog Maria ihre Kinder von unterschiedlichen Vätern größtenteils allein auf und ernährte sie auch selbst. Bei Elternabenden in der Schule gehörte sie nicht zu den Müttern, die sich im Elternrat engagierten oder Kuchen für die Schüler backten. Doch ihre Unabhängigkeit war bitter erkauft. Von ihren Eltern wurde sie aus dem Haus geworfen und erhielt im Gegensatz zu ihren Brüdern keinerlei finanzielle Unterstützung für ihr Studium.

Die Kinder lieber nicht erwähnen

Marias Tochter Katharina ist Filmemacherin und trat mit 33 Jahren an der HFBK eine Professur für Film an, und zwar in dem Gebäude der ehemaligen Frauenklinik. Dort fungiert der Ex-Kreißsaal nun als Kinosaal. Pethke, Repräsentantin der dritten Frauengeneration ihrer Familie, wurde bei der Erziehung ihres Kindes von ihrem Lebensgefährten unterstützt. Nach ihrer Elternzeit blieb er zu Hause. Dennoch hat die HBFK bis heute keinen Hort für Student:innen mit Kindern und nimmt im Betrieb an der Hochschule auch keine Rücksicht auf Angestellte mit Kindern. Mehrfach riet man der Regisseurin bei Sitzungen, die sich bis in die Nacht hinzogen, ihre Kinder lieber nicht zu erwähnen. Als ein Kollege Pethke fragte, was sie denn als Professorin geschafft habe, entschloss sie sich zu dem Film „Reproduktion“.

Das Resultat kann sich sehen lassen. Pethke gelingt es, mal klassisch erzählend, dann wieder in gebrochener Chronologie, einen plausiblen Erzählfaden und überzeugende Bilder zu finden. Sie zeigen Kontinuität, Entwicklung und Stagnation und deuten an, wie weit die Gesellschaft, zumal im Bereich der Kultur, von dem entfernt ist, was sie nach außen über sich selbst postuliert.

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